Salzburger Festspiele: „Hinkemann“ ohne Elan

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Miloš Lolić versuchte sich beim Young Directors Project an Ernst Tollers postrevolutionärem Drama von 1923. Die Inszenierung ist seltsam kraftlos.

Als Eugen Hinkemann im dritten und letzten Akt der Tragödie Ernst Tollers schon ganz verlassen und ratlos ist, sieht er in einem Schaufenster einen erzenen Penis. Das sei der Gott Priapus, sagt der Verkäufer zum Kriegsversehrten. Der stellt das Ding dann auf den Herd, entzündet daneben eine Kerze wie zur Anbetung. Diese Textstelle ist grausam. Hinkemann wurde im Krieg durch eine Kugel entmannt. Derart beschädigt verliert er seine Frau, durch die Gemeinheit des vermeintlichen Freundes. Er findet nicht zurück ins zivile Leben. Sein eigener heidnischer Gott ist längst tot.

Was macht der serbische Regisseur Miloš Lolić, der für das Young Directors Project der Salzburger Festspiele am Donnerstag im Republic diese angejahrte Tragödie wiederzubeleben versuchte, aus diesem Detail? Sein Protagonist (Jonas Anders) greift sich vorn in die Hose, schaut hin auf sein Elend und lacht. Wie so vieles in dieser Aufführung bleibt das Körperbetonte aber seltsam kraftlos. Diese eineinhalb Stunden dauernde Neuinszenierung (eine Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus im letzten Jahr des von Montblanc gesponserten Projekts) bietet statt eines großen Wurfes nur Miniaturen.

Er trinkt das Blut lebender Ratten

Symbolisch dafür steht auch das putzige, abgewrackte Ringelspiel mit den dicht gereihten Glühbirnen im Zentrum der von Sabine Kohlstedt gestalteten Bühne. Dort versammeln sich meist fast alle der neun Darsteller wie zur Turnübung. Wer nichts zu sagen hat oder in der betreffenden Szene nicht vorgesehen ist, schaut einfach zu oder zieht sich um. Das gibt dem Ganzen eine Beschaulichkeit, die das Wilde an Toller dämpft.
Hinkemanns Frau Grete zum Beispiel (Katharina Schmidt beherrscht hilfloses Lachen bis zur Verzweiflung) lässt sich mit seinem Freund Paul Großhahn ein (Daniel Christensen), während ihr Mann unbeteiligt einen Meter weiter sitzt, auf dem Sprung zur nächsten Szene. Schon setzt er sich ab, nach oben, ins Karussell. Er hat Arbeit gefunden, demütigende. In einer Schaubude beißt er lebenden Ratten und Mäusen die Kehle durch, trinkt ihr Blut. Dabei liebt er doch Tiere! Der brutale Egoist Großhahn und die inzwischen schwangere Grete entdecken ihn. Es kommt zum Bruch, die Frau kehrt später vergeblich zurück. Von Hinkemann verstoßen, stürzt sie sich aus dem Fenster zu Tode. Zuvor aber macht der Protagonist weitere frustrierende Erfahrungen. Er hat panische Angst davor, lächerlich gemacht zu werden. Zentral ist der politische Diskurs, jenseits der Revolution. Kommunisten, Anarchisten und religiöse Eiferer wissen keinen Rat, wie er sein Schicksal bewältigen soll. Alles wirkt gespalten. Auch die Begegnung mit der Mutter, die ihn nur kurz stützt, wird zur bitteren Enttäuschung.

Ein Aufschrei aus der Festungshaft

Fratzen umgeben den Mann, sie sind mit grellen Farben bemalt, doch das ist schon das Gewagteste an Lolićs Deutung, der doch sonst nicht so schüchtern ist, im Theaterzettel sogar eigenwillig zugibt, auf den „echten Romantiker“ Gavrilo Princip, einen der Attentäter von Sarajewo 1914, „stolz“ zu sein. Toller hätte doch mehr Elan verdient als nur Gymnastik, Theaterblut aus Stofftieren und routiniertes Sprechen. „Hinkemann“ wurde von diesem Feuergeist 1921/22 im Festungsgefängnis Niederschönenfeld geschrieben. Er saß dort wegen Hochverrats, weil er 1919 ein Anführer der Münchner Räterepublik war. Die 1923 in Leipzig uraufgeführte Tragödie zeigt nicht nur plakativ und belehrend Traumatisierungen durch den Großen Krieg, in dem der patriotische Toller einst freiwillig diente. Sie hat doch auch poetische Energie, jenseits der Enttäuschung über die versäumte Revolution.

Toller musste als Jude vor den Nazis flüchten. 1939 erhängte er sich in New York. Dieses Motiv fügte Lolić seiner Inszenierung als letzten Effekt hinzu. Im Original aber bleibt Hinkemann am Ende einfach über: „Jeder Tag kann das Paradies bringen, jede Nacht die Sintflut.“ In Salzburg baumelt er tot vom Ringelspiel. Es beginnt sich zu drehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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