Max-Reinhardt-Seminar: Theater, das mit der Zeit geht

(c) Christine Pichler
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Schüler des Max-Reinhardt-Seminars auf der Bühne des Akademietheaters: Über die Sogwirkung neuer Stücke und die nächste Theatergeneration.

„Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters.“ Die Worte, die Max Reinhardt im Jahr der Gründung seiner Wiener Theaterschule gesprochen hat, klingen auch heute nach, wenn Tamara Metelka die gegenwärtige Lage des Theaters schildert: „Es ist eine Grundlage des Menschseins. Kunst und Kultur sind in unserer Gesellschaft genauso lebensnotwendig wie essen, atmen, Krankenhäuser haben.“ Metelka hat selbst am Max-Reinhardt-Seminar Schauspiel studiert, am Burgtheater und in der freien Szene gespielt, ehe sie zum Unterrichten an ihre Schule zurückgekehrt ist und im Oktober vorigen Jahres schließlich die Institutsleitung übernommen hat. Seitdem sind sie und ihr neues Team ununterbrochen damit beschäftigt, Beschlüsse und Ausbildungstrends zu überdenken, die es braucht, um
für einen veränderten Theatermarkt auszubilden: „Ich habe keine Angst um das Theater – es geht eher darum,
mit den Veränderungen zu gehen.“ Auch am elitären
Reinhardt-Seminar müssen also Überlebensstrategien
her. Manche sind erst Visionen, etwa die Einbindung des Berufs Theaterautor in den Lehrplan. Eines ist konkret:
Das Seminar wird über Kooperationen mit großen
Bühnen nach außen geöffnet. Den Anfang macht das
Akademietheater, wo Studierende die Stücke „Liebe und Information“ und „Das Schlangennest“ präsentieren.

Lebensnah. Im Palais Cumberland, dort, wo die
Schauspiel- und Regieschule als Institut der Universität
für Musik und darstellende Kunst beheimatet ist, sollen teilnehmende Schauspieler und Regisseure
mit Tamara Metelka zum Gespräch über die beiden Inszenierungen zusammenfinden. Die Räumlichkeiten strahlen idyllische Ruhe aus, doch nur mit Mühe gelingt es, die hektischen Studierenden an einem Tisch zu versammeln: Sie murmeln Entschuldigungen, wichtiger Unterricht wartet. „Um acht in der Früh kommen sie zum Aufwärmtraining, bis elf haben sie Unterricht in Tanz, Körper- und Sprachgestaltung, dann Proben, ab drei Rollenunterricht, von sechs bis zehn wieder Proben, dazwischen Gesangstermine und Termine für die Regieklasse“, weiß Metelka über den engen Stundenplan der Ausbildung Bescheid. Schließlich sitzen alle da, Esther Muschol beginnt von Caryl Churchills „Liebe und Information“ zu erzählen. Für das Stück komme sie als Gastregisseurin „doppelt zurück“, auch sie hat am Seminar studiert, war dann Regie-
assistentin am Burgtheater: „Es geht um die Informationsgesellschaft, in der wir leben, herauszufinden: Was bewirken diese Informationen im Zwischenmenschlichen?“ In über vierzig Szenen in 105 Minuten inszeniert Muschol Minidramen, „ein Kaleidoskop, wo viele Mosaiksteine ein Gesamtbild ergeben, dann dreht man es, und es ergibt ein neues Bild.“ Als wäre die Welt aus den Fugen geraten. Ob in der Schnelligkeit der heutigen Zeit die Liebe Gefahr läuft, auf der Strecke zu bleiben? „Niemals!“, ruft Josephine Bloéb. Als eine von acht Schauspielern muss die Studentin an die zwanzig Mal in verschiedenen Rollen auftreten: „Mir hat geholfen, im Spiel einen roten Faden zu finden. Es gibt Szenen, wo man denkt: Das könnte ich oder einmal ich sein.“

(c) Christine Pichler

Letzteres, so Metelka, gebe beiden Produktionen Sogwirkung: „Sie sagen viel über das Leben von heute aus, aus der Sicht von jungen Menschen“. Auch „Das Schlangennest“ zeigt, wie Junge die Welt reflektieren. Hier geht es um Identitätssuche, eng mit Sexualität verbunden. Regiestudent Evgeny Titov erzählt, wie er Copis Stück über einen absurden Silvesterabend entdeckt hat: „Nach Elektra, meiner ersten Regiearbeit hier, brauchte ich etwas Modernes, vielleicht eine Komödie, da dachte ich an dieses verrückte Ding.“ „Abgründig“, beschreibt Metelka die Geschehnisse, die in einem Pariser Hochhaus vonstatten gehen. Mehr will auch Stefan Gorski nicht über die Handlung verraten, der darin einen Homosexuellen spielt: „Der Autor zeichnete Comics. Diese leben von Überraschungen, so ist das im Stück auch.“ Gorski ist wie Bloéb und Titov Student des dritten Jahrgangs. Auf Identitätssuche, nicht zu wissen, was als nächstes kommt – das kennen die drei nur zu gut.
„Ich bin hier, weil ich eine Aufnahmeprüfung gemacht habe und genommen worden bin.“ Punkt. Weiter kann und will Bloéb nicht begründen, was sie zum Schauspiel geführt hat. Auch für Gorski ist die Wahl noch eher ein vages Gefühl denn Gewissheit: „Wir sind in einem Prozess, in dem man die Beweggründe irgendwo spürt und weiß, es ist richtig, aber nicht warum. Die Punkte muss man erst in der Praxis finden.“

Selbstbehauptung. „Ich war unbelesen; alles, was ich über Schauspiel wusste, kannte ich aus dem Fernsehen, ich wollte nach Hollywood“, sagt Gorski über seinen Weg zum Seminar, „aber ich habe Erfahrungen gemacht, fühle mich hier zu Hause.“ „Es war etwas, wogegen ich mich lang gewehrt habe“, gibt Bloéb zu. Für sie als Tochter von Gregor Bloéb und mit vielen Schauspielern in der Familie „war das der schlimmste Beruf überhaupt. Langsam bin ich wieder draufgekommen, wie lässig das Spielen eigentlich ist. Lieblingsrollen oder Bücher, die mich beeinflusst haben . . .“, Bloéb überlegt, nennt leise „Hermine Granger aus Harry Potter“, spricht dann lauter: „nein, das kann ich nicht sagen, das sind zu viele.“

Titov hat in St. Petersburg bereits eine Schauspielausbildung abgeschlossen, in Wien ist er erst bei der zweiten Bewerbung aufgenommen worden: „Kann sein, dass es später anders kommt, aber jetzt brenne ich für den Beruf.“ Die drei kennen den Prozentsatz der Studienabgänger, die dann doch einen anderen Weg gehen. Für den Notfall haben sie einen Plan B: Tierarzt, Konditorin und Vagabund, wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeint.„Als Vagabund ist man hier eh richtig“, ruft Metelka lachend.

Das vagabundierende Theatervolk kennt besonders Esther Muschol gut, sie ist mittlerweile freischaffende Regisseurin. In der freien Szene müsse man sich immer wieder als Persönlichkeit behaupten, brauche Qualitäten, die über den Namen des Max-Reinhardt-Seminars im Rücken hinausgehen: „In den ersten Jahren ist es selten, dass wer anruft und fragt: ,Möchtest du bei uns Kirschgarten inszenieren?‘“

(c) Christine Pichler

Darauf werde man aber im Seminar vorbereitet, betont Metelka und meint damit nicht nur, dass Scheitern erlaubt ist, sondern auch das Selbstbewusstsein, auf eigene künstlerische Fähigkeiten und Individualität zu vertrauen: „Die Ausbildung ist eine Persönlichkeitsschule.“ Die Gleichung Reinhardt-Seminar ist gleich fixer Platz in einem Ensemble gehe schon lang nicht mehr auf: „Eines, was wir den Studierenden mitgeben wollen, ist Offenheit. Sie sollen in der Lage sein, auf dem freien Markt zu bestehen. Es gibt weniger Jobs, das Feld hat sich auch verändert, viele gehen zu Fernsehen oder Film.“

Proben für den Ernstfall. Damit die Studierenden wissen, wo es später hingehen kann, heißt es, so Metelka:
„Spielen, spielen, spielen. Erfahrungen sammeln. Leute treffen. Sich vernetzen. Von einem Job in den nächsten gehen. Wachsen. Und dann ist es eh so, dass das Leben passiert.“ Bei internen Produktionen üben sie Ensemblearbeit, „außerhalb zu spielen ist doch etwas sehr
Anderes“, erzählt Gorski, der für seine Rolle bei den
Festspielen Reichenau 2014 für den Nachwuchs-Nestroy-Preis nominiert wurde: „Es waren keine Zweifel da, wie sie bei Schauspielstudierenden normal sind. Diese Atmosphäre bestärkt einen.“ Kommenden Sommer wird Gorski wieder in Reichenau spielen, Bloéb in Perchtoldsdorf. Titov ist als Schauspieler in St. Petersburg engagiert. Dort inszenierte er auch schon, trotzdem war seine Freude enorm, als er hörte, dass sein Stück ans Akademietheater kommt: „Ich bin fast vom Stuhl gefallen, das war genauso bedeutend wie die Nachricht, dass ich hier studieren darf.“ Seminar und Akademietheater sind seit jeher eng verbunden, so sollen auch beide Seiten vom Gastspiel profitieren – die Jungen eine Plattform und an Erfahrung gewinnen, das Theater an frischem Wind. Weitere Kooperationen folgen, noch im April etwa ein Festival in der Josefstadt: „Das Verständnis ,ich schotte mich ab und nur ich mache‘ funktioniert nicht mehr, wenn es darum geht, das Theater überleben zu lassen,“ ist sich Metelka sicher, schließlich profitieren auch die Zuseher: „Das haben sie noch nicht gesehen: zwei brandneue Stücke mit neuen Menschen.“

Tipp

Max-Reinhardt-Seminar mit zwei Stücken zu Gast im Akademietheater: Caryl Churchill: „Liebe und Information“, Regie Esther Muschol, 10. 4., 20 h; Copi: „Das Schlangennest“, Regie Evgeny Titov, 17. 4., 20 h.

Siehe www.maxreinhardtseminar.at und www.burgtheater.at

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