Barack Obama macht farbenblind

(c) AP (Rick Bowmer)
  • Drucken

Barack Obamas Siegeszug widerlegt alle Zyniker, die meinten, die USA seien nicht bereit für einen schwarzen Präsidenten im Weißen Haus.

Als Hillary Clinton Anfang Jänner die Vorwahl im Bundesstaat New Hampshire gewann, stand das politische Amerika für einen Moment geschockt still. Nicht, weil ein Sieg der ehemaligen First Lady so schrecklich ist. Sondern, weil laut allen Umfragen Barack Obama gewinnen hätte müssen. „Der Bradley-Effekt“, lautete eine der Analysen für den Wahlausgang an jenem Dienstagabend. „Rassismus“, war die geflüsterte Erklärung.

Seit sich Barack Obama um die amerikanische Präsidentschaft bemüht, geht es nicht nur um die Politik der Kandidaten, sondern auch um deren Hautfarbe. Dass der 46-jährige Afroamerikaner ist – genauer, der in Hawaii geborene Sohn eines kenianischen Vaters und einer weißen, amerikanischen Mutter –, war lange Zeit offiziell kein Thema. Niemand wollte sich mit der Frage beschäftigen, ob Rasse auch anno 2008 noch eine solche Rolle spielt.

Erst New Hampshire und der vermeintliche Bradley-Effekt ließen einen Blick auf die Hautfarbe des Kandidaten zu. Tom Bradley, jahrelanger Bürgermeister von Los Angeles, kandidierte 1982 für das Amt des Gouverneurs von Kalifornien. In allen Umfragen lag Bradley deutlich vor seinem Herausforderer George Deukmejian. Sogar noch am Wahltag sagten Medien aufgrund von „Exit-Polls“ einen Sieg des Bürgermeisters voraus. Doch Bradley verlor. Er war schwarz, Deukmejian weiß.

Im Nachhinein stellten die Meinungsforscher fest, dass viele Befragte angaben, für Bradley stimmen zu wollen, aus Sorge, sie würden sonst als rassistisch gelten. Weniger freundlich formuliert: In der Verborgenheit der Wahlzelle schlug der Rassismus durch (das umgekehrte Phänomen erlebten Meinungsforscher übrigens in Österreich mit Jörg Haiders FPÖ, die bei Wahlen stets bessere Ergebnisse einfuhr als bei Meinungsumfragen. Die Menschen hatten Scheu, sich offen zu dieser Partei zu bekennen).

Der Bradley-Effekt wiederholte sich. 1983 in Chicago, als der schwarze Bürgermeisterkandidat in Umfragen haushoch führte, am Ende aber nur knapp gewann. 1989 in New York, als man dem schwarzen David Dinkins einen 18-Prozent-Vorsprung vor dem weißen Rudy Giuliani im Kampf um das Bürgermeisteramt gab. Am Ende siegte er mit lediglich zwei Prozent Unterschied. Und auch in etlichen Vorwahlen in diversen Bundesstaaten im demokratischen Präsidentschaftswahlkampf 1984 und 1988, in denen der schwarze Jesse Jackson gegen seine weißen Herausforderer unterlag.

Und jetzt also Barack Obama und New Hampshire! Es schien nur logisch in einem Land, in dem auf Pickup-Trucks im Süden noch immer die Konföderierten-Fahne weht. In dem die Rassentrennung in Schulen erst 1954 abgeschafft wurde. In dem bei einer Reise vor drei Jahren im Bundesstaat Mississippi ein Bauer stolz erzählte, dass er eigentlich der rechtmäßige Besitzer etlicher Afroamerikaner in dieser Stadt sei, weil deren Vorfahren einmal als Sklaven auf der Plantage seiner Familie gearbeitet hatten. In dem man noch vor vier Jahrzehnten mehr oder weniger straffrei Schwarze lynchen konnte. Und in einem Land, in dem 2002 ein Senator (Trent Lott) öffentlich die Probleme kritisierte, die man seiner Meinung nach durch Aufhebung der Rassentrennung hat.

Das Schöne am Erfolg von Barack Obama ist, dass er all diese Beispiele zu Einzelfällen macht. Seine Siegesserie nach New Hampshire bewies, dass die Niederlage in dem nordöstlichen US-Bundesstaat nicht dem Bradley-Effekt zuzuschreiben war, sondern einem Fehler der Meinungsforscher oder einem emotionalen Moment von Hillary Clinton in einem Kaffeehaus, der aus einer harten Senatorin plötzlich einen verletzlichen Menschen machte.

Hoffnung auf ein besseres Amerika

Das Vorurteil, dass die USA nicht bereit sind, einen Schwarzen zu ihrem Präsidenten zu wählen, scheint tatsächlich nur ein Vorurteil zu sein. Nicht wegen einer eher zweifelhaften Umfrage des Magazins „Newsweek“, laut der nur drei Prozent der US-Bürger ausschließen, für einen afroamerikanischen Präsidentschaftskandidaten zu stimmen (wer bekennt sich schon offen zu seinem Rassismus?). Sondern wegen Detailergebnissen der Vorwahlen, beispielsweise aus South Carolina.

Vielleicht sind Mississippi und Alabama noch rückständiger beim Umgang mit Afroamerikanern als South Carolina, aber wirklich nur vielleicht. Vor dem Parlament in Columbia weht noch heute die Kriegsfahne der Konföderierten, und viele Lokale sind für Schwarze tabu. Ausgerechnet hier erhielt Obama die Mehrheit der Stimmen der männlichen, weißen Wähler – einer entscheidenden Schicht im November.

Möglicherweise aber ist Barack Obama auch gar kein „echter Schwarzer“, wie man ihm wiederholt vorwirft. Weder von der Hautfarbe – Mulatte und nicht direkter Nachfahre von in die USA verschleppten Sklaven, wie etwa Jesse Jackson – noch von den Lebensumständen: Er wuchs betucht auf, besuchte Eliteuniversitäten und erlebte nie das Elend in den Schwarzenghettos der amerikanischen Großstädte.

Am Ende spielt die Hautfarbe bei dieser Wahl deswegen keine Rolle, weil es schlicht darum geht, wer diesem geprügelten Land nach acht Jahren George Bush wieder Vertrauen und Hoffnung auf ein besseres Amerika gibt. Und das ist Barack Obama.

OBAMA: Karriere dank Rede

Der Senator aus Illinois (geboren 1961) katapultierte sich mit seiner Rede beim demokratischen Parteitag 2004 in eine andere politische Umlaufbahn: Seither kennt die Begeisterung keine Grenzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.