Bachmann-Wettbewerb: Halbzeit in Klagenfurt

Zwischenbilanz: Ratlosigkeit bei der Jury, in der Literatur trifft Erste auf Dritte Welt.

Es plätschert im Wörtersee. Schuld an der eher matten Vorstellung in der ersten Hälfte des diesjährigen Bachmann-Preises ist möglicherweise Fortuna, die für die Auslosung der Reihenfolge der Kandidaten zuständig ist. Sie reihte fast alle Favoriten und Geheimtipps nach hinten. Bisher fehlten deshalb die Höhepunkte. Und das betrifft nicht nur die verlesenen Texte, sondern auch die Kritik daran.Der einzige, der für ein wenig Dramatik sorgte, war der Wettergott: Er schickte am ersten Tag, kurz vor Beginn der Nachmittags-Session, ein Gewitter. Leider erleuchteten die Blitze weder Autoren noch Jury. Gebe es nicht Scheinwerfer, die das Publikum anstrahlen, die Ratlosigkeit der Jury ob der bisher verlesenen Texte hätte auch die Zuhörer erreicht.

Die neuen Preis-Richter haben noch nicht richtig Tritt gefasst, die Rollen, wer die Verteidiger sind, wer die Rackerer und wer den Angriff übernimmt, sind noch nicht so recht verteilt. In der ersten Spielhälfte machten alle alles, oft innerhalb einer einzigen Diskussion, was für Verwirrung sorgte.

Dabei spielten Farben keine geringe Rolle: weiß, rot, schwarz oder doch orange? "Weiß war mir zu gefährlich, rot zu ordinär, und schwarz . . . Mit schwarzer Unterwäsche geht man ein in die endlose Reihe von Frauen, an die ein Mann sich später nie mehr erinnert. Orange ist leicht, ein Anfang ohne schwere Untertöne." So philosophierte die Schweizerin Christine Rinderknecht. Damit hatte ein Thema des ersten Tags seinen Kulminationspunkt erreicht: Dessous werden für die neue deutschsprachige Literatur wichtig. Für die Jury wieder einmal Grund zur Klage darüber, dass dieser Literatur offenbar die Themen abgehen.

Das konnten sie Kathrin de Vries, der Frau des Bachmann-Preisträgers von 2000, Georg Klein, nicht vorwerfen. In diesem, bewusst in vormodernem, märchenhaften Ton gehaltenen Text geht es um eine Weiterentwicklung von Orwells "Big-Brother-Überwachungsstaat" über eine Reinkarnation mittels Gentechnologie. Weite Teile der Jury zeigten sich jedoch ratlos. Burkhard Spinnen sprach von einem "unerschlossenen kulturellem Kontext", in dem die Literatur nochmals erfunden würde.

Die Vermischung von Archaischem mit Postmodernem scheint ein Kennzeichen des diesjährigen Wettlesens zu sein. Der letzte des ersten Tages, Henning Ahrens, las einen Text mit dem Titel "Commander Coeursledge" vor, der - wie Thomas Steinfeld bemerkte, nicht aus der Literatur, sondern aus der Welt der Comics und der Science-Fiction-Filme stammt.

Der Text versucht in einer Art "Pumpgun-Ballett" (Radisch), moderne Bewusstseinsräume in die Literatur überzuführen: "Mad Max goes Literature". Doch auch die Science-Fiction kann, wie Spinnen anmerkte, "alle Aufwertung mit ihrer trivialen Aura umfangen wie die Pornografie". Für Juryvorsitzende Radisch blieb es deshalb eine "Literatur für große Jungs".

Dem folgte am zweiten Tag die "Literatur für große Mädchen", die Norbert Miller - ein Gewinn für die Jury - "auch nicht mochte". Nach diesem Text von Sünje Lewejohann entdeckte Radisch plötzlich ihre neue Liebe zur "Literatur der großen Jungs". Bei Lewejohann streeruwitzt es gewaltig "Im Farnschatten", so der Titel, da die Autorin viel mit Parataxen arbeitet. Für Haslinger, der die Flensburger Autorin "aus Überzeugung" eingeladen hat, spielt der Text mit Tonarten der Literatur.

Vergleichsweise gut bewertet wurde Ulla Lenze, die das Publikum nach Indien entführte, aber nicht um unseren Durst nach Exotismus zu stillen, sondern um das Leben in der Ersten Welt in Frage zu stellen. Indien kommt nur als Folie für Lebensentwürfe, Lebensläufe in den beiden Welten vor, also für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Das war die Einstimmung auf den bisher überzeugendsten Text: "Häute" nennt der 1964 in der Türkei geborene, in Kiel lebende Feridun Zaimoglu seinen Romanauszug, die Geschichte eines türkischen Emigranten, der nach vielen Jahren in seine Heimat zurückkommt. Doch die Rückkehr ins vorkapitalistische Paradies gibt es nicht mehr. Miller lobte an dem Text den Reichtum der Sprache, der Figuren, der Farbe. Achtung Bachmann-preisverdächtig!

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