Wiener Festwochen: Wer liebt schon gern im Nieselregen?

(c) Reuters (Herwig Prammer)
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Shakespeare auf die Schnelle: Luk Perceval legt den Kern von „Troilus und Cressida“ frei.

Tropf, tropf, tropf, immerzu tropftropftropf, wie bei einer kaputten Prostata. Das Wetter ist zuweilen eine Katastrophe bei den Inszenierungen von Luk Perceval. Im Vorjahr führte er in Salzburg eine „Molière“-Revue auf, bei der es Stunden lang Schwindel erregend schneite. Am Montag hatten im Theater an der Wien Bruchstücke von „Troilus und Cressida“ Premiere, die total verregnet waren, während draußen vor der Tür gerade der Sommer zu toben begann. So erweisen sich die Wiener Festwochen bei der Gastproduktion der Münchner Kammerspiele meteorologisch als antizyklisch. Sie sind erfolgreich damit: Ein gelungener Abend für verliebte Kyniker und ernüchterte Romantiker, ein Fest für Perceval-Fans. Diese belgische Feuchte ist aber reine Männersache.

Der Dauerregen und der dichte Nebel fügen sich gut in die Tragikomödienhistorienfarce des William Shakespeare, die von Paul Brodowsky auf zwei Stunden kondensiert und vom Regisseur, der auch den düsteren Raum komponiert hat, in aufregenden Bildern umgesetzt wird. Es regnet in Dutzende Blechschüsseln, sie dienen später den Trojanern, diesen Rittern von der traurigen Gestalt, als Helme. Im Hintergrund droht bereits ein ausgestopftes trojanisches Pferd.

Die Stärken des finsteren Flamen Perceval sind die ganz stillen und ganz lauten Passagen. Es wird viel gebrüllt und geschwiegen in dieser Aufführung, und das passt auch zum verflixten siebenten Jahr der Belagerung von Ilion. Die angreifenden Griechen sind so erschöpft wie die verteidigenden Trojaner. Worum es in diesem Krieg geht, weiß niemand mehr so genau, worum es in der Liebe geht, wird Troilus (Oliver Mallison) bald erfahren. Der jüngste Sohn des Priamus (Barbara Nüsse spielt auch Nestor) ist am Schluss ganz besudelt vom Blut der anderen und der eigenen Enttäuschung.

Nur eine Nacht für die Treue

Dieses Drama gilt als schwierig, seine Mechanik ist im Grunde aber sehr einfach. Es spielt in finsterer Zeit. Troilus liebt Cressida (Julia Jentsch). Die beiden haben nur eine Nacht für Liebesschwüre, denn Cressidas Vater, der Seher Kalchas (Annette Paulmann spielt auch Andromache und Cassandra), ist zu den Griechen übergelaufen und erhält nun die Tochter im Austausch gegen einen gefangenen Trojaner. Hilflos muss Troilus zusehen, wie sich der Griechen-Gorilla Diomedes (Stefan Merki) an das Mädchen heranmacht. Oder besteigt es gleich die ganze Truppe? Das spielt kaum eine Rolle.

Der Sehnsuchtsschrei des Troilus zu Beginn, nachdem Cressida still und wie in Zeitlupe an der Rampe entlang gewandelt ist und er sich das Hemd vom Leib gerissen hat, unterscheidet sich nicht von seinen Schmerzensschreien im Finale. Das Liebespaar, dessen Darsteller in ihrer Tragik, in ihrem fast heiligen Ernst und auch der ohnmächtigen Wut überzeugen, steht nicht im Mittelpunkt. Das Paar ist nur der Rahmen, so diskret wie der zärtliche Kuss, den die beiden unter ihrem Wollkleid tauschen. Zentral ist der Krieg, ist menschliches Versagen. Tropftropftropf. Wo alles beschmutzt wird, kann die Liebe nicht sein und nicht einmal das Heldentum. Perceval hat den Verfall der Werte in seiner ganzen Perversion freigelegt.

Die Schauspieler setzen den Untergang köstlich in Szene. Was für dumme Mannsbilder München hervorbringen kann! Bernd Grawert spielt in einer fantastischen Doppelrolle den gehörnten Menelaos, der wie ein Feldwebel die Truppe dazu bringen will, dass seine Frau Helena zurückerobert wird, aber auch den Entführer Paris, der an Eitelkeit und Stupidität kaum zu überbieten scheint. Menelaos wird ganz heiß, als er in einer Mauerschau davon berichtet, wie es Paris und Helena an der Brüstung miteinander treiben. Er ist das Alpha-Männchen, das nicht zum Schuss kommt. Er ist der Versager. Zehn Jahre lang. Ihm ebenbürtig im Machismo sind Peter Brombacher als beschränkter Senioren-Held Ajax, der mit einem platten Fußball herumkickt, und Hans Kremer in der Doppelrolle Hektor/Agamemnon. Der Heerführer der Griechen muss sich einfachste Parolen einsagen lassen – ein Paradebeispiel der Überforderung. Nestor ist ein dummer Greis, Cassandra eine Übergeschnappte, der die Zwangsjacke wie angegossen passt. Beide Frauen reüssieren in diesen Charakterrollen.

Ein selbstverliebtes Homo-Paar

Und Achilles? Und Patroklus? Christoph Luser und Frederik Tidén spielen ein selbstverliebtes Homo-Paar, das vom vielen Speerwerfen und Schwertschwingen ganz, ganz arg frustriert ist. Zwischenzeitig. Selbst Ulysses (Wolfgang Pregler), der die Situation zu überblicken scheint, entpuppt sich als Besserwisser, der über die Bronze- wie über die Shakespeare-Zeit so ermüdend zu dozieren weiß, dass hinter seinem Rücken Agamemnon Grimassen schneidet. Unwahrscheinlich, dass in dieser Männerrunde nicht bereits alles von allen gesagt worden ist. So tröpfeln sie hin. Einzig der Zyniker Thersites (Joel Harmsen) als Raumpfleger ist wirklich souverän in der Einschätzung der Aussichtslosigkeit. Er schüttet Troilus am Schluss einen Kübel Blut vor die Füße. Diese Geste ersetzt einen ganzen Akt. Es geht weiter. Lage: noch tausend Kriegstage.

DER REGISSEUR

Luk Perceval wurde in Österreich spätestens 1999 durch seine Shakespeare-Version „Schlachten!“ bei den Salzburger Festspielen berühmt. Seit 2006 ist der flämische Belgier Hausregisseur an der Schaubühne Berlin.

Aufführungen: 14. bis 17. Mai, 19.30 Uhr. Publikumsgespräch am 14. Mai nach der Vorstellung. Karten: (01) 58 92 211.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2008)

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