"Drei Schwestern": Rasender Weltschmerz

FOTOPROBE DREI SCHWESTERN
FOTOPROBE DREI SCHWESTERN(c) APA (Hans Klaus Techt)
  • Drucken

Regisseur Thomas Schulte-Michels peitscht in eineinhalb Stunden Anton Tschechows „Drei Schwestern“ über die Bühne. Eine reizvolle Verknappung.

Das also ist Russland: Ein fast über die ganze Bühnenbreite des Volkstheaters sich erstreckendes, zweistufiges Sofa an der Rampe, das mit Fellen bedeckt ist. Dahinter erahnt man eine gedeckte Tafel mit Kerzenleuchtern und Getränken, nur die Gesten sind noch prunkvoll, die schleichende Armut entlarvt sie als falsch. Das hier ist ein Russland in der Krise. Die alte Ordnung fällt in Ohnmacht. Schon glaubt man, den Lärm der Revolution zu hören. Die Felle sind furchtbar alt und verschlissen. Mitten im Spiel, als bereits alles verloren zu sein scheint, als Protagonistin Olga frustriert diese Kotzen wegräumt, staubt es gewaltig. In der Stadt hat ein Großbrand gewütet, um nun Obdachlose unterzubringen, werden die Matratzen des Sofas ins Kellerloch geschmissen. Auf der Bühne dominiert schließlich nur noch eine gelbe Metalltreppe. Es geht bergab.

Auch Regisseur (und Bühnenbildner) Thomas Schulte-Michels hat Osterputz gemacht und radikal aufgeräumt für seine Inszenierung, die am Freitag Premiere hatte: Ein Tschechow ohne typischen Tschechow-Zierrat ist es geworden, ohne Kunstpausen, ohne Denkspiele, aber mit bitterer, dichter Melancholie. Trotz der Verknappung ist das Spiel reizvoll. Die Darsteller wenden sich immer wieder kommentierend zum Publikum und füllen dadurch ganze Textpassagen auf, die für diese Kompaktversion (Übersetzung: Alexander Nitzberg) gestrichen wurden. Stattdessen tönt aus dem Hintergrund ein Glockenspiel (Komposition: Olivier Truan) oder gar eine Balalaika – Grundierung für eine stille Tragödie.

Beschädigt, vom Leben gezeichnet

Das Leid der drei Schwestern wird trotz aller Kürze deutlich. Sie wollen fort, und zwar mit Tempo: „Nach Moskau!“ lautet ihr Hilferuf. Doch Olga, Mascha und Irina, überzeugend interpretiert von Claudia Sabitzer, Heike Kretschmer und Luisa Katharina Davids, bleiben sitzen. Sie und ihr Bruder Andrej (Raphael von Bargen) sowie die seltsamen Besucher träumen, sich hinflätzend, von der großen Welt. Und müssen in der kalten Provinzstadt am Ural bleiben. Dass die Damen am Rande der Taiga mehrsprachig gebildet wurden, klingt wie ein Hohn. Für diese kleine Welt hat Tschechow eine Fülle von Typen geschaffen, keine Idealtypen, sondern durchwegs beschädigte Charaktere. Und wenn sie noch nicht vom Leben gezeichnet sind – das kommt schon noch.

Das endet im Versagen. Wer wird den gescheiterten Militärarzt Tschebutykin vergessen? Rainer Frieb spielt diesen Pfuscher klassisch; ein väterlicher Nichtstuer, der klarsichtig um seine Schwächen und sein Schicksal weiß. Gearbeitet hat er noch nie ernsthaft. Seine Kunstfehler liegen sicher unter der Erde. Frieb nimmt sich Zeit bei der Entwicklung der Rolle. Sein Grinsen nimmt bereits Trauer vorweg.

Statt eines Samowars schenkt der Arzt Irina, die am Sterbetag ihres Vaters Namenstag hat, ein Brautkleid. Sie wird es nicht brauchen, nur mit dem Schleier wird grausam gespielt. Der Vater der drei Schwestern war aus Moskau in die Garnison in diesem Nest versetzt worden und ein Jahr vor Einsetzen der Handlung gestorben. Irinas einzige Hoffnung: einen Offizier heiraten, irgendeinen. Sie entscheidet sich für Oberleutnant Tusenbach (Till Firit). Doch am Vorabend der Hochzeit wird er vom Nebenbuhler, Hauptmann Soljony (Thomas Meczele), im Duell getötet.

Wahrscheinlich noch schlimmer als Irina trifft es Andrej, der von der Universitätskarriere in Moskau träumte. In ihn hat die ganze Familie ihre Hoffnungen gesetzt, er enttäuscht sie alle. Von Bargen gibt einen fahrigen Versager, einen Waschlappen, der in der Kreisverwaltung und bei einem Ungeheuer von Frau hängen bleibt. Anna Franziska Srna spielt mit Lust diese herrschsüchtige, betrügerische Land-Trutschen Natalia, die ihren Schwägerinnen das Leben vergällt und sich in deren Haus bereit macht. Ihre ignorante, bäurische Grausamkeit gegen die alte Dienerin, Njanja Anfissa (Elisabeth Krejcir) ist kaum zu überbieten. Ihr Mann beschreibt sie als „anständig, lieb und gut“; jedes Wort eine Lebenslüge.

Andrej verspielt indes das Erbe und macht es so den Schwestern unmöglich, fortzukommen. Er ist eine weinerliche Variante von Oblomow, wenn er untätig dem Boten der Kreisverwaltung (Heinz Petters) Unterschriften verweigert. Nichts passiert an diesem Ort, das sieht man allein schon der missmutigen Miene und dem schlurfenden Gang Ferraponts an.

Jede der Schwestern hat ihre eigene Tragik. Mascha, unglücklich mit einem spießigen Lehrer (Thomas Kamper) verheiratet, wird von Kretschmer am Rande des Nervenzusammenbruches gespielt. Er versichert ihr ständig seine Liebe. Die Körpersprache der Eheleute sagt etwas anderes. Im Duett mit Kommandeur Werschinin (Marcello de Nardo) ergibt sich bei Mascha ganz nebenbei Verzweiflung und Wissen über die Verzweiflung. Am schönsten wird dieses Gefühl sichtbar, wenn Olga, ihres Schicksals als Schulleiterin nun gewiss, still vor sich hin weint. Die Entwicklung zum Stillstand hat sich in vier Akten über Episoden in beinahe fünf Jahren hingezogen.

Das Offizierskorps verlässt nun den Ort. „Irgendwann sind wir alle sowieso nicht mehr da“, kommentiert Olga, die gebildet genug ist, um Marc Aurels schonungslose Philosophie der „Selbstbetrachtungen“ zu kennen. Sie wird sich in die Selbstbescheidung einfinden müssen. „Alles futsch“, sagt dazu der Militärarzt, „Traratraratrara“. Diese lakonische Phrase passt auch zur flotten Inszenierung des Volkstheaters.

Moskau 1901

Anton Tschechows Meister-Drama „Try Sestry“ wurde am 31. 1. 1901 im Moskauer Künstlertheater uraufgeführt. In Wien waren u. a. Inszenierungen von Peter Stein, Leander Haußmann zu sehen. Im VT spielen Claudia Sabitzer, Heike Kretschmer, Luisa K. Davids.

Termine im Volkstheater: 2., 6., 7., 8. 12., 13. und 16. März. ? 01-52111-400/422

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.