Inbrunst, Brunft, Trikolore – und Spielfreude

Inbrunst Brunft Trikolore ndash
Inbrunst Brunft Trikolore ndash(c) Theater an der Wien
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Rossinis "Le Comte Ory" macht auch in die 1950er-Jahre verlegt großen Spaß. Die Südafrikanerin Pretty Yende triumphiert als Einspringerin für Cecilia Bartoli an der Spitze eines trefflichen Ensembles.

Ecoutez ces chants de victoire“: Angesichts des enormen Jubels für das Ensemble gab Jean-Christophe Spinosi zuletzt dem unzählige Trikolörchen schwingenden Ensemble den Einsatz zum Encore des zündenden kleinen Finales – und das zuvor schon trampelnde, hernach aber von den Sitzen springende Publikum stimmte mit rhythmischem Klatschen ein, als wär's der Radetzkymarsch. Die Siegeslieder galten der ganzen Vorstellung von Gioachino Rossinis „Le Comte Ory“, einer Ko-Produktion mit dem Zürcher Opernhaus, welche dem Theater an der Wien nach dem zumindest szenisch enttäuschenden Händel'schen „Radamisto“ nun wieder einen Erfolg auf der ganzen Linie bescheren konnte.

Das, obwohl jener Star mit großer Fangemeinde absagen musste, der in Wien nur selten auf einer Opernbühne zu erleben ist: Anstelle von Cecilia Bartoli (zuletzt 2010 als Händels Semele im Theater an der Wien) gab nun die Südafrikanerin Pretty Yende die Comtesse Adèle – eine Einspringerin, wie sie besser nicht hätte gewählt werden können. Erst Mitte Jänner hat die Gewinnerin u.a. des Belvedere-Wettbewerbs 2009 an der New Yorker Met Nino Machaidze ersetzt und in derselben Partie neben Juan Diego Flórez ein umjubeltes Debüt gegeben.

Yendes angenehm runder, blühender Sopran schimmert in allen Lagen gleichmäßig betörend; Verzierungen absolviert sie nicht nur gewissenhaft, sondern reichert sie zwischen ängstlicher Erregung, erotischem Kitzel und naiver Komik auch mit Emotion an – und wie sie Piano-, ja Pianissimo-Phrasen formt, verdient allen Applaus. Nur ein Beckmesser würde ihr einige, vielleicht durch die Premierennervosität nicht ganz präzis getroffene, Staccati ankreiden, die sie doch auch in der sicheren Höhe mit bewundernswerter Leichtigkeit zu nehmen weiß. Dazu vereint Yende eine glänzende Erscheinung mit komödiantischem Talent: Herrlich, wie sie als noble, aber verklemmt-biedere 1950er-Jahre-Lady mit Brille, Haarknödel und hochgeschlossenem Kostüm antritt – und amourös aufblüht, je mehr sie ablegt.

Denn das Regisseursduo Moshe Leiser und Patrice Caurier rückt die mittelalterliche Handlung mit Gewinn siebeneinhalb Jahrhunderte näher an unsere Gegenwart, wodurch Agostino Cavalca (Kostüme) ausreichend Gelegenheit bekommt, die Damen in Petticoats oder Schlafröcke zu stecken und ihnen Lockenwickler und Haarnetze zu verpassen: Nicht nur der sonore Arnold Schoenberg Chor, sondern das ganze Ensemble kann die für heutige Augen immanente Komik dieses Ambientes nützen.

Ansturm aufs Nonnenkloster

Denn wie so oft liegt der Witz am Gefälle zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der junge Graf Ory ist seinem Erzieher ausgebüxt und mimt in einem pittoresken kleinen französischen Dorf, in dem wegen Kreuzzug (oder hier: Algerien-Krieg) Männermangel herrscht, anfangs einen rauschebärtigen blinden Priester, ist in Wahrheit aber eine Art Kreuzung aus Dulcamara und Casanova. Den weiblichen Teil seiner Gläubigen lässt er großmütig in den Genuss seiner sexuellen Leistungsfähigkeit kommen: „Dieu est Amour“, steht in seinem wie ein Puff ausgestatteten Wohnwagen (Bühne: Christian Fenouillat). Lawrence Brownlee, ein Belcantist von Graden, ist um keine Girlande, keinen hohen Ton verlegen und macht auf köstliche Weise überdeutlich, wie dieser Ory hinter vorgeschützter Gebetsinbrunst kaum seine tenorale Brunft verbergen kann.

Doch mag er noch so sehr abwechselnd ihren Busen und Hintern adorieren oder beschnüffeln: An Adèle, das ist die Pointe des Stücks, beißt er sich die Zähne aus – obwohl er im zweiten Akt gar mit seinen Mannen, allesamt als Nonnen verkleidet, in ihr Haus eindringen kann. Die gar nicht keusche Gräfin bekommt der junge Soldat Isolier, den Regula Mühlemann ideal burschikos und mit bezaubernd klarem, gradlinigem, wenn auch nicht üppig dimensioniertem Sopran gibt. Das herrliche Terzett, hier auf einer Chaiselongue absolviert, in dem ein als Adèle verkleideter Isolier Orys Avancen halb abwimmelt, halb erduldet, während er selbst bei der Angebeteten auf seine Kosten kommen will, ist ein Edelstein in der in den letzten Jahren wieder populär gewordenen Rossini-Partitur, aus der ältere Wiener Opernfreunde Teile von „Il Viaggio a Reims“ aus der Ära Abbado her kennen.

Allerdings bleibt bei allem frivolen Charme, den die funkelnde Musik versprüht, nicht verborgen, dass der erste Akt Durchhänger hat. Das geniale „Gran Pezzo Concertato“ aus „Viaggio“ fungiert hier als erstes Finale. Dass es nicht abhebt, liegt an Spinosi, der mit seinem Ensemble Matheus auf alten Instrumenten erst im zweiten Akt zu zündendem Esprit findet. Jubel war den Musikern dennoch gewiss, auch dem Regieteam und der übrigen Besetzung: der Ragonde von Liliana Nikiteanu, dem fast virtuosen Pietro Spagnoli (Raimbaud), dem sympathisch-phlegmatischen Gouverneur Peter Kálmáns, dem jungen Ensemble der Kammeroper – Koryphäen der Spielfreude.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2013)

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