Volkstheater: Vielleicht ein Bankraub?

"draußen tobt die dunkelziffer", drinnen schnappt die Schuldenfalle.

"Ganz Madrid im Wasser!", ruft der Offizier in Schillers "Don Carlos". Dann bemerkt er, dass da irgend etwas nicht stimmt, und setzt fort: "Überhaupt ist alles ganz fürchterlich!" An diese Theater-Anekdote fühlte man sich erinnert bei der Uraufführung von Kathrin Rögglas "draußen tobt die dunkelziffer", Auftragswerk des Volkstheaters, Koproduktion mit den Festwochen, Mittwoch: interessantes Thema, tolles Konzept, nur mit der Realisierung wollte es nicht recht klappen.

Finanz-Irrwische, Kaufrausch-Tanten, Messies (Chaoten, von engl. mess), Sozialhilfe-Menschen, Konkurs-Vögel, das Abgleiten in die Krida und die Mechanismen der Berater schildert die 34-jährige Salzburger Autorin, einen Totentanz: Über dem Mittelstand kreist der Pleitegeier, während die Löcher in den sozialen Netzen immer größer werden. Am VT zeigte Röggla, die in Berlin und Zürich lebt, "fake reports", in Düsseldorf "wir schlafen nicht", beim "steirischen herbst" "junk space". Ihre Dramen beruhen auf Recherchen. Stilistisch erinnern sie aber an Werner Schwab oder Elfriede Jelinek.

Der Cross-Over-Künstler Schorsch Kamerun, u. a. Sänger der Punk-Band "Die Goldenen Zitronen", inszenierte und moderierte den Abend   la Schlingensief, dessen Irrwitz fehlt ihm. Zum Mitspielen, Mitsingen ließ sich das Publikum kaum animieren. Anrufe von Zuschauern (meist zur Unzeit) auf Kameruns Handy ("Wo bleibt der Sex?", fragte einer) und Video-Zuspielungen, etwa von einer Demonstration der Mimen auf der Mariahilfer Straße, stören dafür die Aufführung. Erst am Ende, wenn sich die Wölfe (maskierte Schauspieler) im Film auf ihre von Schulden niedergedrückten Opfer stürzen, kommt wahrhaftige Dramatik auf.

Rögglas Text ist im Grunde eine Sprechoper, der man vermutlich mit einer puristischen, auf die komplexe Sprache konzentrierten Aufführung eher gerecht würde. Kamerun stellt stattdessen die Figuren in ihrer Verzweiflung und Lächerlichkeit aus. Die Drehbühne rotiert fleißig. Auf ihr: Wohlstandsgerümpel, eine goldene Palme, ausrangierte Möbel; Spielautomaten (sie haben anscheinend im Theater die Koffer abgelöst) und eine Art Feen-Reich, in dem eine Königin (Babett Arens) sich eingeschlossen hat; abgekapselt in einer Traumwelt, brennt sie ab. Als einen außer Rand und Band geratenen Wunderwürfel, dessen Elemente beliebig getauscht, verschoben werden können, sieht Röggla ihr Stück. Diesen Aspekt hat Kamerun gründlich erledigt - das Werk eingewienert ("14 Optiker in der Landstraßer Hauptstraße") und mit Stereotypen versehen, die Deutschen beim Thema Österreicher einfallen. Das wirkt teils billig wie auch die nahezu peinliche Kaufmann-von-Venedig-Parodie. Nach einem witzigen Beginn verliert sich die Aufführung immer mehr in plattem Realismus. Die Schauspieler (u. a. Alexander Lhotzky, Christoph Zadra, Jens Rachut) folgen getreu dem Konzept in Seht-her-Manier, was bleibt ihnen übrig?

In ihrer strengen Sterilität erschien da die Version von "fake reports" (Psycho-Seminar für Nicht-mehr-Funktionierer) beim "steirischen herbst" stringenter, überzeugender.

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