Simonischek: "Das Schrecklichste sind Schauspieler-Träume"

FUNDRAISING GALA IN DER SPANISCHEN HOFREITSCHULE: KARNER / SIMONISCHEK / GUeRTLER
FUNDRAISING GALA IN DER SPANISCHEN HOFREITSCHULE: KARNER / SIMONISCHEK / GUeRTLERAPA/GEORG HOCHMUTH
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Burgtheater-Star Peter Simonischek über Blind Dates, Regisseure als Verführer, seine Hochachtung vor Alvis Hermanis und einen immer wiederkehrenden Albtraum: „Ich weiß nicht, welches Stück da gespielt wird.“

Die Presse: Sie haben unlängst in Wien in zwei Inszenierungen von Alvis Hermanis gespielt. Dieser bedeutende lettische Regisseur hat in der „Neuen Zürcher Zeitung“ angekündigt, dass er nicht mehr international fürs Theater arbeiten werde. Er wendet sich offenbar verstärkt der Oper zu. Was halten Sie davon?

Peter Simonischek: Die Konsequenz daraus ist traurig, besonders für deutsch sprechende Schauspieler. Hermanis ist selbst ein Schauspieler und weiß, wie man sie behandeln muss, um sie zu ihren besten Möglichkeiten zu führen. Seit dem Tod von Klaus Michael Grüber, Peter Zadek, George Tabori und Jürgen Gosch gibt es einen Mangel an Regisseuren mit dieser speziellen Fähigkeit.

Was zeichnet deren Methode aus?

Für mich als Schauspieler bedeutet das nicht weniger als die Antwort auf die Frage, warum ich auf der Bühne stehe. Ich habe mich, als ich „Eine Familie“ im Akademietheater sah, gefragt, wie es denn kommt, dass alle Schauspieler so unverwechselbar und ausgezeichnet spielen. Die so erstaunliche wie einfache Antwort bekam ich, als ich mit Hermanis an „Platonov“ gearbeitet habe. Obwohl das Stück umfangreich ist und die Probenzeit eher knapp war, verbrachten wir zwei Wochen mit Gesprächen und Fragen an die Figuren des Dramas – auch mit dem, was passierte, ehe die Handlung beginnt –, bis jeder eine überschaubare Biografie für seine Rolle hatte. Nach zwei Wochen, bevor man endlich den ersten Satz sagt, weiß man, wer das ist, der sich zu Wort meldet. Man trägt dann die Begründung im Bauch und ist auch der Auftraggeber, verantwortlich für sein Handeln. Rechenschaft schuldet man nur dem Autor. Der Regisseur ist der Animateur, Organisator, Verführer und auch Beschützer. Damit der Schauspieler den Mut hat, etwas zu riskieren – und damit auch zu riskieren, sich zu blamieren. Denn das Publikum will keine Schauspieler sehen, die auf Nummer sicher gehen. Ab dem zweiten Akt organisiert sich dann wie durch Zauber so ein Komplex.

Hermanis scheint Konsequenzen aus dem internationalen Festivalzirkus ziehen zu wollen. Er fühlte sich zuweilen offenbar extrem missverstanden. Ist Theater wirklich vor allem lokal?

Inszenierungen in der Fremde sind oft wie ein Blind Date mit einem unbekannten Publikum. Wichtig für die Bühnenarbeit ist die Authentizität. Ein lokaler Hintergrund unterstützt sie. Ich kann mir vorstellen, dass Hermanis sich unverstanden fühlte, wenn er von der Kritik im Ausland verrissen wurde. Das könnte auch von einem kulturellen Nichtverständnis herrühren. Wer kennt schon die Komplexität baltischer Geschichte?

Welche Rolle spielt für Sie Theaterkritik? Sie ist doch oft ziemlich disparat.

Das ist ein sehr weites Feld. Sie ist so wie die Kunst, die sie kritisieren soll, von sehr unterschiedlichem Niveau. Man hat alles gelesen, vom kongruenten Erleben eines Abends bis zu Beschreibungen, die zu diesem Erleben in krassem Widerspruch stehen. Es geht sogar so weit, dass von ein und derselben Premiere ein Kritiker von frenetischem Jubel am Schluss, ein anderer von höflich verhaltenem Applaus berichtet. Was mich immer empört hat, ist, wenn ein Ergebnis ernsthafter Auseinandersetzung und wochenlanger Proben mit einigen Bonmots despektierlich und flapsig abgefertigt wird. Das ist meistens sehr ärgerlich, weil man nicht ernst genommen wird.

Wohin wird sich denn das Theater entwickeln?

Das Theater macht immer wieder Ausflüge – in Ästhetik, Form, Ideologie. Wenn es sich auf diesen Feldern ausgetobt hat, kommt es wieder zurück zum ewig Alten und ewig Neuen. Im Theater gibt es keinen wesentlichen Fortschritt, denn es beschäftigt sich, wenn es interessant ist, mit den wesentlichen Dingen unserer Existenz. Die aber sind die gleichen, seit es Theater gibt. Da herrschen Moden, die vergehen, sobald sie wichtiger werden als der Inhalt. Dann macht das Theater wieder kehrt und besinnt sich wieder auf das Wesentliche. Sie kennen die Anekdote von Regisseur Billy Wilder? Er wollte sich einen Traum notieren, eine tolle Idee für einen Film, und am nächsten Morgen las er, was er sich in der Nacht notiert hatte: „Boy meets girl.“ Diese wesentliche Geschichte wird sich nicht verändern.

Wie ist es mit den Emotionen auf der Bühne? Was empfinden Sie dort als unangenehm und was im Gegensatz dazu als Hochgefühl?

Ersteres passiert, wenn sich das Publikum langweilt oder wenn in einem dramatischen Moment ein Handy klingelt. Es gibt sogar Zuseher, die drangehen und dann telefonieren! Ein Hochgefühl hat man, wenn auf der Bühne durch unser Spiel Spannung, Dichte und Leben entstehen, wenn der Funke aufs Publikum überspringt. Das ist ganz deutlich und klar, da wird es keinen Schauspieler geben, der das nicht unterschreibt. Das Dramatischste und Schrecklichste aber geschieht nicht auf der Bühne – das sind die Schauspieler-Träume. Oft kreisen sie um verpasste Vorstellungen und vergessenen Text. Das weiß ich nicht nur von mir, sondern auch von einigen Kollegen.

Erzählen Sie solch einen Albtraum.

In allen Varianten habe ich geträumt, dass ich mich bei einem Gastspiel in einer fremden Stadt auf dem Weg vom Hotel ins Theater hoffnungslos verirre. Dann gerate ich meist von der Innenstadt in irgendeinen Vorort, von dort ins freie Feld hinaus, wo ich einen Bauern auf einem Traktor nach dem Weg frage. Der zeigt dann in Richtung Innenstadt. Zwei freundliche Damen nehmen mich auf der Bundesstraße als Anhalter in ihrem VW-Käfer mit. Sie bestehen aber darauf, ihre Skier aus der Wohnung zu holen. Ich helfe ihnen noch, die Skier vom Dachboden zu schleppen und aufs Autodach zu geben. Dabei weiß ich genau, dass die Vorstellung bereits begonnen hat, wahrscheinlich schon mein erster Auftritt gewesen wäre. Eine wahnsinnige Folter! Endlich lande ich im Theater, haste nach vorn und höre lauter mir unbekanntes Zeug. Ich weiß nicht, welches Stück da gespielt wird, gehe von Garderobe zu Garderobe und finde kein Textbuch. Über die Mithöranlage vernehme ich den Schlussapplaus. Lachend kommen jetzt die Kollegen herein, grüßen mich freundlich. Aber ich habe nicht einmal gefehlt, ich bin ihnen nicht einmal abgegangen. Das ist dann die ultimative Ernüchterung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2013)

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