„Mary Poppins“, klug und witzig

FOTOPROBE RONACHER: ´MARY POPPINS´
FOTOPROBE RONACHER: ´MARY POPPINS´(c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Das Disney-Musical über Erziehung und Kapitalismus beschert kindlichen Gemütern jeden Alters ein erfreuliches Erlebnis – mit Ohrwürmern und Special Effects.

Nach zuletzt gemischten Erlebnissen mit dem kostspieligen Wiener-Städtische-Musical erfreut „Mary Poppins“, seit Mittwochabend im Ronacher zu sehen, fast rundum, dank eines internationalen Ensembles. Vor allem die deutschen Texte (Buch: Ruth Deny, Lieder: Wolfgang Adenberg) wirken pointiert und sehr gelungen. Kindererziehung zwischen Selbstbestimmung, Eltern und Betreuungspersonen, da hat sich die letzten 100 Jahre – das Buch erschien in den 1930ern, es blendet zurück in die viktorianische Zeit, der Film kam 1964 heraus – wenig geändert. Die Kinder wünschen sich ein liebevolles Umfeld, Spiele, Abenteuer und Bonbons, sie sind besserwisserisch und aufmüpfig. Der Vater versucht, dem Nachwuchs seine altmodischen Ideale von Ordnung und Bildung aufzudrängen.

Die Mutter balanciert zwischen Vater und Kindern – und die neue Kinderfrau hat die Hosen an. Kaum hat sie das Haus betreten, ruft sie schon: „Ich bin völlig ohne Fehler!“ Dieses Selbstbewusstsein wird sie noch brauchen. Ihrer Vorgängerin sind eben beim Spazieren die Fratzen davongelaufen, sie trinkt Schnaps und verlässt das Haus.

Mit Mary Poppins wären auch heutige Frauen gut bedient: Anschmiegsam ist sie nicht, sie hat feste Vorstellungen, bringt den Kindern Anstand und soziales Empfinden bei, aber auch der Spaß darf nicht zu kurz kommen. Der Spielraum für die Regie ist bei Disney-Produkten wohl nicht groß, Richard Eyres Inszenierung klappt perfekt. Annemieke van Dam ähnelt optisch der Mary von Julie Andrews, wirkt aber moderner, bei der Premiere schien sie noch etwas steif, dennoch: eine gute Besetzung. Beinahe großartig für ihre Jugend und ihre doch recht anspruchsvollen Partien sind Fiona Bella Imnitzer als Jane und David Paul Mannhart als Michael Banks. Spielen, Tanzen, Singen im Gleichgewicht zu halten, mit Ausdruck, da gehört etwas dazu. Die Kleinen haben Talent.

Nicht so liebenswert wie Dick Van Dyke im Film, aber dafür jung und im Flirten überzeugender: David Boyd als Lebenskünstler Bert, Schornsteinfeger, Lampenanzünder, Maler, Verehrer von Mary, die ihm immer wieder entwischt. Gouvernante zu sein war früher auch eine Möglichkeit, selbstständig zu leben, die eine oder andere Liebschaft zu genießen und sich danach wieder zu einem neuen Job zu empfehlen; für Frauen gab es nicht allzu viele berufliche Möglichkeiten.

Bonus und Happy End für Papa Banks

Generell war das Gouvernantendasein natürlich alles andere als erfreulich: Alle paar Wochen ein paar Stunden frei? Da führt Mary für sich gleich eine bessere Regelung ein. Köstlich ist Tania Golden als Köchin, berührend Sandra Pires als Vogelfrau. Musikalisch ist unter Dirigent Koen Schoots, dem Rasanz manchmal wichtiger ist als Gefühl, fast alles bestens, das Tempo stimmt noch nicht ganz, manche Passagen wirken zu schnell, manche schleppend, an der Textdeutlichkeit könnte noch gefeilt werden.

Hinreißend sind die Tanzszenen und die optischen Effekte: Mary schwebt nach allen Richtungen, Sterne regnen bis in den Zuschauerraum, ein Vogel wird aus seinem Käfig gelassen und verschwindet schimmernd am Rang, eine Projektion. Die Schreckschraube, die nach der Pause kurz den Platz der nach zu viel häuslichem Zwist vorübergehend entflohenen Mary einnimmt, wird mit viel Schall und Rauch in der Besenkammer entsorgt. Spielzeug und die Statuen im Park werden lebendig, Drachen steigen. „Wer ist nicht vergnügt, wenn sein Drache fliegt!“, das ist noch einer der kleinen Ohrwürmer in diesem Musical von Richard & Robert Sherman, mitentwickelt von Musical-Veteran und Produzent Cameron Mackintosh, Andrew Lloyd Webbers Weggefährte.

Der Kapitalismus spielt in „Mary Poppins“ eine interessante Rolle: Der Spekulant geht mit seinen Luftgeschäften pleite, der Unternehmer baut eine Fabrik nach der anderen, schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. Vater Banks springt am Ende voll Frohsinn herum, er hat zum Glück dem richtigen Wirtschaftskerl einen Kredit gegeben, die Aktionäre der Bank sind begeistert, sein Gehalt wird vervielfacht, die bislang sanfte Ehefrau verlangt, dass der Generaldirektor noch einen Batzen drauflegt. Damit steht dem Happy End für die Familie nichts mehr im Wege. Tosender Applaus, Standing Ovations.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2014)

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