Krassnigg: „Dieser seltsame Krieg im Frieden“

Anna Maria Krassnigg
Anna Maria Krassnigg(c) Salon5 (momentfang)
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Theaterleiterin Anna Maria Krassnigg über ihren „Salon 5“, der heute seine erste Premiere im Nestroyhof hat, über das künftige Projekt Thalhof und das Reinhardt-Seminar.

Die Presse: Sie sind Regieprofessorin am Max-Reinhardt-Seminar. Seit 2007 leiten Sie im 15. Bezirk den von Ihnen gegründeten „Salon 5“, der ab 1. Oktober auch im Nestroyhof spielt. Sie übernehmen ab 2015 in Reichenau den Thalhof. Woher kommt dieser tatkräftige Optimismus – mitten in offensichtlichen Theaterkrisen?

Anna Maria Krassnigg: Es ist Optimismus, aber auch eine charakterliche Deformation. Wenn mich Dinge überzeugen, greife ich zu. Man kann sich seine Zeit leider nicht aussuchen. Da rennt man vielleicht seinem Traum Jahre hinterher, und dann fliegen einem die Dinge zu. Ich bin literaturversessen. Da wäre es doch sehr schwer, den Thalhof, der an mich herangetragen wurde, abzulehnen.

Was war im kleinen, feinen „Salon 5“ bisher die wichtigste Erfahrung für Sie?

Man kann einem Publikum Wagnisse zumuten. Das war in unserem Salon bei 50, 60 Plätzen überschaubar. Jetzt versuchen wir es mit dem Nestroyhof im größeren Rahmen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Hamakom-Chef Frederic Lion. Diese Theaterpartnerschaft zweier verwundeter jüdischer Räume kann beiden etwas bringen. Im 15. Bezirk bleibt der Jugendklub erhalten, im Nestroyhof programmieren wir unsere größeren (Ko-)Produktionen. Wir arbeiten bei Gütertrennung inhaltlich zusammen, stimmen die Spielpläne ab. Das gemeinsame Motto dieser Saison lautet: „Was tun?“

Was erwartet uns da an Provokation?

Wir haben große Lust an Störkapazität. Als Auftakt gibt es von mir und Karl Baratta eine „LiteraTurnhalle“, in der sich (ab 24.10.) Diskutanten mit Robert Schindels Roman „Der Kalte“ befassen. Es gibt einen Salon „Waldheim – Die österreichische Wende“ (25. 10. und 4. 11.) sowie „Faul im Staate“ von Max Gruber mit Des Ano (ab 28. 10.) Wir haben uns aus dem Republikanischen Klub das zerlegte Holzpferd des verstorbenen Bildhauers Alfred Hrdlicka beschafft, mit dem er gegen Waldheims Verdrängung der NS-Zeit im Präsidentschaftswahlkampf 1986 demonstrierte. Es wird wieder zusammengesetzt, ein wertvolles Kunstwerk, das auf diese Zeit verweist, in der so viele Wunden aufgerissen wurden.

Begonnen wird diesen Mittwoch im Nestroyhof mit der Uraufführung von Anna Polonis „Carambolage“. Wer ist diese mysteriöse Autorin? Gibt es sie wirklich?

Es ist eine reale Person, die mir sehr nahe steht und große Lust an der Veröffentlichung ihrer Dramen, aber nicht an Publicity für sich selbst hat. Ich habe für den „Salon 5“ von Anfang an nach Vergrabenem und nach Uraufführungen gesucht, nach Autoren, die das Narrative beherrschen. Mich interessieren die Risse in der Gesellschaft, ob in der Familie oder im Staat, der seltsam zu beschreibende Zustand von Krieg im Frieden.

Sie machen neben experimentellem Theater bald Sommertheater in Reichenau?

Ich vertrete dort weiterhin das freie Theater, das ein urbanes Publikum will und von der Stadt viel stärker unterstützt werden sollte. Sommertheater an sich interessiert mich nicht, wohl aber der Thalhof als Wortwiege, als ein für die Bühne wie für die Literatur und den Diskurs idealer Ort. Wir werden das Programm nicht auf den Sommer beschränken und hoffentlich ab Pfingsten 2015 die der Region verbundenen Autoren pflegen.

An welche Dichter außer an Arthur Schnitzler denken Sie konkret?

An Altenberg, Friedell, Grillparzer, Lenau, Musil. Noch viele andere haben dort geschrieben. Wir werden Ausgrabungen machen, planen auch Uraufführungen, einen gelassenen Umgang mit Zeitgenössischem. Freud hat in Reichenau Teile der „Traumdeutung“ geschrieben! Ich denke zudem an Winterabende mit Literatur. Wir wollen ein heterogenes Publikum, das sich den überaus bezahlbaren Luxus leistet, ein Live-Erlebnis im Thalhof miteinander zu teilen.

Ihre Berufung zur Professorin am Max-Reinhardt-Seminar war kontroversiell.

Als ich mich dort vor nunmehr 15 Jahren mit 28 für eine Gastprofessur beworben habe, war es mein Lebensplan, zwei Jahre zu bleiben. Man hat mich dann händeringend gebeten zu bleiben – ich nehme an, weil ich recht gute Arbeit geleistet habe. Ich wurde viermal verlängert. Als es um das Ordinariat ging, also um Macht, brach ein Shitstorm los, auch von Medien, denen ich das nie zugetraut hätte. Das war aber auch eine erhellende Erfahrung. Die Studierenden, die an dem Boykott beteiligt waren, waren nicht einmal meine, die waren damals mehrheitlich schon weg und fast alle bestens engagiert. Zwei Wochen nach meiner Bestellung hat sich der Wind gedreht. Nach zwei Jahren übernehme ich an diesem 1.Oktober in einem Team mit drei anderen geschätzten Kollegen die Leitung des Hauses.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2014)

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