Impulstanz: Halb nackt in der Hofburg

(c) Marie Chouinard
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Das Festival für zeitgenössischen Tanz hat eine lange skeptisch beäugte Kunstform salonfähig gemacht. Heute tanzt man in Unterwäsche vor dem Bundespräsidenten, selbst das Kirov-Ballett hat keine Berührungsängste.

Als Preis winkt eine Gurke. Erwin Wurm hat das Qualitätsgemüse originalgetreu in Trophäenform gegossen (Gips mit Acryl bemalt), womit der beste Teilnehmer der Nachwuchsschiene [8:tension] im Rahmen des diesjährigen ImPulsTanz-Festivals geehrt wird. Erstmals wird der „Prix Jardin d'Europe“ vergeben, dazu wurden eigens junge Tanzjournalisten aus aller Welt eingeladen, um nach einem mehrwöchigen Performance- und Workshop-Marathon über die zwölf Arbeiten dieser Kategorie zu urteilen. Weil man sich aber von der, wenn auch hübschen (und natürlich mit voller Absicht nicht der EU-Krümmungsvorschrift entsprechenden) Gurke nichts abschneiden kann, gibt's 10.000 Euro für den Sieger und einen Handshake von Anne Teresa De Keersmaeker (sie wird die Wurm-Gurke überreichen) dazu.

Die flämische Choreografin gehört zu jenen, die sich im zeitgenössischen Tanz bereits Rang, Namen und Respekt erarbeitet haben. Und so sollte sie denn auch beim Empfang von Bundespräsident Heinz Fischer anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des Festivals in der Hofburg vergangene Woche eine Rede schwingen. Nun ist Keersmaeker keine Frau der großen Worte. Aber etwas sagte sie dann doch: „Es ist das erste Mal, dass moderner Tanz in diesem Gebäude aufgeführt wird. Das ist nett.“

Nett? Nein: Revolutionär!

Nett ist gar kein Ausdruck! Es war geradezu revolutionär, wie Anani Dodji Sanouvi und Anne-Linn Akselsen barfuß zu Steve Reichs „Music for Pieces of Wood“ (gespielt auf kleinen Klanghölzern) über den Parkettboden des kleinen Redoutensaals wirbelten und stampften. Und es war beinahe unfassbar, dass in einer zweiten Performance (choreografiert vom Österreicher Chris Haring) Luke Baio und Stephanie Cumming halb nackt (in Unterwäsche oder etwas, das danach aussah) lachend, brüllend und sich in der Bewunderung des jeweils anderen Geschlechts aalend ihr verstörendes „Duo“ vorzeigten. Als zum Abschluss noch das Ictus Ensemble mit Steve Reichs fulminant-rhythmischer Bongo-Komposition „Drumming“ die noblen Kristallluster zum Beben brachte, war klar: Es ist ein Festival, das imstande ist, Konventionen auf den Kopf zu stellen und das über lange Jahre skeptisch Beäugte salonfähig zu machen.

Dass sich die immerwährende Suche nach Qualität lohnt, dass es sich auch auszahlt, sich bei künstlerischen Fehlgriffen der Lächerlichkeit und Kritik auszusetzen, das zeigte auch die ImPulsTanz-Gala zum Jubiläum am Montag im Burgtheater (Reprise: heute, 16. Juli, 20Uhr).

Eine verschwenderisch schöne Gala

Da blieb nichts dem Zufall überlassen. Das war der Abend der ganz Großen, der klingenden Namen, der Vorzeigekünstler, die letztlich für jenen Umkehrschub sorgten, der diese Kunstform auf den roten Teppich brachte: William Forsythe, getanzt vom Mariinsky-, dem ehemaligen Kirov-Ballett. Angelin Preljocaj, interpretiert vom Ballet de L'Opéra National de Paris. Anne Teresa de Keersmaekers Rosas. Und nicht zu vergessen die Compagnie Marie Chouinard. Was für ein verschwenderisch schöner Abend!

Zunächst trafen mit dem Kirov-Ballett die athletischen Meister des klassischen Tanzes auf den amerikanischen Bewegungskonstrukteur William Forsythe. In „Steptext“ treten drei Tänzer und eine Ballerina in eine Art Wettstreit der Körper. Streng und formalistisch lässt Forsythe diese beherrschten Tänzer eine Art Zeichensprache der Gliedmaßen vollführen, lässt sie schlendern, sich falten, drehen, kippen und immer wieder blitzschnell mit den Armen posieren. Die Illusion des intakten, auf das Publikum zugeschnittenen Bühnengeschehens wird immer wieder bewusst zerstört – auch durch Musikunterbrechungen, die zunächst den Anschein eines Wackelkontakts erwecken. Auch das zweite Forsythe-Stück des Abends – „Approximate Sonata“ – ist ein Kontrapunkt, eine Dekonstruktion dessen, was man sich erwartet. Dafür bürgt schon Antony Rizzi, ein Tänzer, dem jeder Berufsberater nach einem Blick auf Wuchs und anatomische Qualitäten nur einen Rat geben könnte: Halten Sie sich von der Bühne fern! Doch schon der zweite Blick fördert sein Talent zu Tage: die Komik. Mit grotesken Grimassen und in verkrümmter Haltung experimentiert er mit einer Ballerina, gibt im grauen Ruderleiberl den Underdog und unterwandert – typisch Forsythe – als köstliche Persiflage die Idee der schönen heilen Bühnenwelt.

Nach Mozart geht die Tradition über Bord

Auch Mozart – seinerseits einst Enfant terrible – hat einen Auftritt: Angelin Preljocaj zeigt in zwei Teilen Auszüge aus seinem Pas de deux „Le Parc“ zu Mozarts Klavierkonzert Nr. 14 Es-Dur und Nr. 23 A-Dur. Manuel Legris und Laëtitia Pujol vom Ballet de L'Opéra National de Paris umschwärmen einander erst schüchtern und verlegen, mit himmelhoch jauchzender Verunsicherung, um sich dann (aber erst nach der Pause) doch mit Haut und Haar hinzugeben. Hier dominiert nicht spektakuläre Akrobatik, das Stück ist getragen von kleinen, nicht minder schwierigen Passagen, von der Ausdruckskraft der Tänzer, von Poesie und Erotik.

Mythisch hingegen die Szenerie bei Anne Teresa De Keersmaekers „Prélude à l'après-midi d'un faune“: Wie ein auf die staubige Erde geworfener Urmensch, der erst die Funktion seiner Gliedmaßen und die nähere Umgebung erforschen muss, bevor er imstande ist, zu den Wesen in seiner Umgebung Kontakt aufzunehmen, windet und dehnt sich Mark Lorimer im gleißenden Licht. Keersmaeker und die keiner romantischen Balletttradition nachhängenden Mitglieder ihrer Kompanie Rosas lassen mit diesem Stück die eigenwillige Kraft und inspirierende Faszination des zeitgenössischen Tanzes in die Reihen des Burgtheaters sickern. Und sind die Vorhut für die Krallen- und Penishörner tragenden Fabelwesen der Compagnie Marie Chouinard, die nach der zweiten Pause in ihrer eigenwilligen archaischen Interpretation von „Le Sacre du Printemps“ noch einmal mit Nachdruck zeigen, dass (tänzerische) Konventionen nur zu einem dienen: Sie über Bord zu werfen.

www.impulstanz.com; ? +43 1 523-55-58

Fantastisch: Porzellan für den König

Für die Needcompany schuf Grace Ellen Barkey „The Porcelain Project“. Eine fantastische Utopie auf einer Bühne voller fragiler Porzellanskulpturen von Lot Lemm: Papierkronenkönige, verrückte Kostüme, unsinnige Schönheit – und doch eine dunkle Ahnung von Macht, Lust und Begehren. (8.8., 21h, Akademietheater)


Virtuosen, absurden Humor und neurotische Erotik verspricht Antony Rizzi mit seinem traurigenSchneemann („Snowman Sinking“), der Liebesfilme anschaut. (28.+30.7., 21h, Akademietheater)

International: Suche nach Heimat

Akram Khan, Spezialist für körpersprachliche Völkerverständigung, rückt mit drei klassischen Tänzern des National Ballet of China und seiner zeitgenössischen Company an. Er mischt in „bahok“ acht Nationalitäten, Sprachen und Tanztechniken. Ein weiterer Schritt auf Khans Suche nach Heimat. (17.+19.7., 21h, MQ/Halle E)

Der Tunesier Radhouane El Meddeb wechselte vom Schauspiel zum Tanz, lässt sich von Arvo Pärt inspirieren und tanzt in der Nachwuchsschiene [8:tension]. (3.8., 21h; 6.8., 22h, Schauspielhaus)

Emotional: Ballons im Parlament

Eintauchen in viertausend weiße Luftballons, die in der Säulenhalle des Parlaments auf einer wogenden Klangwelle zu schweben scheinen. William Forsythe verändert mit seiner Installation „Scattered Crowd“ die Wahrnehmung von Zeit und Raum. Himmlisch! (29.7.–1.8., Parlament)

1967 sang Bobbie Gentry die „Ode To Billie Joe“, einen Blues über den Selbstmord Billie Joes. Jan Fabre ließ sich davon zu einem Solo für Ivana Josic („Another Sleepy, Dusty, Delta Day“) inspirieren. (24.–26.7., 21h; 27.7., 19h, Kasino/Schwarzenbergplatz)

Opulent: Macht der Sprache

Die Kompanie der kanadischen Choreografin Marie Chouinard interpretiert „Orpheus and Eurydice“ einmal anders. Sie ist eine bezaubernde Nymphe, er ein begnadeter Poet – der erste überhaupt. Chouinard spielt mit gewohnt opulenten Bildern, lässt ihre athletischen Tänzer in wilder, teilweise grotesker Bewegung über die Bühne wirbeln und scheut auch nicht vor heftiger Erotik zurück. Und doch: Es geht ihr nicht nur um die Mythologie – es geht vor allem um Geburt und die Macht der Sprache, um die Ausdruckskraft des Körpers. (22.+24.7., 20.30h, Theater an der Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2008)

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