Der neue Chef kocht scharf

Schauspielhaus
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Vorspiel und Erstaufführung zum Saisonstart: Die Lesung des Textes von Händl Klaus gerät zu brav, aber Ewald Palmetshofers „hamlet ist tot“ zeigt Zähne.

Das Vorspiel verhieß nichts Gutes. An den Beginn seiner ersten Saison im Wiener Schauspielhaus setzte der neue künstlerische Leiter Andreas Beck am Donnerstag die szenische Lesung von „Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen“, es handelt sich um den Erstling von Händl Klaus, 2001 beim „steirischen herbst“ uraufgeführt.

Der hatte einst, als Klaus Händl, eine kurze Karriere als Schauspieler just an diesem Schauspielhaus begonnen, der Einstieg von Beck war also eine nette Geste an den viel versprechenden jungen Dramatiker. Aber der Vortrag der schwarz gewandeten Belgierin Viviane de Muynck auf weißer Bühne (Bernhard Kleber) mit wenigen Alpen-Requisiten wie Eiswürfeln im Glas, Skiern, Stuhl und Stock geriet doch viel zu elegisch. Die monotone Sphärenmusik verstärkte diesen Eindruck. Einmal huschte anscheinend sogar die junge Leni Riefenstahl bei einer Schneeballschlacht über eine Videowand. Das war denn fast übertrieben.

Merkwürdig: Der Text des Händl ist betörend und die Schauspielerin strahlt so starkes, sympathisches Charisma aus, dass selbst häufiges Sich-Verlesen kaum störte, doch eine gewisse Fadesse ließ sich in den 50 Minuten nicht verleugnen. Es wird ja nicht etwa gar die zurückhaltende Regie (Daniela Kranz) gewesen sein? „Ich wüsste gern, woran ich bin“, sagt die Vorleserin gegen Ende des ersten Monologs. Ganz genau. Da tröstet selbst nicht der finale Satz: „Morgen geht die Sonne wieder auf.“

Ein wildes, anarchisches Stück

Vielleicht aber gibt es auch einen dramaturgischen Grund für das Frugale. Ein guter Koch darf bei der Vorspeise auch nur andeuten, welcher Gaumenkitzel folgen wird. Und nach einer Stunde Pause ereignete sich im Schauspielhaus beim Hauptgang tatsächlich das Kontrastprogramm: Blutwurst scharf gewürzt und mit ausreichend Beilagen. Der Mühlviertler Ewald Palmetshofer (Jahrgang 1978) hat das wilde Stück „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ geschrieben, die Regie (Felicitas Brucker, Jahrgang 1974) hält sich bei der Umsetzung dieses anarchischen Gerichts nicht zurück.

Das Bühnenbild von Kleber bringt abgewohnte österreichische Provinz ins Haus: bauerntümelnde Sitzecke samt Rehbockgeweih. Es wernerschwabelt und elfriedejelinekt in diesem Text, lustvoll schmiegt sich die Inszenierung an ihn, und noch dazu prahlen die sechs jungen Schauspieler, die das künftige Ensemble bilden und noch etliche Uraufführungen vor sich haben, mit ihrem bereits prächtig entwickelten Können. In einem Satz: Es werden 100 unterhaltsame Minuten geboten. Das ist mehr als nur eine Talentprobe, das ist wunderbares Theater.

Der Inhalt dieses Mini-Hamlet mit seiner zotigen Jugendsprache und seinen Anfällen postmoderner Existenzphilosophie ist elementar: Die Alten (Katja Jung als Mutter Caro und Steffen Höld als Vater Kurt) feiern den 95.Geburtstag der Oma, die Kinder Dani (Nicola Kirsch) und Mani (Stephan Lohse) treffen beim Begräbnis eines Freundes das junge Paar Bine (Bettina Kerl) und Oli (Vincent Glander), mit dem sie früher anscheinend sehr eng waren. Jetzt aber spürt man die Entfremdung, und auch die Eltern planen offenbar Unheilvolles. Vom Himmel und der großen Maschine ist die Rede. Wie weit ist es da noch bis zum zweiten Mord? Irgendwann stehen alle mit Blut besudelt auf der Bühne, so wie einst bei Shakespeare im faulen Staate Dänemark.

Unter Inzestverdacht

Wie bei allen unglücklichen Familiendramen gibt es auch bei Palmetshofer die ganz große Klammer: Hier beginnt man am Sarg und endet mit der Hoffnung des Paares: „Bei uns ist übrigens was im Kommen.“ Das freut die ganze Hamletmaschine „total und echt“. Besonders erbaulich für den Zuschauer ist jedoch die Glanzleistung des Ensembles, das einen komplexen, wenn nicht wirren Text beherrscht, der vom streng Philosophischen bis ins Zotenhafte reicht.

Wenn man zwei Einzelleistungen besonders hervorheben will, so sind die Rollen der unter Inzestverdacht stehenden Geschwister hervorragend besetzt. Lohse ist anfangs der leiseste, er steigert sich jedoch furios, wenn es die Situation erfordert. Kirsch wird der lauteste, schrägste Part zugeschrieben, doch auch sie zeigt in den richtigen Momenten große Verletzlichkeit.

Jung und Höld überzeugen als Eltern, deren Skurrilität immer wieder ins Bedrohliche umschlägt. Kerl spielt subtil die etwas weniger wüste Variante des in die Jahre gekommenen Mädels, nur Glander hat, wie es das Drama eben ergibt, über lange Strecken die undankbare Rolle eines besseren Statisten. Seine wenigen Einsätze aber sind dann gelungen. Auffällig ist die Leichtigkeit, mit der gespielt wird, mit der auch über manche Längen und Inkongruenzen hinweggeturnt wird. Von dieser kleinen Theatertruppe darf man noch einiges erwarten.

GESCHICHTE: Schauspielhaus

1978 eröffnet. Der erste Direktor Hans Gratzer glänzte u.a. mit viel beachteten Shakespeare-Inszenierungen („Hamlet“).
1987 übernahm George Tabori, er benannte das Haus in „Der Kreis“ um.
1991 kam Hans Gratzer zurück, spielte Schwab, neue Briten und Oper.
2001 begannen Airan Berg und Barry Kosky. Schwerpunkte: Puppenspiel, Musik.
2007 beginnt Andreas Beck (42): Er konzentriert sich auf neueste Dramatik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2007)

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