Burgtheater: Da Turrini ein Knabe war

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„Bei Einbruch der Dunkelheit“, Peter Turrinis Erinnerung an poetische Anfänge im wilden Kärnten, wird von Christian Stückl vorteilhaft zur Groteske gemacht.

Als junger Dichter hat sich Thomas Bernhard Ende der Fünfzigerjahre am Tonhof in Maria Saal von Mäzenen aushalten lassen, die eine Reihe berühmter und werdender Künstler um sich scharten. Der bereits todkranke Bernhard hat 1984 im Roman „Holzfällen“ furchtbare Rache an seinen Gönnern geübt – jedenfalls haben das jene so gesehen, die dieses Werk, das Hass und Selbsthass zur Wurzel der Kunst macht, auf das Autobiografische verkürzten. Es kam zu einem Prozess, einem Bücherverbot gar. All dies ist inzwischen verklärte Geschichte. Bernhard wie auch das Ehepaar Lampersberg, das ihn 1984 verklagte, sind längst tot.

Ein junger Zeuge aber, der einst in Kärnten dabei war, hat all das Vergangene noch viel später aufgezeichnet. Auch Peter Turrini wurde von Lampersberg gefördert und hat als jugendlicher Lyriker interessiert das Treiben am Tonhof verfolgt. In seinem Drama „Bei Einbruch der Dunkelheit“ kann man am dicken Buben Alois Mitteregger Turrinis Alter Ego erkennen. Er blickt zurück in Wehmut, mit den Augen eines Fünfzehnjährigen.

2006 wurde das Stück von Dietmar Pflegerl in Klagenfurt uraufgeführt. Am Donnerstag, quasi als ein Höhepunkt zur Feier von Turrinis 70. Geburtstag, hatte es am Burgtheater Premiere. Der bayerische Regisseur Christian Stückl, der den „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen 2002 quasi zum Volksstück umformte, der in diesem Genre sowohl in München als auch in Oberammergau brillierte, macht aus Turrinis Rückschau ein turbulentes Kärntner Leilei. Und das ist gut so, denn mit Bernhards selbstzerstörerischem Spott sollte sich der Text nicht messen. Turrini ist kein Hasser, sondern ein Menschenfreund. „Bei Einbruch der Dunkelheit“ wirkt trotz vieler derber Passagen und vereinzelter gemeiner Sätze vor allem melancholisch, ja sentimental. Selbst die Spitzen gegen Bernhard, diesen wehleidigen Autor, der stets bis in die Nebensätze den Genieverdacht gegen sich selbst pflegte, wirken wie Akupunktur. Man stelle sich vor, Bernhard hätte Turrini verarbeitet – er wäre mit Stichsäge und Beil angerückt.

Eine monströse Gräfin

Turrini aber hat ein milderes Alterswerk geschrieben, mit Reflexionen über Dichtung und Wahrheit. Trotzdem tut es ihm gut, dass Stückl eine Groteske daraus formt. Weit weg vom konkreten Anlass kann es als Satyrspiel bestehen. Zum Atout wird hier, dass Barbara Petritsch im Zentrum steht. Sie spielt mit Furor eine alte Gräfin. Aufgedonnert zur Diva mit hochfrisiertem Silberhaar, mit getönter Brille und in skurriler Garderobe, hält sie grausam die Konversation am Laufen, über Kunst, Sex und Nazis. Sie thront auf einem schwarzen Korbstuhl, an dieser dunklen Tafel, zu der im Kontrast sogar ein grauer Baum im Hintergrund aufhellend wirkt. Stefan Hageneier schuf dieses karge Bühnenbild. Die Tochter (Dorothee Hartinger in Lack und Leder) möchte die Mutter mit Hilfe eines Anwalts (Falk Rockstroh langhaarig, böse, im braunen Anzug) entmündigen lassen, doch immer wieder droht das alte Monster, es sei noch nicht dement! Die Gräfin furzt, Rauch steigt auf, sie hat alles im Griff – den Dichter Vinzenz (Sven Dolinski als pickelige Bernhard-Karikatur), den Maler Giuseppe (Laurence Rupp), die nach Kunst schmachtende Brut und den sich als Komponisten gebenden, heftig trinkenden, bisexuell und päderastisch aktiven Schwiegersohn Philippe.

Markus Meyer mit grellgelber, hochstehender Mähne gibt dieses lächerliche Ungeheuer mit derselben Inbrunst, mit der Petritsch das manipulierende Monster spielt. Lauter Kabinettstücke. Zum Beispiel verfremdet dieser unfruchtbare Komponist den Schlager „Marmor, Stein und Eisen bricht“ in Karaoke-Manier. Vor seinen Avancen ist niemand gefeit, weder Alois (Matthias Hecht halbnackt in Lederhosen) noch ein zögernder Freund, der brutal bestiegen wird.

Weil es aber wie ein Volksstück gespielt wird, wirken Flatulenzen ganz naturgemäß im Reigen körperlicher, mentaler und sprachlicher Rohheit. Ein naiver Gegenpol ist die Haushälterin – Elisabeth Augustin wird zur Kärntner Trutschen – köstlich! Man kann sich also an Skurrilem ergötzen und zugleich mit Vergnügen dem Spott Turrinis lauschen, der mit seinen Figuren dann doch gnädig umgeht. Zur Auslöschung kommt es nicht. Das hemmungslose Spiel im lockenden Dunkel bleibt wider Erwarten aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2014)

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