Schauspielhaus: Wenn Fetzen fliegen

(c) Katharina Roßboth
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Margarethe Tiesel und Nicola Kirsch über einen Gott namens Otto
im Schauspielhaus – und Paarläufe bei Schauspielern.

„Geronnene Interessenslage“ heißt das neue Stück von Clemens Mädge, der 2014 im Volkstheater mit „Ausnahmezustand Menschsein“, einer Variation über Shakespeares „Sturm“ mit Migranten, Aufsehen erregt hat. Um einen Gott namens Otto, der ruht, während seine Frau Anna die chaotischen Mieter in einer Absteige à la Gorkis „Nachtasyl“ bändigen muss, geht es nun in seinem neuen Stück. Robert Borgmann, der zuletzt im Akademietheater „Die Unverheiratete“ von Palmetshofer herausgebracht hat (Einladung zum Berliner Theatertreffen 2015), inszeniert die Uraufführung im Schauspielhaus – mit Margarethe Tiesel, bekannt als Sextouristin in Afrika aus Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“, und Nicola Kirsch, früher am Burgtheater. Im Schauspielhaus war Kirsch in über 30 Stücken zu sehen. Nun verlässt sie Wien, mit Schauspielhaus-Chef Andreas Beck, der das Basler Theater übernimmt.

Liebe, nicht nur Sex. Beide Künstlerinnnen sind mit Schauspielern zusammen, Kirsch mit dem Burg-Mimen Roland Koch, Tiesel mit Franz Solar, am Grazer Schauspielhaus engagiert. „Manchmal fliegen die Fetzen“, bekennt Tiesel. „Manchmal verordnen wir uns einfach eine Pause und reden nicht über das Theater“, sagt Kirsch. Trotzdem sind beide froh, ihre Partner aus der Branche zu haben: „Mein Mann ist mein bester Ratgeber“, sagt Kirsch. „Ich vertraue meinem Mann total, aber er muss Kritik vorsichtig anbringen.“

Wie war es, mit Ulrich Seidl zu drehen und die Rolle einer Fünfzigjährigen zu spielen, die Beachboys in Kenia aufreißt? Tiesel: „Das Thema ist ein Tabu. Es hat viele komische Reaktionen gegeben, als ich gesagt habe: ‚Ich verstehe diese Frauen.‘ Da bin ich teilweise böse angegriffen worden. Die Figur der Teresa hat ja meinen Text. Ich habe mit einigen dieser Frauen gesprochen. Ulrich Seidl hat nicht geglaubt, dass es um Liebe geht. Ich habe ihm gesagt: ‚Es geht nicht nur um Sex!‘ Am Ende hat er es annehmen müssen – und er ist gut gefahren damit.“ Viele Frauen wollten die Rolle der Teresa spielen: „Ich bin übergeblieben. Seidl ist sehr gründlich und sorgfältig.“

Gelten Frauen ab einem gewissen Alter als jenseits von Gut und Böse? „Genau, und keiner fragt, wie es ihnen damit geht und welche Sehnsüchte sie haben.“ Tiesel kam zum Theater, weil sie in Wien im zweiten Bezirk in eine reine Mädchenschule ging: „Die Piaristen haben dann eine Theatergruppe aufgemacht. Da habe ich mir gedacht: Da melde ich mich an, dort lerne ich sicher fesche Buben kennen.“ Die Mutter zweier erwachsener Kinder studierte Philosophie, aber nur kurz, elf Jahre war sie an großen deutschen Bühnen engagiert, in Stuttgart, Frankfurt, heute lebt sie in Graz.

Kurios war Nicola Kirschs erste Begegnung mit der Schauspielkunst: Die Tochter eines Zahnarztes aus Ludwigshafen kam erstmals mit 16 Jahren ans Wiener Schauspielhaus, wo ihre Schwester 1991 Regieassistentin bei der Uraufführung von Werner Schwabs „Übergewicht, unwichtig: Unform“ war. Das Plakat zu der Produktion in der Regie von Hans Gratzer hängte sich die junge Dame in ihr Zimmer: „Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen“, stand darauf, der Satz sorgte in Wien für Diskussionen. Bei der Premierenfeier traf Kirschs Vater auch Michou Friesz, sie spielte die Fotzi. Kirsch: „Fotzi machte mit so einem Würstchen rum. Das hat meinen Vater total beschäftigt, er wusste, ich will zum Theater, und da fragte er sich wohl, ob solche Figuren wie die Fotzi die Perspektive für seine Tochter sind. Aber irgendwann hat er sich seinem Schicksal ergeben.“ Dabei war der Papa nicht konservativ, sondern ein „Freak“, erzählt Kirsch: „Mit Freunden hat er ein altes Flussschiff, die ,Fritz Adler‘, vom Grund des Neckars gehoben und renoviert, auf dem haben wir Urlaub gemacht.“ Kirschs Mutter ist Journalistin: „Meine Eltern sind beeindruckende Typen und keineswegs konformistisch“, betont sie. Ein etwas eigenbrötlerischer Deutschlehrer namens Doktor Schulz, „er lebte mit seiner Mutter und seinen Büchern“, entflammte Kirsch schon in der Schule für Literatur und Theater. Früh kam sie an die Burg, wo Andreas Beck in der Zeit von Direktor Nikolaus Bachler Dramaturg war. Kirsch: „Diese große Bühne im Burgtheater, ein Wahnsinn! Als ich das erste Mal auftrat, 2003, in ,Zeit der Plancks‘ mit Happel, Krisch, Dene, Simonischek, war ich total aufgeregt. Das Adrenalin schoss mir bis in die Haarwurzeln.“

Die Frau checkt alles. Im Schauspielhaus genoss Kirsch nach dem Burgtheater die größere Nähe: „Wir waren anfangs nur sechs Schauspieler. Hier sind wir als
Ensemble, als Team viel zusammen, treten jeden Abend gemeinsam auf. Ich habe bald gemerkt, dass ich hier ganz anders Luft kriege. Im Burgtheater kann es sein, dass man eine ganze Spielzeit nie auf einzelne Kollegen trifft“, erzählt sie. Jetzt freut sie sich auf Basel – und ganz besonders natürlich über ihre dreijährige Tochter: „Ich finde, dass das Leben gerade richtig was kann! Es ist so schön, wenn die Kleine wach wird, dann geht es los, das Leben mit einem Kind hat etwas Gesundendes. Kinder brauchen einen Rhythmus, das ist gut für den Schauspieleralltag.“

In „Geronnene Interessenslage“ spielt Kirsch eine Lehrerin: „Für mich ist wichtig, dass ich eine Ahnung für die Rolle entwickle, meine Nase den Geruch aufnimmt.“ Tiesel über Frau Gott, Anna: „Sie checkt alles, wie es auch im Leben ist. Die Frauen organisieren. Der Mann legt sich nieder. Das Stück ist eine Parabel darüber, dass die Welt und einfach alles verkommt!“ Und es geht um den Stillstand, der Tiesel im richtigen Leben schwerfällt: „Ja, und wie! Ich denke immer, ich muss etwas Sinnvolles tun. Aber man ist nicht nur etwas wert, wenn man etwas macht.“

Tipp

„Geronnene Interessenslage“ von Clemens Mädge, Uraufführung am 13. 2. im Wiener Schauspielhaus mit M. Tiesel, N. Kirsch, S. Höld, M. Schröder. Regie: Robert Borgmann.

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