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Rolling Stones: Erste Reihe fußfrei

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Martin Scorsese hat einen Konzertfilm mit den Rolling Stones gedreht. Was für ein Problem Mick Jagger damit hatte, wieso sich Charlie Watts nur rasiert anschauen kann und Keith Richards das alles eher locker sieht, erzählen sie im Interview.

Einer Konzert- Dokumentation der Rolling Stones ist nicht jeder Regisseur würdig: Martin Scorsese freilich ist es. 2006 gaben die Altspatzen zwei exklusive Konzerte im New Yorker Beacon Theatre, Scorsese war dabei. Das Ergebnis ist der Film „Shine a Light“, in den der Regisseur auch Archivmaterial montiert hat. Darüber können die vier Herren natürlich jede Menge erzählen ...

Wie fühlt es sich an, mit einem Regisseur wie Martin Scorsese zu arbeiten?

Keith Richards: Was ich dabei gefühlt habe? Das versuche ich immer noch herauszufinden. Als ich gehört habe, dass wieder ein Konzertfilm gedreht werden soll, habe ich zuerst gesagt: Vergesst es! Es gibt doch schon so viele. Als dann aber der Name Scorsese gefallen ist, hat sich alles geändert, denn dieser Kerl dreht unglaubliche Filme.

War jemals geplant, dass der Film auch Aufnahmen von hinter der Bühne beinhaltet?

Ron Wood:Das haben wir gemacht, aber es ist nicht verwendet worden.

Mick Jagger: Es war mühsam, denn es gab kaum Raum hinter der Bühne. Es war unglaublich winzig und vollgeräumt mit Kamerazeug und Kabeln.

Wood: Wirklich, der größte Raum dort hinten hatte die Größe eines Esstisches.

Richards: Martin hat anfangs immer gesagt, dass er nur die Show haben will. Während der Entwicklung des Projekts meinte er allerdings, dass er auch andere Aufnahmen brauchen würde. Er hat sich dann aber dafür entschieden, in den Archiven zu wühlen. Außerdem: Ihr wollt wirklich nicht sehen, wie Charlie und ich versuchen, uns für die Show aufzumöbeln. Das ist sehr langweilig.

Jagger: Ich hatte das Gefühl, und ich glaube, Marty auch, dass es schon ein Klischee ist, einem Künstler hinter die Bühne zu folgen und ihn bei der Vorbereitung zu zeigen.

Mr. Jagger, Sie wirken anfänglich ein wenig irritiert aufgrund der vielen Kameras.

Jagger: Im Film wird das ein wenig überzeichnet dargestellt. Regisseure sind es gewohnt, absolut alles unter Kontrolle zu haben. Ich kenne Martin jetzt schon seit vielen Jahren, aber jeder Regisseur muss akzeptieren, dass es gewisse Grenzen gibt. Bei diesem Gig waren wir auf beengtem Raum, es gab kaum Platz hinter der Bühne, man konnte nirgendwo irgendwas abstellen. Marty hatte ein gewaltiges Kamerakonzept, was verständlich ist, aber nach einer gewissen Zeit hatten wir zu viele Kräne. Das kann auch sehr gefährlich werden, weil man sich leicht daran stoßen kann. Marty wollte zwei gewaltige Kräne im Hintergrund haben: Darüber haben wir lange diskutiert, die haben nämlich fast zwei Drittel der Bühne verstellt.

Wood: Die Menge an Kameraleuten, die Marty engagiert hat, war einfach unglaublich!

Jagger: Nicht einmal das Publikum hatte noch genug Platz. Darüber gab es eben eine winzige, sehr ruhig verlaufende Diskussion.

Mr. Watts, Sie haben gesagt, dass Sie es hassen, sich selbst zu sehen. Wieso denn das?

Charlie Watts: Das mochte ich noch nie.

Richards: Außer, wenn er frisch rasiert ist. Charlie hat schon vor Jahren aufgegeben, wie Cary Grant aussehen zu wollen.

Wie ist es Ihnen denn dann bei den Dreharbeiten
ergangen?

Richards: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass wir diese Show seit Jahren abziehen. Auch bei gewöhnlichen Auftritten haben wir Videokameras installiert. Wir sind es gewohnt, unsere Gesichter immer auf irgendwelchen Schirmen zu sehen. Was mich verblüfft hat, war, dass ich keinen einzigen von Martys Kameramännern jemals gesehen habe. Und er hatte über ein Dutzend! Was er da orchestriert, das ist eine Band, die mindestens genau so gut ist wie unsere eigene. Alles war wunderbar geschmeidig.

Mr. Richards, mögen Sie es denn, sich selbst auf der Leinwand zu sehen?

Richards: Mittlerweile schon. Als ich noch jünger war, hat es mir aber mehr Spaß gemacht.

Wenn Sie sich die alten Archivbilder ansehen, was fühlen Sie dabei?

Richards: So eine Zeitreise ist schon merkwürdig: Wenn man Mick mit seinem süßen kleinen Grinser sieht. Das ist unsere Geschichte und – was ja so komisch ist – sie ist beinahe vollständig aufgezeichnet worden. Unser ganzes Leben ist entweder auf einer Filmrolle oder einer Videokassette. Man gewöhnt sich daran.

Die Stones gehören zu den meistgefilmten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Was unterscheidet diesen Film von all den anderen?

Jagger: Man muss das Wort Dokumentation mal definieren, es gibt sehr viele Missverständnisse darüber. Wenn ich an eine Dokumentation denke, dann meine ich einen Film, in dem eine Kamera jemandem folgt und so weiter. Das ist aber ein Konzertfilm und eigentlich haben wir seit 1981 keinen mehr gemacht. Das ist erst unser zweiter Konzertfilm. Wir haben viele Konzerte auf DVD veröffentlicht, die sind aber weder ausdrücklich gemacht noch auf Film gedreht worden.
Der Film ist ja sehr energiegeladen.

Jagger: Ich bin sogar vom Zusehen müde geworden.

Wood: Ich konnte gar nicht glauben, dass sich Charlie den ganzen Film angesehen hat.

Martin Scorsese sieht ein wenig wie Ihr Vater aus, Mr. Jagger.

Jagger: Ich wünschte, mein Vater wäre noch am Leben.

Scorsese ist aber ungefähr gleich alt wie Sie, richtig?
Jagger: Ja, das kommt hin.

Haben Sie Angst vor dem Tag, an dem Sie nicht mehr in der Lage sein werden, so wie jetzt auf der Bühne herumzuhüpfen?

Jagger: Ich weiß, dass das irgendwann passieren wird. Aber im Moment ist es noch nicht so. Schau nicht durch den Sonnenschein im Heute auf die Wolken im Morgen.

Mr. Jagger, in einem Archivausschnitt aus dem Anfang Ihrer Karriere sagen Sie, dass Sie nicht erwarten, länger als ein Jahr zusammenzubleiben.

Jagger: Das stimmt nicht. Ich habe gesagt, dass ich nicht erwarte, in einem Jahr noch arbeiten zu können. Man hat einfach nicht erwartet, dass man weiterhin Arbeit hat.

Wieso ist die Arbeit immer mehr geworden?

Jagger: Weil wir erfolgreich waren.

Sind die Stones also nur des Erfolgs wegen zusammengeblieben?

Jagger: Nein, aber ich glaube, dass wir nicht zusammengeblieben wären, hätten wir keinen Erfolg gehabt. Wieso sollte man dann auch weitermachen?

Wood: An die Musik glauben und es lieben, zu spielen …

Jagger: Man braucht zwei Sachen: die Liebe, es zu tun und die Liebe von anderen, wenn du es tust. Die Straße führt in zwei Richtungen.

Wood: Und dann haben wir einfach nicht mehr aufgehört.

Wie sehen Sie die Rolling Stones denn jetzt, nach so vielen Jahren? Hat sich etwas geändert?

Richards: Beschafft uns einen Gig und wir spielen. Ganz klar. Wenn ich ein Installateur wäre, dann würde ich vorbeikommen und dein Klo reparieren.

Wie ist es, wenn Sie wieder gemeinsam auf Tour
gehen?

Jagger: Ich muss mir immer überlegen, wann der beste Zeitpunkt dafür ist. Da gibt es künstlerische und kommerzielle Sachen zu berücksichtigen. Wenn etwa gerade hunderte von Bands unterwegs sind, ist es nicht ratsam, selbst auf Tour zu gehen. Ich würde jetzt gern unterwegs sein, aber der Markt ist komplett gesättigt. Es wäre also eine schlechte Idee. Das ist wie im Filmgeschäft, man muss den perfekten Zeitpunkt abwarten.

Wood: Wenn wir dann ein Fenster gefunden haben, dann baut man sein ganzes Leben um und sagt alles andere ab. Es ist eine Verpflichtung.

Hat sich die Dynamik innerhalb der Band verändert?

Richards: Oh, es ist schlimmer und aggressiver geworden. Aber im Ernst: Man wird erwachsen, ob man will oder nicht. Charlie hier ist immer noch derselbe Typ, und ich kenne ihn jetzt seit über vierzig Jahren. Wir haben immer versucht uns treu zu bleiben. Es ist einfach unser Job. Wir tun, was wir tun, wir lieben es, und Gott sei Dank lieben es viele andere Leute genauso. Aber Charlie ist Charlie geblieben, er war nie anders. Naja, jetzt trägt er einen schicken neuen Anzug.

Die Stones im Film

Mythos. Mit der Festschreibung zum sakrosankten Pop-Mythos kommt immer die Erstarrung: Die Rolling Stones sind in Ton und Bild beliebig verwertbar geworden, ihre Musik wird an Werbespots und Hollywoodfilme gepickt, ihre Konzerte ins DVD-Einmachglas gestopft. In den Sechzigern und Siebzigern gab es diese Verkrustung noch nicht, damals ist die Band dann auch im Bild ausgeufert. Eingefangen hat sie etwa Jean-Luc Godard in seinem gegenkulturellen Essayfilm Sympathy for the Devil (1968): Die Stones proben den Titelsong, der Franzose zerschneidet sie mit Bildkommentaren zur Bürgerrechtsbewegung.

Abgründig. Vom heutigen Standpunkt aus wirkt diese Abmischung ebenso exotisch wie die abgründige Konzertdokumentation Gimme Shelter (1970) der Maysles-Brüder: Die Pioniere des Direct Cinema filmen den Auftritt der Stones am Altamont Freeway im 69er-Jahr. In der Ekstase von Tausenden passiert der Mord an einem Einzelnen: Die Ideale der Hippie-Generation zerbröseln während des Happenings, es ist auch eine Zäsur für die britischen Rocker. Die von ihnen bespielte Revolution zerstört sich selbst, die Stones dekonstruieren mit der Freigabe von „Gimme Shelter“ auch einen Teil ihres Images.

Anti-Hype. Nicht immer waren die umstürmten Musiker so leger: Der Künstler Robert Frank hat sie während ihrer 72er-Tour begleitet und die dabei entstandenen Eindrücke in sein Meisterwerk Cocksucker Blues (1972) gegossen. Eine in Schwarz-Weiß gehaltene Ent-Hypung des Phänomens Rolling Stones, getragen von einer großen Beiläufigkeit: Franks Dokumentation bleibt der beste Film zur Band und ist vielleicht auch deshalb nur sehr selten zu sehen. Just nach seiner Veröffentlichung haben die Musiker ihn zurückgepfiffen: zu viele Bilder von Sex und Drogen, hieß es. Martin Scorseses Shine a Light (2008) ist da weit weniger eindrücklich, hat aber auch nicht das Glück des historischen Moments. Sein Konzertfilm historisiert die Band während ihrer Performance mit Archivmaterial und versucht so, den Mythos aufzubrechen. Aber alles, was entsteht, ist ein teuflisches Hochglanzbild.

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