Turrini über Mozart: Künstler-Kult, Kitsch, Western-Kasperliade

"Da Ponte in Santa Fe": Claus Peymann hinterließ den Salzburger Festspielen eine Peter-Turrini-Uraufführung. Der Dichter streute Mozart und allem Künstler-Kult viel Weihrauch. Bei der Premiere gab es kurzen Applaus und laute Buhrufe.

Vor dem Genius loci Mozart hat sich Peter Turrini in diesem Auftragsstück artig verbeugt - und dem großen Salzburger dabei gewiß schelmisch zugezwinkert. Denn ein Singspiel besonderer Art hat sich der privilegierte Gast ausgedacht für die Opernkultstätte Salzburg.

Man schreibt Mitte des vorvorigen Jahrhunderts, die Stadt heißt Santa Fe, man kennt sie aus Hollywood. Auf und hinter der Bühne, die einen Western-Salon vorstellt, wird "Don Giovanni" gegeben. Es singt ein Tenor im Fettwanstkostüm den Titelhelden - bis er zuletzt in die Bühnenunterwelt abgeht. Es singt ein tragikomischer Alter - der im Opernfoyer Schnaps verkauft und von sich behauptet, der Librettist Lorenzo Da Ponte zu sein. Es versucht sich als Sänger ein als Billeteur eingekleideter Pistolero - weil er auf den Dollarsegen hofft, den die Opernhäuser von New York, Rom, Wien und natürlich Salzburg verheißen.

Ein vierzehnjähriges Mädchen führt sich mit einem Marienlied in dieses Schmuddel-Opernmilieu ein - und muß blitzschnell und schmerzlich erfahren, daß die Männer nicht auf ihre Stimme, sondern ihren Leib scharf sind. Nur einer, der als "Mozart" mit einer Allongeperücke auf die Theke springt, will keine Musik: Stark jüdelnd fordert er Tantiemen ein.

Ein exaktes dramaturgisches Gerüst hat Turrini gezimmert: ein einziger Schauplatz genügt während der (fein gerafften) Aufführung einer einzigen Oper! Doch je strenger die Kammer, desto bizarrer die Szenerie. Es wird darin nach Herzenslust getrunken, geschossen, geprügelt und geschweinigelt. Und zwischendurch gefühlstief der Weltschmerz als ein existentielles Leiden an der Kunst bejammert.

Das eine Mal wird die Kunst emporgehoben als Heilige - nach der unser Dirty Old Man Da Ponte strebt wie ein Sünder nach der göttlichen Gnade; das andere Mal wird sie von Producern zum Geldverdienen auf den Strich geschickt.

Ironie und Obsessionen

Ein Drama über die Kunst und den Künstler voll tückischer Ironie, freilich auch mit Turrinis üblichen sexuellen Obsessionen angereichert. Die sind, so wird an einem Beispiel vorgeführt, lebenserhaltend, Überlebensnotwendigkeiten: "Da Ponte" zeigt dem jungen Mädchen einen Apparat, den jeder altersschwache Mann unter Hemd und Hose schnallen kann. Schlägt er sich an die Brust, erigiert aus dem Hosenschlitz ein Metallpenis; als "Da Ponte" erschossen werden sollte, bleibt die Kugel in der Metallplatte überm Herzen stecken. Den als sittenstrengen Aufklärer bekannten Kaiser Josef II. habe er in Schönbrunn, so erzählt der Alte, mit einem lasziven Gstanzln gewonnen - er habe ihn dafür zum Hofdichter gekürt (tatsächlich wurde Da Ponte dem Kaiser einmal vorgestellt). Wer ist "Da Ponte"?

Als Kaufmann gescheitert, unter der Fuchtel seiner Frau, ein Lebenskünstler, Hochstapler, Enthusiast, Versager, Liederling, ein traurig-sehnsuchtsvoller barocker Hans Wurst und als solcher ein unsterblicher Künstler - aber im Finale der Komtur, der über Don Giovanni wie Gott das Strafgericht hält.

Wenn der alte Mann seine Identität preisgibt, ist sie so wahr wie erfunden. Ein Jude aus dem Ghetto von Ceneda sei er, gesteht er dem Mädchen, seinem späten Augenstern. In Ceneda (heute Vittorio Veneto) wurde als Sohn eines jüdischen Lederhändlers am 10. März 1749 ein Knabe geboren, der mit der Taufe den Namen von Abt und Kloster bekam (Lorenzo Da Ponte) und 1773 zum Priester geweiht wurde. Aus dieser Gegend wanderte auch Vater Turrini, ein Kunsttischler, nach Kärnten zu . . . Der Alte sucht im Vorzimmer vergebens Einlaß zum Don Giovanni (der hinter den Kulissen gesungen und von einem Salon-Orchester begleitet wird).

Hübscher Klamauk

Er scheitert am miesen Impresario und dessen groben Bütteln. Ihm sind die Tore ins Allerheiligste der Kunst verschlossen. Das ist die Handlung, nicht mehr. Soll sie an die Kirche erinnern, der Turrini vorwirft, daß sie Außenseiter in den Narthex verbannt? Solcher Kirchenhader durchzieht Turrinis ganzes Schaffen. "Ich habe mir, weil woanders auch nur Fremde und Fremdheit war, ein literarisches Land gebaut, gegen bestehende Verhältnisse geschrieben und mir solche ausgedacht, in denen ich mich zuhause fühlen konnte", bekennt er im Programmheft.

Turrini ist jedenfalls der beliebteste Außenseiter im Lande Österreich. Bei der Premierenfeier sah man die Vorsitzenden der ÖVP und SPÖ und den Kardinal von Wien, der Suhrkampverlag bereitet eine Werkausgabe in zwanzig Bänden vor.

Eine Singspiel-Kasperliade im Stile des Wild-West-Films, in dem die Helden sich alle als Juden zu erkennen geben, hätte auch George Tabori einfallen können. Sie war bei Claus Peymann - der sie im Herbst im Berliner Ensemble zeigt - in den mitfühlenden Regiehänden.

Turrinis Leib- und Magenregisseur spielt sich mit dem Text, als wenn es seiner wär, er baut hübsche Klamauksituationen und legt Wert auch auf systemkritische Alibi-Sager ("Ich war schon Antisemit und katholisch, da konnte ich auch Österreicher werden", witzelt der jüdische "Mozart"). In Jörg Gudzuhn wählte er einen Da Ponte, der nicht ganz dem Textbuch entspricht - dort wäre er jünger, so alt wie Turrini heute. Gudzuhn lehnt sich an die Künstler-Kultfiguren an, die Bernhard Minetti nach Thomas-Bernhard-Vorlagen zu priesterlicher Unheimlichkeit aufzublasen pflegte. Das Menschliche, Menschelnde kommt bei ihm zu kurz.

Mädchen, Hure, Fee

Axel Werner zeigt es als African American hinterm Garderobetresen in synkopischer Manier: Wie zu einem stummen Tier haben ihn die Unterdrücker dressiert; aber ihm nicht die Würde austreiben können: Er darf sich als Kaiser fühlen. Die Gäste im Salon und den Logen-Separees: Knallchargen. Auch Tobias Moretti ist nur eine schnell vergessene Episode. Michael Rothmann (Billeteur) und Christoph Homberger (Don Giovanni) demonstrieren mit Witz ihre Singstimmen.

Den in Berlin gescheiterten Intendanten Heribert Sasse als Operndirektor auf die Bühne zu schicken, garantiert wenigstens in Berlin Lacherfolge. Annika Kuhl, das Mädchen mit dem großen Traum von der Kunst, schwebt wie eine Fee in die schmutzige kleine Opernwelt: zerbrechlich, neugierig. Ihr geht es nicht besser als den vielen kleinen Glücksucherinnen Horv¡ths. Ganz zum Schluß erzählt sie von ihrem Hurenleben und ihrer Heimkehr zu den Wurzeln in Böhmen, in Österreich. Da baute sie ein Heim für unglückliche Kinder. Eine dramaturgische Schnellbremsung: Turrinis Kunstkult-Kitsch endet im Sozialen. Die Schauspieler wurden beklatscht, Autor und Regisseur von Buhrufern von der Bühne verscheucht. Claus Peymann aber zeigte ihnen ganz frech die Lange Nase.

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