TV: Macht, Morde, Mätressen in Serie

(c) ORF (Jiri Hanzl)
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ATV zeigte zuerst die US-Version „The Borgias“, der ORF zieht am Donnerstag mit der Euroversion „Borgia“ nach. Zufall oder Kampf um die historische Deutungshoheit? Inhaltlich gibt es deutlichere Unterschiede.

Der Fernsehzuseher entkommt ihnen in diesem Herbst nicht: dem machthungrigen Rodrigo Borgia, der es 1492 zum Papst Alexander VI. brachte, und seinen unehelichen Kindern Cesare, Juan und Lucrezia. Im September zeigte der Privatsender ATV die US-Version „Die Borgias“ im Sonntaghauptabend. Heute, Donnerstag, legt der ORF mit der fast gleichzeitig gedrehten europäischen Produktion „Borgia“ nach.
Die Geschichte der spanischen Renaissance-Familie, die es durch Mord und Intrigen bis ins höchste Kirchenamt geschafft hat, hat schon viele inspiriert: Cesare Borgia imponierte etwa dem Politiker Machiavelli und schwebte Oscar Wilde bei seinem Dorian Gray vor, Mario Puzo holte sich bei den Spaniern Anregungen für seinen „Paten“. Dass der Stoff jetzt wieder so en vogue ist, liegt an den vielen Berührungspunkten zur Gegenwart, glaubt Jürgen Grimm, Publizistikprofessor an der Uni Wien, der gerade eine europaweite Studie über die boomende Geschichtsvermittlung im Fernsehen erarbeitet: die aktuelle Papst-Diskussion, der Missbrauchsskandal, die gehäuft auftretenden Beispiele für Machtmissbrauch. Dass es mehrere Filme oder Serien zu ein und demselben Stoff gibt, ist an sich nicht ungewöhnlich – „diese gleichzeitige Doppelung ist aber sicher ein besonderes Ereignis“, sagt Grimm. Es wirke wie ein Wettstreit zwischen Europa und den USA darüber, „wer die Markt- und Meinungsmacht über die europäische Erinnerungskultur hat“.
Und wer hat die? In beiden Produktionen tragen die zum Teil prominent besetzten Protagonisten (Jeremy Irons in der US-, Udo Kier und Andrea Sawatzki in der Euroversion) viel roten Brokat und funkelndes Geschmeide. Kostüme und Ausstattung wirken in der 35 Millionen Euro teuren US-Produktion opulenter, irgendwie echter. Die blonden Korkenzieherlocken von Lucrezia springen so fröhlich auf und ab, dass es eine Freude ist. Generell sind die Darsteller in der US-Version hübscher als in der europäischen.

Europäer sind faktentreu und humorvoller

Inhaltlich gibt es deutlichere Unterschiede: Die US-Version hält sich nicht exakt an die historischen Vorgaben, geht flotter vor, der Tod des Papstes und die Wahl von Rodrigo zum neuen Papst gehen in einer Folge über die Bühne, bei den Europäern dauert das länger. Die Europäer und allen voran Drehbuchautor Tom Fontana wollten die Geschichte sehr faktentreu erzählen – und mit subtilerem Humor: Cesare, soeben von Vater Rodrigo zum Bischof ernannt, beschwert sich bei seiner Mutter: „Ich bin jetzt 18 Jahre alt, mein halbes Leben ist vorbei und ich habe nichts aus meinem Leben gemacht.“
Die 24 Millionen teure Euroversion gibt es gleich in zwei Varianten: ORF2 zeigt die sechs Folgen zwar ungekürzt, aber aus Jugendschutzgründen erst um 22.30 Uhr. Das ZDF hat die abgehackten Finger und Ohren, auch die expliziten Sexszenen entfernt und zeigt diese Version schon um 20.15 Uhr. Bei der Vermarktung liegt das ZDF deutlich vor dem ORF: Auf einer eigenen Seite ihrer Homepage stellen die Deutschen die Charaktere der Serie vor und bringen Interviews mit Darstellern und Drehbuchautor Fontana, der die Murdochs als moderne Borgias sieht. Der ORF kommt seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag nur halbherzig nach, statt einen Themenabend zu machen, versteckt er die aufklärende Doku „Der Fall Borgia“ Dienstagnacht in der „Kreuz & Quer“-Schiene. Besser wäre gewesen, die Doku vor der ersten Sendung um 20.15 Uhr zu zeigen.
Jürgen Grimm prophezeit beiden, der US- und der Euroversion, langfristigen Erfolg. Auf ATV hatten die „Borgias“ im Durchschnitt 151.000 Seher und einen Marktanteil von sehr guten 5,9 Prozent. Die Borgias werden uns noch länger erhalten bleiben. Für beide Produktionen wurden bereits Fortsetzungen angekündigt.

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