Peymann: „Toben wie König Lear auf der Heide“

Claus Peymann Interview 2013
Claus Peymann Interview 2013(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Firlefanz und Schmock dominierten heute das Theater, meint der ehemalige Burgtheater-Chef. Ein Gespräch anlässlich des Symposiums zum Jubiläum im Haus am Ring.

Die Presse: Im Burgtheater läuft ein Symposium: „Von welchem Theater träumen wir?" Was assoziieren Sie da - Wunsch-, Alb- oder Weckträume?

Claus Peymann:
Mein Beitrag besteht darin, aus Erinnerung zu schöpfen. Mein Traum vom Burgtheater ist ausgeträumt, ich habe meine 13 Jahre hier längst gelebt. Da kommen Peter Handke, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Peter Turrini, George Tabori, Werner Schwab und auch Hilde Spiel vor. Diese Zeit aber ist vorbei, nicht nur in Österreich. Heiner Müller ist tot, Botho Strauß schreibt nicht mehr, Christoph Hein und Volker Braun im Grunde auch nicht. Dafür haben wir überall Firlefanz und Schmock.

Handke und Jelinek sind doch noch aktiv.

Wir spielen im Berliner Ensemble viel von Handke, er ist eine wichtige Stimme. Ich würde mir wünschen, dass er weiter Freude am Theater hat. Mit ihm habe ich mich bei „Immer noch Sturm" überworfen, aber die ursprüngliche Gemeinsamkeit, ja Freundschaft, ist wieder zurückgekehrt. Jelinek hat jedoch ihren Traum vom Theater ausgeträumt. Sie schreibt keine Stücke mehr, sondern Textflächen. Das macht mich sehr traurig, wenn ich an ihre früheren Stücke denke, als sie eine große Dramatikerin war.

Was ist ihre Krux?

Sie arbeitet nun mit den Abschaffern des Theaters zusammen, erfindet keine Figuren und Geschichten mehr. Es gibt keine Gestaltung, sondern das Prinzip des Jazz. Sie musiziert mit der Sprache. Das ist aber nur ein Teil des Theaters, man muss auch Menschen erfinden. Ich könnte weinen, dass sie jetzt nach dem Nobelpreis den Totengräbern des Theaters in die Hände spielt und in einem seltsamen literarischen Masochismus bejubelt, dass diese Leute ihre Texte zerstören. Ich liebe sie nämlich sogar.

Wie kommen Sie sich in der Situation vor?

Wie ein Mammut, eine anachronistische Figur, obwohl die Menschen unser Theater lieben. Als ich noch hier Direktor war, schwankte es immer zwischen einem Alb- und eine Lusttraum. Für Burgtheater-Träume sollte man eher vierzehnjährige Schauspielschüler fragen. Im Alter nimmt außerdem die Schlaflosigkeit zu, da ist die Traumzeit natürlich eingeschränkt.

Träumen Sie viel?

Ja, ich bin ein Vielträumer, aber an das Visionäre kann ich mich dann meist nicht mehr erinnern. In Berlin träume ich nun den Traum eines alten Mannes am BE, mit Bertolt Brecht und Heiner Müller, nur ganz selten taucht noch eine Erynnie aus Wien auf. Ich hatte immer schöne Begleitung. Und dann gibt es die Alltagsträume. Was mache ich mit der nächsten Aufführung, mit dem verdammten Rolf Hochhuth.

Der Dauerstreit mit diesem Dramatiker, der die Immobilie des BE am Schiffbauerdamm besitzt, der Sie als Mieter loswerden will, wirkt fast schon inszeniert. Was halten Sie von diesem Verdacht?

Nein, da geht es um das Schicksal eines Menschen, der nicht begreift, dass seine Zeit abgelaufen ist. Eben erst vor meiner Abreise nach Wien hat er mir einen langen Brief geschrieben. Ein armer Mensch!

Wie wurde in Ihrer Zeit als Direktor der Hunderter des Burgtheaters begangen?

Wir hätten diesen viel gewaltigeren Termin damals feiern sollen, sind aber vollständig damit gescheitert. Das Jubiläum fiel in die Zeit der großen Kämpfe. Ein großer Teil des Hauses war gegen meine Direktion. Der Boykott des Jubiläums hatte drei besondere Gründe: ein Interview von mir mit der „Zeit", in dem stand, dass Bundespräsident Kurt Waldheim mich in den Nacken geküsst habe. Da gab es Augenzeugen. Und es gab die Vorbereitungen zu Thomas Bernhards „Heldenplatz", das dann skandalisiert wurde. Wir wollten ein Fest, von Hermann Beil inszeniert, bei dem alle 100 Burgschauspieler auftraten. Wir hatten den Ablauf bereits auf Papier fixiert. Dann aber fragten wir, was mit jenen Burgschauspielern passieren sollte, die in der Nazi-Zeit aufgetreten waren. Es waren ja viele, und berühmte. Aber diese Zeit wollte man eliminieren oder schönfärben. Stattdessen haben wir also Shakespeares „Sturm" gespielt. Die Reaktion hat gesiegt. Das bewegt mich jetzt. Inzwischen bin ich ja eine Kunstfigur in Wien.

Wer tritt denn diesmal neben Ihnen auf?

Die Direktoren Klingenberg, der gar nicht so schlecht war, Achim Benning, der vieles abbekommen hat, Klaus Bachler und Matthias Hartmann. Vielleicht sitzt auch schon der Nächste beim Symposium dabei.

Sind Intrigen in Wien oder Berlin besser?

Für Intrigen bin ich inzwischen zu stark. Eher bin ich schon ein Denkmal, sogar in Berlin. Meine Weggefährten sterben weg. Eben haben wir Otto Sander beerdigt, nun Walter Schmidinger und am kommenden Dienstag Patrice Chéreau. Das ist der Abschied vom vielleicht Größten unserer Generation. Ich bin auch kein Zwerg, aber selbst Brook, Stein, Strehler, Ranconi, Zadek werden überstrahlt von Chéreau. Die Reihen lichten sich bei den Repräsentanten jenes Theaters, für das auch ich stehe. Es steht im Mittelpunkt einer Gesellschaft. Das eigentliche Herz von Wien ist das Burgtheater.

Sie kommen aus dem schwarzen Anzug gar nicht mehr heraus.

Den habe ich schon bei meiner Geburt getragen. Ich war schon schwarz gewindelt. Das ist die typische Theaterfarbe, wenn man nicht auf der Bühne steht. Mit den bunten Vögeln, Königinnen und Königen wollen wir nicht konkurrieren. Das hat einen Zweck. Wenn ein Regisseur zu bunt angezogen ist, dann lasse ich die Finger davon.

Sie sind jetzt schon ein Jahr länger in Berlin als damals in Wien. Genug Distanz also, um die verschiedenen Phasen des Burgtheaters, ja, sogar die Theaterszene der vergangenen 50 Jahre zu analysieren.

Verändert hat sich in dieser Zeit leider, dass Theater früher die Gesellschaft dominierte, sie prägte. Es ist heute ein bisschen in einer Nische. Wir sind nicht mehr die politisierenden Künstler. Das können wir nicht mehr.

Im höheren Alter kann man weise oder wieder wütend und rebellisch werden. Wie schätzen Sie sich selbst ein?

Ich bin nicht wie Peter Stein Monarchist geworden, sondern immer noch Revoluzzer! Wenn es auch wie Größenwahn klingt, würde ich mich als König Lear auf der Heide bezeichnen. Da tobe ich dann halt in Berlin als Theatertier zwischen Spree und Potsdamer Platz herum und warte auf die Erlösung. Ich glaube noch immer an die großen Geschichten und an die großen Schauspieler. Das macht mich dem Anschein nach konservativ, aber diese Art Theater kommt sowieso wieder. Die Elemente des Theaters sind der Text und die Schauspieler. Diese herrliche Lüge, dass Klaus Maria Brandauer Lear ist, dass Gert Voss Lear ist! Diese Lüge ist das große Geheimnis, das die Kinder beim Spielen schon kennen. Es nimmt beim Vorführen die Angst. Es mag sein, dass die wirren Träume von Jelinek, der wirre, kunstlose Ehrgeiz von Regisseuren wie René Pollesch ein Abbild unserer Zeit sind. Ich bleibe ein Träumer von Illusionen, auch wenn es nicht mehr zeitgemäß scheint. Die Kultur des Spielens ist nicht abzuschaffen, selbst wenn sich die Politik im Bereich der Kunst immer mehr aus der Verantwortung stiehlt, Theater schließt, Festivals abschafft.

Reiben Sie sich noch an der Politik?

Ich habe den Rechtsruck hier schon mitbekommen, das Herunterwirtschaften der Volksparteien. Immer wenn ich den Namen Faymann höre, erschrecke ich, weil ich denke, die haben Peymann gesagt. Aber ich gebe zu, dass mir die österreichische Politik recht fern ist. Den Wiederaufstieg der FPÖ habe ich verfolgt. Und jetzt sage ich Ihnen ein Geheimnis. Bei der Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz" 1988 gab es Stoßtrupps der FPÖ, die zur Zerstörung der Aufführung herkommandiert wurden. Da war der derzeitige Spitzenkandidat dabei, Fotos weisen das nach. Strache war damals ein junger Bursch. Wir waren der FPÖ damals aber dankbar, weil sie nicht unwesentlich zum Erfolg von „Heldenplatz" beigetragen hat. Der damalige Parteichef Jörg Haider wäre übrigens ein interessanter Bösewicht fürs Theater gewesen.

Als Ehrenmitglied des Burgtheaters steht Ihnen eine Trauerfeier zu, bei der Ihr Leichnam ums Burgtheater getragen würde. Werden Sie das in Anspruch nehmen?

Ich denke darüber nach. Aber vorsichtshalber habe ich bereits ein Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof reserviert.

Sie wollen nicht bei den berühmten Österreichern auf dem Zentralfriedhof liegen?

Ich liege lieber bei Brecht, Tabori, Müller, Eisler, Hegel, Fichte, Hoppe und Sander. Da wird nachts immer ein heftiger Totentanz gefeiert. Die Kneipen sind dort auch nicht so weit entfernt wie die vom Zentralfriedhof.

Sind wenigstens Wiens Theater besser?

Auch der Zentralfriedhof ist nicht schlecht.

Hätten Sie die Direktion des Volkstheaters übernommen?

Ich bin gefragt worden. Aber Wien ist für mich abgeschlossen. Berlin ist meine Endstation. Das BE ist mindestens so schön wie das Burgtheater, wenn auch nur halb so groß. Ich bin dort künstlerischer Leiter, Geschäftsführer und Besitzer des Berliner Ensembles. Es gehört sozusagen mir. Wenn Sie jetzt nett zu mir sind, könnte ich Sie ohneweiters zum Direktor machen.

Das wäre doch ganz schlimm!

Ja, dann wird mir vielleicht die Subvention gestrichen.

Außer, man macht Sie vorher zum Bürgermeister.

Darauf würde ich mit dem sofortigen Freitod reagieren. Ich habe aber Mitleid mit der Politik. Die sind doch arme Teufel!

Kongress: 125 Jahre Burg

„Wovon träumen wir?“ lautet das Motto des Jubiläumskongresses zu „125 Jahre Haus am Ring“, der vom Freitag bis Sonntag stattfindet. Gäste sind u.a. Claus Peymann, Klaus Maria Brandauer, André Heller, Achim Benning, Andrea Breth. Außerdem diskutieren Theatermacher am Freitag und Samstag im Theatermuseum.

Infos: www.burgtheater.at/kongress

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2013)

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