Salzburger Festspiele: Schubert, versteht sich, als Adieu

Abschiedsabend von Alfred Brendel mit Wiener Klassik im Großen Festspielhaus.

Ein Mann der larmoyanten Abschiedszeremonien ist er nicht. Kaum, dass das Festspielpublikum zu Standing Ovations ansetzt, musiziert Alfred Brendel die nächste Zugabe, auf dass die Hörer sich rasch wieder setzen mögen. Das unwiderruflich letzte Salzburger Recital des Pianisten, der seit 1960 Dutzende Festspiel-Auftritte absolviert hat, sollte keine Beweihräucherungszeremonie werden.

Wie so oft schon spielte Brendel Werke von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert mit der von ihm gewohnten Akribie, in jenem verschmitzt-trockenen Tonfall, der ahnen lässt, wie viel Hirnschmalz der Interpret investiert hat, um den Geheimnissen der Genies auf die Schliche zu kommen – und wie ironisch er zuweilen mit den Erwartungshaltungen der Hörerschaft spielt. Sie soll nur merken, wo die Klassik nicht – oder zumindest nicht auf vordergründig-formalistische Weise „klassisch“ ist, wo sie voll der Überraschungen steckt, wo Emotionen ungeschminkt zutage liegen, wo hintergründige Manipulationen aus scheinbar schlichten Sätzen unregelmäßige, hier humorvolle, da angstvoll-verzweifelte, jedenfalls subjektive Botschaften machen.

Eine eigenwillige Mixtur aus intellektueller Durchdringung und einem Stilbewusstsein, das einem mitteleuropäischen (um nicht zu sagen österreichischen oder gar wienerischen) Gefühl für musikalische Natürlichkeit entspricht, darf man vielleicht als zentrales Wesensmerkmal der Brendelschen Kunst bezeichnen. Es dominierte auch dieses letzte, typische Brendel-Programm, das die Kunst der Harmonisierung disparater Elemente auf die Spitze trieb.

Schon Haydns f-Moll-Variationen brechen gegen Schluss aus dem zunächst beinah hausbacken scheinenden Duktus schlichten Wechselspiels aus anmutig figurierten Moll- und Dur-Abschnitten aus, weiten das Ausdrucksspektrum durch jähe harmonische Brüche in jene ungeahnten Welten, die auch Mozart in seiner F-Dur-Sonate (KV 533) beschwört: in einem kompositionstechnischen Husarenstück, das nicht nur zwischen barocker Polyfonie und galanter Satzkunst vermittelt, sondern diese mittels radikaler tonaler Ausschweifungen auch noch auf die Stufe höchster Empfindsamkeit hebt.

Beethoven schreibt über seine Es-Dur-Sonate op.27/1 gleich „Quasi una fantasia“ – Freiheit des Ausdrucks ist Programm wie in Schuberts letzter Klaviersonate (D960). Wer die alle Limitierungen leugnenden Erfahrungen des ersten Konzertteils durchmessen hatte, brauchte da keinen interpretatorischen Nachdruck mehr, um die doppelten, dreifachen Böden dieser Musik zu erfühlen – zum letzten Mal; und doch nicht, denn Konzertchef Markus Hinterhäuser will Brendel den Festspielen zumindest für kommentierende Hörabenteuer erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2008)

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