Der "Floh im Ohr" tickt wie eine Schweizer Uhr

FOTOPROBE: 'FLOH IM OHR'
FOTOPROBE: 'FLOH IM OHR'APA/HERBERT NEUBAUER
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Stephan Müller zelebriert im Volkstheater mit gut gestimmtem Ensemble das Grelle an Feydeaus Farce.

Georges Feydeaus „Floh im Ohr“ ist keine Kunst. Dieses Stück über eine Hetzjagd sich betrogen fühlender Bürger mit absoluten Höhepunkten in einem Pariser Puff geht doch immer gut. Vaudeville garantiert seit gut hundertfünfzig Jahren verlässlich Hits in aller Welt, Feydeau (1862–1921) bleibt der späte Großmeister dieses Genres, und „La puce à l'oreille“ ist sein Prachtstück. Oder?

„Floh im Ohr“ gut zu spielen ist höchste Kunst. Da muss beim Timing von hundert Pointen alles stimmen, zudem sollte darüber hinweggesehen werden, dass sich das Paarungsverhalten und der Ehrbegriff der Großstädter zumindest oberflächlich seit dem langen 19. Jahrhundert ein wenig verändert hat. Es darf heutzutage stauben, aber nur, weil so viel Wirbel gemacht wird, wenn gut ein Dutzend Darsteller über die Bühne fegt.

Im Volkstheater hat der Schweizer Stephan Müller diesen Dreiakter inszeniert, in Elfriede Jelineks Übertragung des französischen Textes ins Deutsche. Wie ein Uhrwerk aus dem Jura lässt der Regisseur die Mechanik dieser Komödie surren. Es hat ihm offensichtlich so viel Spaß gemacht, dass er bei der Einbringung der Pointen manchmal ein wenig übertreibt, sodass die Grelle der Farce auch anstrengt. Zudem scheint es unnötig, vor dem letzten Akt eine Pause einzulegen, der Spaß dauert inklusive Unterbrechung ohnehin nur knapp zweieinhalb Stunden. Hätte man durchgespielt, wäre das Ende eine halbe Stunde früher schwungvoller gewesen. So aber wirkt es aufgesetzt.

Aber das sind geringe Einwände, denn dem Volkstheater ist alles in allem eine prächtige Aufführung gelungen, die schließlich enthusiastisch und minutenlang beklatscht wurde. Es fällt auf, dass sich dieses Ensemble im Jahrzehnt von Direktor Michael Schottenberg immer besser gefunden hat und gerade bei Lustspielen verlässlich aufeinander eingestellt ist.

Die Chemie stimmt noch besser als das Timing. Das Bühnenbild fördert eine ziemlich sportliche Performance: Siegfried E. Mayer hat für den Beginn in der bürgerlichen Wohnung des Ehepaars Chandebise eine beige, mit dicken schwarzen Balken bemalte Wand gebaut, die fast nur aus Türen besteht. Wenn sich die Bühne im zweiten Akt dreht, sieht man in grellen Farben das Bordell, zu dem ein Wirrwarr an Treppen führt.

Herzstück des Raumes ist dann hoch oben ein rotes Lotterbett, und auch dieser intime Raum ist eine zweite kleine Drehbühne. Auf Knopfdruck verschwindet das ehebrecherische Möbel, zur Ablenkung taucht dann ein jammernder kranker Mann in einem zuvor verborgenen Bett auf. In diesem Irrgarten treffen sich seriell Paare und Personal. Der Witz: Bis auf einen Doktor, der sich gern peitschen lässt, und einen triebhaften Engländer hat fast keiner Sex, die meisten sind nur in diesem Etablissement, um andere dabei zu ertappen.

Zur Verwechslung trägt wesentlich bei, dass Chandebise dem Hausknecht gleicht. Till Firit gibt diese dankbare Doppelrolle souverän, Susa Meyer steht ihm als Frau Chandebise im Können um nichts nach, so wie Martina Stilp als strenge Spanierin, die ebenfalls von der Verfolgerin zur Verfolgten wird: aufgedonnerte Figur mit extrem toupierten Frisuren, zur Kenntlichkeit verzerrte Karikaturen. Wie ein Buffo assistiert Ronald Kuste den schrillen Damen als mordlustiger spanischer Ehemann, der die feine Gesellschaft in Todesängste treibt.

Die meisten Lacher provoziert (wie oft zuvor) Matthias Mamedof. Ihm liegt die Rolle des Camille perfekt, des mit einem Sprachfehler behafteten, das Dienstmädchen verführenden Verwandten der Chandebise. Der Doktor gibt ihm einen Gaumenring, damit er nicht nur vereinzelte, sondern alle Laute sprechen kann. Es funktioniert. Aber hoppla, schon hat Camille das Accessoire verloren, ehe er zur Auflösung der völligen Verwirrung beitragen kann. Und als er dann tatsächlich fehlerfrei redet, schreien alle auf: „Er ist es nicht, denn er kann sprechen!“ So grausam behandelt Feydeau seine besten Kräfte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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