Joseph Weizenbaum: Insel der Vernunft im Cyberstrom

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Nachruf. Der amerikanisch-deutsche Computerpionier und -kritiker Joseph Weizenbaum ist tot.

„Computer können mit Kritik nichts anfangen. Nein, ich bin Gesellschaftskritiker“, pflegte der alte Herr ganz liebenswürdig zu korrigieren, wenn er zum x-ten Mal bei öffentlichen Auftritten als „Computerkritiker“ vorgestellt wurde. Denn als solcher, als großer „Dissident“, war er zuletzt gefragt. Seine erste Lebenshälfte hatte er der Forschung an künstlicher Intelligenz gewidmet, sie hatte ihn berühmt gemacht. Die zweite Hälfte verbrachte er damit, den blinden Technikwahn, den diese Forschungen auslösten, zu kritisieren – etwa 1976 in seinem Hauptwerk „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“.

Er tat es aus eigener Erfahrung. 1966 hatte Weizenbaum am Massachusetts Institute of Technology (MIT) das Computerprogramm „Eliza“ entwickelt. Es konnte Kommunikation simulieren, indem es Aussagen des Gesprächspartners in Fragen umformulierte – so antwortete es etwa auf die Aussage „Ich habe ein Problem mit meinem Auto.“ mit der Frage: „Warum, sagen Sie, haben Sie ein Problem mit Ihrem Auto?“ Heute mutet das schlicht an, damals sorgte Eliza für Euphorie. Psychologen glaubten nun, einen Teil ihrer Beratung automatisieren zu können. Weizenbaum wurde hellhörig.

„Die Geisteskrankheit unserer Zeit“

„Kollegen sagen begeistert, dass künstliche Intelligenz irgendwann menschliches Fühlen realisieren wird“, sagte er vor zweieinhalb Jahren hörbar traurig in einem Interview mit der „Presse“. „Ich antworte: Leider. Damit meine ich nicht, ihr habt Recht, die Maschine wird das können. Ich meine, leider glaubt ihr das. Denn das hat Konsequenzen.“ Er fürchte die Veränderung des Menschenbildes – und den blinden Glauben an die wissenschaftliche Autorität. „Heute ist die Naturwissenschaft, was im Mittelalter die Kirche gewesen ist. Das Fehlen kritischen Denkens ist eine der schlimmsten Geisteskrankheiten unserer Zeit.“

Weizenbaum ist nun nach schwerer Krankheit mit 85 Jahren gestorben, in seiner frühen Heimatstadt Berlin, in die er so spät zurückkehrte. Mit 13 musste das jüdische Kind emigrieren, erst nach dem Tod seiner Frau kehrte Weizenbaum 1996 nach Deutschland zurück. sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2008)

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