"Der Gott des Gemetzels": Aller Mitschuld am Irak-Krieg

(c) APA (Georg Hochmuth)
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Burgtheater. Dieter Giesing inszeniert „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza. Er spricht über Matthias Hartmann, Claus Peymann, Konversation und Aggression.

Mitten ins Herz des Bürgertums!“, „Theatersensation in Zürich!“, „Ein Erfolgsstück ist geboren!“ – das deutsche Feuilleton, das noch vor wenigen Jahren Yasmina Reza (48) als Boulevardautorin gnadenlos niederriss, hat eine Kehrtwendung vollzogen. Einmütig bejubelte die Kritik 2006 die Uraufführung von Rezas „Der Gott des Gemetzels“ in der Regie von Jürgen Gosch am Zürcher Schauspielhaus. Die österreichische Erstaufführung, ab heute, Samstag, im Burgtheater zu erleben, inszeniert Dieter Giesing (73). Von Reza waren bereits der Longseller „Kunst“, „Dreimal Leben“ und „Ein spanisches Stück“ in Wien zu sehen, die beiden letzteren Dramen inszeniert von Luc Bondy.

„Ich gehöre zu der Partei, die ,Kunst' abgelehnt hat“, berichtet Giesing zu den Streitereien um Reza, „die schon 100 Jahre her sind. Ich fand, dass ,Kunst‘ die feindliche Haltung vieler Besucher zu moderner Kunst unterstützt. Generell habe ich mich für Reza nicht so interessiert. Aber bei ,Der Gott des Gemetzels' war es anders. Ich dachte: Wahnsinn, toll! Eine glänzend geschriebene Komödie, kulinarisch, mit wunderbaren Rollen für die Schauspieler.“

Doch nicht nur der äußere Schein sollte die Zuschauer in den Bann ziehen. Zwei Ehepaare treffen sich zwecks Friedensstiftung. Ihre Kinder sind in Streit geraten. Der eine Sohn hat dem anderen zwei Zähne ausgeschlagen: „Zwei Gesellschaftsschichten prallen aufeinander“, sagt Giesing: „Die zunächst freundliche Diskussion eskaliert in unglaublichem Ausmaße. Die Paare greifen einander an, aber auch die jeweiligen Ehepartner gehen brutal aufeinander los. Das Stück regt an, darüber nachzudenken, wie intolerant sich sogenannte zivilisierte Leute benehmen können.“ In Bochum hat Giesing zuletzt „Motortown“ von Simon Stephens inszeniert, das in Wien am Akademietheater läuft. Es geht um den Irak-Krieg: „Stephens sagt, wir sind alle mit schuld am Irak-Krieg. Die Art von Wohlstand und Aggressivität, in der wir leben, sind der eigentliche Humus für Kriege. Ich will aber jetzt hier nicht den Moralisten spielen“, meint Giesing.

60 Bühnen haben das trocken Schauspiel genannte Gemetzel mittlerweile gebucht. Für Giesing steht das Stück in „einer langen Tradition. Das sind diese Zimmerschlachten, Totentänze, Ehekonflikt- und Gesellschaftsstücke. Es gibt Ähnlichkeiten mit ,Wer hat Angst vor Virginia Woolf?' von Albee oder ,Dämonen‘ von Lars Norén“.

Was hat Gott beim Gemetzel zu suchen? „Nehmen wir mal an, es gibt für alles einen Gott: der Gott der Diebe, der Gott der Wahnsinnigen, der Gott des Krieges“, sagt Giesing: „Man betet den Krieg an. Das Pentagon ist eine Art Kirche. Gott ist auch ein Symbol für das Irrationale.“ Acht Jahre war Giesing, der schon als Halbwüchsiger Lesungen organisierte, um seinem Traumjob, Regisseur und Intendant zu werden, näher zu kommen, Oberspielleiter – in München unter August Everding und in Hamburg, unter Ivan Nagel am dortigen Schauspielhaus.

„Das reicht. Es ist eine Frage, wie man mit sich umgeht. Als Schauspieldirektor ist man von morgens neun bis Mitternacht beschäftigt. Ich habe dann auch noch eine Inszenierung nach der anderen gemacht und etwa, wenn die Kasse nicht stimmte, in zwei Wochen eine Dreigroschenoper auf die Beine gestellt. Das ist ein total erschöpfender Wahnsinn. Claus Peymann z.B. ist der geborene Intendant. Er kümmert sich von morgens bis abends um jeden Nagel...“

Und wie schätzt er Klaus Bachler und Matthias Hartmann ein, der 2009 vom Zürcher Schauspielhaus ans Burgtheater wechselt? Giesing: „Bachler ist souverän. Matthias Hartmann wird mehr wie Peymann sein. Er wird sich mit der Stadt beschäftigen und viel in Erscheinung treten. Er ist immer auf der Suche nach Aufregung und nach irgendwas, das seine Abenteuerlust herausfordert. Ich finde das gut. Ich mag ihn sehr.“

Stadtmensch ohne Inselsehnsucht

Giesing, der schon oft an der Burg inszeniert hat, z.B. Strindberg oder Mamets „Oleanna“, pendelt zwischen Hamburg und Wien, wo er eine Wohnung am Naschmarkt hat. Seine Frau ist Drehbuchautorin: „Ich bin ein Stadtmensch. Eine einsame Insel wäre nichts für mich. Das wäre ja auch berufsfeindlich. Regisseure sind auch Entertainer.“ Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit der Entwicklung von Projekten, „dazu braucht es Zeit, den Zufall und Glück“, sowie mit Lesen, Reisen, meist zu Freunden in anderen Städten, z.B. zu Ausstellungen von Malerfürst Gerhard Richter, mit dem Giesing seit 30 Jahren befreundet ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2008)

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