Schauspielhaus: Ein Tag im Leben des Schlächters

Vladimir Sorokin
Vladimir Sorokin(c) EPA (Stringer)
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Kai Ohrem inszeniert Vladimir Sorokins „Tag des Opritschniks“.

Wie sieht der Alltag eines Killers aus? Hat er eine Seele? Wie denkt er? Der russische Romancier Vladimir Sorokin erzählt in „Der Tag des Opritschniks“ (2006) aus der Perspektive eines Leibwächters, wie sein Land im Jahre 2027 unter einem Diktator funktioniert. Er schildert die Lust an der Gewalt in einem Terror-Regime. Gemeint ist damit wohl aber auch die Herrschaft Putins, der Autor gilt der Nomenklatura als skandalös. Er hält seiner Gesellschaft den Zerrspiegel vor, der trotzdem auch die Realität abbildet.

Ähnlich kalt hat Anthony Burgess vor einer Generation in „A Clockwork Orange“ die Brutalität einer Gesellschaft aus der Sicht des Täters geschildert. Auch Sorokin gelingt das Kunststück; sein Werk schockiert, weil es so wahr scheint.

Wie aber setzt man diesen inneren Monolog auf der Bühne um? Im Wiener Schauspielhaus hat Regisseur Kai Ohrem den 220 Seiten langen Roman auf eine Stunde eingedampft. Es ist ein intensives Lehrstück der Aggression geworden. Max Mayer spielte bei der Premiere Freitag, bei der auch Sorokin zugegen war, den Opritschnik mit Hingabe an das Böse.

Überzeugende One-Man-Show

Wir beobachten einen jungen Mann in Trainingshose und schwarzem Leibchen, am Oberarm tätowiert, an der Wand provisorische Bilder seines Rennwagens und eines Kampfhundes, als Mobiliar ein Ghettoblaster, eine rote Kiste, aus der ein Frauenbein ragt, ein Aquarium. Und eine Flasche Wodka, aus der sich der Killer reichlich bedient. So lebt der neue russische Mensch. Unterwürfig nach oben, brutal gegen die Stigmatisierten. Innere Konflikte hat er nur, wenn eine heikle Mission im Inneren der Macht ihn selbst gefährden könnte. Das Reich wird von Roten, Intellektuellen, Opposition – kurz, allem was den Boss gefährden könnte – gesäubert. Man lebt wieder wie unter Iwan dem Schrecklichen.

Vergewaltigungen, Liquidierungen, eine homosexuelle Orgie als Finale nehmen bestürzende Gestalt an, obwohl Mayer nichts anderes macht, als mit aggressiver Sprache, Schattenboxen und dem Schwingen eines Baseballschlägers eine Atmosphäre der Repression zu schaffen. Gelegentlich unterstützen Videos die Stimmung. Die brauchte es aber gar nicht. Geboten wird eine überzeugende One-Man-Show. Schon allein das Wort „Russland“ ist eine Kampfansage. Am Schluss wird die Sphärenmusik unerträglich. Der Opritschnik holt den Luster runter, eine gigantische Krone, die langsam verlöscht. norb

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2009)

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