"Facing Reality": Totale Fantasy statt Globalisierungskritik

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Mumok. „Facing Reality“ geht von Wien nach Peking und zeigt, welche Kunst in China offiziell „möglich“ ist.

Dinge ändern sich. Wer wird da gleich an Zensur denken... Und doch, sinniert Mumok-Direktor Edelbert Köb mitten in seiner China-Ausstellung „Facing Reality“ vor einer Reihe sozialkritischer Animationsvideos von Zhou Xiaohu, sahen diese Videos noch ein wenig anders aus, als er sie in einer chinesischen Galerie für die Ausstellung aussuchte. So waren die Uniformen der Polizisten-Tonfiguren, die ein Bordell stürmen, noch eindeutig chinesisch. Und alle nun „amerikanisierten“ Gesichtszüge eindeutig asiatisch.

Die Handlung des Trickfilms allerdings ist die gleiche geblieben: Abgeführt werden die leichten Mädchen – und nicht der dicke Bonze, der zuvor in der Limousine vorgefahren war und bei Razzia-Beginn elegant – die Technik macht's möglich – in der Wand verschwindet. Offiziell, muss man wissen, ist in China die Prostitution nämlich verboten.

Was in der Kunst verboten ist, weiß in China aber zurzeit niemand so genau. „Die chinesische Regierung lässt die Kunst gerade die Freiheit proben“, erklärt Köb. „Was erlaubt ist und was nicht, kann von Provinz zu Provinz völlig unterschiedlich sein. So soll beobachtet werden, ob die Kunst für das System gefährlich sein kann.“ Diese für alle Beteiligten nicht ungefährliche Gratwanderung musste Köb bei der Vorbereitung der China-Ausstellung bestens kennenlernen.

Denn diese mit 130 aktuellen Werken von 30 in China lebenden Künstlern bestückte Schau ist nicht eine von vielen, die derzeit ausschließlich durch westliche Museen touren. Sondern schießt sozusagen zurück, ist eine Kooperation mit dem Pekinger Nationalmuseum (Namoc), wo sie ab April zu sehen sein soll. Was eine gar nicht so kleine Sensation wäre. Es wäre im Namoc die erste Ausstellung westlich orientierter Kunst seit 1989, weiß Köb. Damals, im Jahr des Tiananmen-Massakers, schoss eine chinesische Künstlerin auf eines der eigenen Bilder. Was als mehrfacher Affront angesehen wurde.

Dementsprechend vorsichtig musste wohl auch der chinesische Kurator der Ausstellung, Köbs Gegenpart, Namoc-Direktor Fan Di'an, agieren. So kamen einige Werke, die Köb anforderte, „einfach nicht“. Wie das Video mit Gesprächen von Prostituierten in einer Restauranttoilette. Statt Bildern der Malerin Sheng Ling, die das neue weibliche Selbstbewusstsein junger Frauen zeigen, schickte man harmlosere Filmstar-Sujets.

Zu den chinesischen Tabus in der Kunst, stellt Köb nach Auspacken der Leihgaben fest, zählt neben Erotik auch alles, was sich um Taiwan oder Tibet dreht. So westlich orientierte Kunst, wie sie in der Ausstellung zu sehen sei, ist laut Mumok-Direktor in China sowieso eine klare Randerscheinung: „80 Prozent der Künstler malen immer noch mit Tuschpinsel Kirschblütenzweige und Vögel.“

Ähnlich harmlos sieht der Westen die Kunst der drei absoluten Stars von Chinas Gegenwartskunst. Zu Unrecht, meint Köb, der im ersten Stock der dreigeteilten Schau ihre Rehabilitierung als Konzeptkünstler versucht. Es konnte mit der Auswahl allerdings nicht ganz gelingen, bedauert er. Zwar bat er seine chinesischen Partner, Werke der drei Maler rechtzeitig zu reservieren, was aber nicht passierte. So musste er Zhang Xiaogangs Porträts seiner verfolgten Intellektuellenfamilie, Yue Minjuns dauergrinsende Konfektionschinesen und Fang Lijuns kosmologische Weltenfluchten um viel Geld aus europäischen Sammlungen leihen.

Eine Ladung voll Plastik-Trash

Im mittleren Stock ist die Globalisierungskritiker-Generation (35–40 Jahre) versammelt. Zum Teil recht brachial, wie Liu Jianhua: Er flutet den Raum mit einer ganzen Containerladung des Plastik-Trashs, den China für die ganze Welt produziert. Was die Künstler als besondere Demütigung sehen, erklärt Köb, da die Chinesen „gerade auf ihre Handwerkstradition so stolz sind“. Die jüngste Künstlergeneration, Mitte 20, im obersten Stock, ist aber „total entpolitisiert“, so Köb. Sie flüchten in eine Science-Fiction-Welt.

Die Ausstellung zeige sehr schön, was zur Zeit in China möglich ist, konstatierte bei der Eröffnung der deutsche Galerist Alexander Ochs, der als einer der ersten Ausländer in Peking eine Galerie eröffnete. So gesehen hätte der Titel „Facing Reality“ – der mit der ausgestellten Kunst selbst wenig zu tun hat – nicht besser getroffen werden können. Wobei auch durchaus die österreichische Realität gemeint ist: Denn die Ausstellung ist nur Fragment eines viel größeren, historisch ausgreifenden China-Projekts, das Köb ursprünglich in Kooperation mit anderen Wiener Museen verwirklichen wollte. Vergebens.

CHINESISCHE KUNSTWOCHEN

„China heute“ heißt die Veranstaltungsreihe von 24.November bis 14.Dezember in Wien, sie beginnt im Architekturzentrum mit dem Kongress „Chinaproduction“. Von 27. bis 29.11. folgen Tanz, Akrobatik und Mode im Konzerthaus; von 28.11. bis 14.12. wird Chinas zeitgenössische Medienkunst im Palais Porcia gezeigt. Und von 30.11. bis 6.12. bieten „Chinesische Filmtage“ im Filmhauskino am Spittelberg einen Querschnitt: vom ethnografischen Berlinale-Sieger „Tuyas Hochzeit“ (Bild) zu „Crazy Stone,“ einer Gaunerkomödie im schicken, international angesagten Stil. [filmladen]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2007)

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