"Quartet: A Journey to North": Die krause Logik der Schlächter

(c) Festwochen
  • Drucken

„Quartet: A Journey to North“ von Shooting Star Amir Reza Koohestani: Ein makabres und beachtliches Kammerspiel aus dem Iran im Künstlerhaus.

Vier Tischchen, vier Sessel, vier Kameras, vier Monitore, vier Wasserbecher sind in der Blackbox des „brut“-Theater im Künstlerhaus nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet, zu je einem Zuschauerblock. Zwei Männer (Attila Pesiani, Mohammad Hassan Madjouni) und zwei islamische Frauen (Baran Kosari, Mahin Sadri) betreten den Raum, sie setzen sich auf einen der Stühle, Rücken an Rücken, konfrontieren die Zuseher.

Das Publikum, die Öffentlichkeit, sieht sich also an diesem Abend bei den Wiener Festwochen in der Rolle der Polizei im Verhör, oder des Richters, denn ein Mann und eine Frau sind Mörder. In 80 Minuten erfährt man (auf Persisch mit deutschen Untertiteln), wie diese gewöhnlichen Menschen ihren Liebhaber, beziehungsweise ihre Familie abgeschlachtet haben – aus verlorener Ehre? Aus Liebe und Hass? Zufällig? Ganz nah kommt man den Schauspielern bei diesen Geständnissen und Zeugenberichten, hört genau, was sie flüstern, stammeln, sieht den Schrecken in ihren Gesichtern, wie das Unfassbare in ihnen arbeitet. Noch deutlicher wird das auf den großen Monitoren, auf denen auch Landschaften und Autofahrten wiedergegeben, Regieanweisungen erteilt und Briefe verlesen werden.

Einfühlung in das Unfassbare

Der iranische Shooting Star Amir Reza Koohestani (*1978), der für das Stück – zusammen mit Filmemacherin Mahin Sadri –, Regie, Bühne, Kostüme und Licht besorgt hat, zeigt diese zwei Geschichten ohne Vorurteil in einem beeindruckenden Ambiente, und auch die Erzählungen der vier Beteiligten fesseln. Zwei Beziehungsdramen erfährt man. Die von Negar und Shahram: Sie wollen Musiker werden. Das Mädchen tötet ihren Geliebten eher zufällig am Valentinstag, weil er ins Ausland gehen will. Die von Ali und Bahare: Ein älterer Mann tötet seine Mutter, zwei Schwestern und den Sohn Ali, dessen Frau sich scheiden lassen will. Sein Vater hält das nicht aus und wird zum Vierfachmörder, vielleicht auch aus Einsamkeit, jedenfalls wie im Rausch.

Das Geschehen schildert er jedoch bedrohlich nüchtern. Nur einmal wird er emotionell: „Ich musste doch meine Familie schützen!“ Er tötet den Sohn, weil er verhindern will, dass dieser zum Mörder seiner Frau wird. Und wenn Ali tot ist, dürfen nach der krausen Logik dieses todessüchtigen Mannes auch die andern nicht mehr leben. Dabei entsteht in diesem geschickt verwobenen Stück sogar so etwas wie Einfühlung.

Die Mörder sind unter uns. Am Ende stehen die Schauspieler auf, gehen ab. „Es ist so leicht geworden zu sterben.“ Dieser Satz klingt noch lange nach. norb

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.