Akademietheater: Denunziantin, von Furien gejagt

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Sieben Schauspielerinnen brillieren bei der Uraufführung von Ewald Palmetshofers „Die Unverheiratete“. Regisseur Robert Borgmann setzt auf erdige Symbole.

Der Krieg war schon fast vorbei, Wien war im April 1945 von der Diktatur der Nazis bereits befreit, da erzählte ein junger österreichischer Soldat der Wehrmacht seinem Vater per Telefon im Postamt, dass er abhauen könne, weil der Kampf ohnehin nur noch ein paar Tage dauere. Eine junge Frau in dem Dorf in Oberösterreich hörte mit, sie meldete es der Obrigkeit. Der Soldat wurde wegen Vaterlandsverrats hingerichtet. Nach dem Krieg erhielt die Denunziantin eine Haftstrafe. Sie zeigte bei ihrem Prozess keine Reue. Aber die Geschichte holte sie dennoch ein, zumindest auf der Bühne. 96 Jahre ist sie nun alt und kommt nach einem Sturz in der Küche ins Krankenhaus, um zum Verdrängten befragt zu werden.

Aus dem kurzen Bericht der unmittelbaren Nachkriegszeit hat der Dramatiker Ewald Palmetshofer (geb. 1978 in Linz) ein geheimnisvolles, überladenes, hoch poetisches Drama von fast zweieinhalb Stunden gemacht, das am Sonntag im Akademietheater uraufgeführt wurde. Sieben hervorragende Schauspielerinnen verwandeln den Abend in ein eindringliches Erlebnis. Sie beweisen mit differenziertem Spiel, welche Energien das Ensemble des Burgtheaters selbst bei einem schwierigen, hermetisch abgeschlossenen Stück freisetzen kann. Bei schwächerer Besetzung und allzu viel Rücksichtnahme auf den Eklektizismus dieses Dramatikers, der zudem Wiederholungsschleifen schätzt, könnte die Aufführung gnadenlos in Langeweile enden.

Frauen wälzen sich in frischen Gräbern

Regisseur Robert Borgmann (geb. 1980 in Erfurt) tappt nicht allzu oft in diese Falle. Zwar überhöht er den dichten, mit Versen garnierten Text von „Die Unverheiratete“, doch lässt er trotz dieser Anflüge von Symbolismus die Darstellerinnen ihre vielfältigen Stärken ausleben. Sie spielen verhärmte, frustrierte, verletzte, harte, exzessive Frauen. Von der Zärtlichkeit bis zur Heimtücke ist alles drin. Vor allem aber wird ohne Rücksicht auf Verlust nachgefragt in diesem charaktervollen Spiel.

Zum Zierrat: Das vom Regisseur geschaffene Bühnenbild besteht aus wenigen Möbeln, einem Telefon, roten oder transparenten Vorhängen, die Zimmer, ein Gericht, ein Krankenhaus suggerieren. Ihr Auf-, Zu- und Niedergehen, Dunkel und Licht (Wände und Decke voller Neonröhren) werden zelebriert, als ob Bewegung und nervige Musik tiefere Bedeutung hätten. Den Boden dominieren 16 Erdhügel. Die machen das Gehen schwer. Sie könnten der Größe nach Gräber sein. Darin wälzen sich später die Nachgeborenen.

Das Stück handelt von drei Generationen von Frauen: der Denunziantin (Elisabeth Orth), ihrer Tochter (Christiane von Poelnitz) sowie deren Tochter (Stefanie Reinsperger). Sie arbeiten die schuldhafte Geschichte der Ersten auf. Die Alte, die Mittlere und die Junge sind zudem von Geistern der Vergangenheit umgeben. Petra Morzé, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt und Alexandra Henkel spielen „4 Schwestern (die Hundsmäuligen)“, die wie Rachegöttinnen aus einer antiken Tragödie den drei Frauen Rechtfertigungszwang auferlegen. Dabei sind sie gekleidet wie Biedermeier-Mädchen, wie strenge Schwestern mit hochgesteckten Frisuren oder auch wie Schönheiten aus der Nazi-Zeit. Am Ende trägt jede der vier sogar ein Hitlerbärtchen. Die Regie neigt eben leicht zur Übertreibung.

Nach dem Sex Fotos von Schlafenden

Den Großteil macht aber nicht der Kriminalfall aus. Man sieht eine meist schweigende, brütende, Fäden ziehende Alte, die von ihren Nachkommen besucht wird: „kann mich nicht erinnern“ ist eine wiederkehrende Floskel. Der Enkelin vertraut die Alte an, dass sie all das Vergangene in einem Heft aufgeschrieben habe. Nach dessen Lektüre leben die Rächerinnen auf – große Show für das antikisierte Damenquartett, das im Furor die Szenen erhellt. Alles will die Junge dann wissen von der Oma. Doch vorerst ist die Enkelin damit beschäftigt, dem Publikum Akkordeon spielend von ihrem ausgeprägten Liebesleben zu berichten. Sie gesteht, die schlafenden Männer nach dem Sex zu fotografieren, betrinkt sich schwer, wälzt sich auf der Erde. Einmal schlingt sie ihre Beine verzweifelt um einen großen Eisblock. Symbol!

Reinsperger und Orth bilden das Kraftzentrum, jede auf ihre Art, die Jüngere mit ungeheurer Energie und zarten Anflügen von Komik, die leicht im Tragischen enden, die Ältere mit enormer Präsenz und außergewöhnlicher Modulationsgabe. Orth flötet, raunzt, wirbt, äußert kalte Wut und spricht dann lakonisch einen Satz wie: „Was nützt die Wahrheit, wenn man sie nicht glaubt?“

Hat diese Gleichgültigkeit, die ständige Ausflucht dazu geführt, dass die Tochter Depressionen hat, dass sie ihre Gefühle vor allem darin zeigt, mit der Axt auf den Schreibtisch einzuschlagen? Später verweist sie darauf, Elektra zu sein. (Das reizt unfreiwillig zum Lachen, denn von Poelnitz hat diese tatsächlich an der Burg gespielt.)
Auch die Mittlere ist eine Unheimliche, sie wird von der Tochter mit Blut übergossen, als nehme sie Teil an einem uralten Opfer, als werde der Hass auf die Mutter übertragen. Von Poelnitz zieht alle Register der Emotionen. Doch der Knoten löst sich nicht in dieser vielschichtigen Versuchsanordnung von Verbrechen und Strafe, von Schuld und Sühne. Nein, noch enger zieht er sich, bis der Atem stockt. Das banale Böse bleibt ein Rätsel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2014)

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