„Das war wie ein Elektroschock“

Manuel Legris
Manuel Legris(c) Die Presse - Clemens Fabry
  • Drucken

Mit „Le Corsaire“ hat sich Ballettchef Manuel Legris für die nächste Saison viel vorgenommen. Schon heute zeigt die Compagnie erstmals ein Stück von Alexander Ekman.

Seit fünf Saisonen ist Manuel Legris nun Direktor des Wiener Staatsballetts. Im September 2010 übernahm der ehemalige Danseur Etoile der Pariser Oper die fusionierte Compagnie der Staats- und Volksoper – und Staatsoperndirektor Dominique Meyer legte die Latte für seinen Landsmann hoch: „In der ersten Saison hatten wir acht Premieren – das war ein bisschen zu viel, die Tänzer waren vielleicht noch nicht ganz bereit“, erinnert sich Legris. Meyer habe das Ballett „aus dem Dornröschenschlaf wecken“ wollen und mit viel Energie gefördert – „dafür bin ich sehr dankbar“. Am Anfang sei das „wie ein Elektroschock“ gewesen – für die Tänzer wie für das Publikum.

Seither ist Legris, wenn möglich, in jeder einzelnen Vorstellung gesessen. „Ich weiß, das finden manche verrückt. Aber ich will alle Tänzer sehen, nicht nur die Solisten, und ich muss mich um alle kümmern, muss an ihre Entwicklung denken und schnell reagieren, sonst gehen sie weg.“ Legris beobachte, er verteile auch Lob und Kritiken, erzählen die Tänzer – und wissen es als Gradmesser zu schätzen. Der Chef streut seiner Mannschaft zum Fünfjährigen jedenfalls Rosen: „Die Tänzer haben sich sehr gut entwickelt – die aus den hinteren Reihen genauso wie die Solisten. Sie sind gut in Form, wir haben gute Energie – und das spürt das Publikum.“

In der kommenden Spielzeit wird es dennoch weniger Ballettvorstellungen an der Staatsoper geben: Nach heuer 56 sind es 2015/16 nur 51, mit der Volksoper kommt das Staatsballett dann auf 84 Vorstellungen.

Legris choreografiert „Le Corsaire“

Weniger Vorstellungen bedeuten auch weniger Auftrittsmöglichkeiten für die Stars des Hauses. Diese aber wollen gefordert sein. Für die kommende Saison hat Legris für seine Truppe daher mit dem 1856 in Paris uraufgeführten Handlungsballett „Le Corsaire“ eine große Herausforderung parat – Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew haben den „Corsaire Pas de deux“ weltbekannt gemacht.

Für die Premiere am 20.März 2016 erarbeitet Legris das Konzept – und seine erste große Choreografie für Wien. „Das ist eine neue Erfahrung für mich. Ich gehöre nicht zu jenen, denen das Choreografieren im Blut liegt und die schon mit 20 sagen: ,Das will ich machen.‘“ Er werde für seine Version von „Le Corsaire“ natürlich auf die Tradition Rücksicht nehmen, bekannte Tänze wie den „Pas d'Esclave“ belassen, aber die Story straffen. „Als Choreograf brauche ich eine einfache Linie, eine klare Geschichte, die ich erzählen kann, und nicht so viele Charaktere wie im Original-Libretto, bei dem man ja kaum durchblickt.“ Viel Arbeit werde die Musik. „Bei Adolphe Adam vermisse ich eine gewisse Lebendigkeit, sie klingt insgesamt recht eintönig. Ich werde daher andere Musik dazunehmen, aber die muss ich noch aussuchen.“

Und warum ausgerechnet „Le Corsaire“? „Ich habe in ,Raymonda‘, ,Giselle‘ oder auch in ,La Bayadère‘ getanzt, und dann ist man immer von den Choreografen beeinflusst. In ,Le Corsaire‘ aber bin ich nie aufgetreten, ich habe das Stück nur zwei-, dreimal gesehen – das ist gut. Ich kann es also nicht kopieren, weil ich es nicht kenne. Ich bin clean und unbeeinflusst – und so kann ich meinem Instinkt folgen.“

Die zweite Premiere der nächsten Saison wird ein Ballettabend mit Stücken von Stephan Thoss (ein Ausschnitt aus „Blaubarts Geheimnis“), Christopher Wheeldon („Fool's Paradiese“), Jerome Robbins („The Four Seasons“). Im Juni steht wieder die Nurejew-Gala an. Dass es an der Volksoper 2015/16 nur eine Premiere gibt („Die Schneekönigin“ von Michael Corder) liegt an einer dreiwöchigen Japan-Tournee. Das Programm ist also fix, aber Ideen werden darüber hinaus gesponnen. Legris träumt von einer zusätzlichen Location für „Zeitgenössischeres“, z.B. im Museumsquartier. Dort sollen sich die jungen Choreografen der Compagnie präsentieren – wie die Nachwuchstänzer beim „Junge Talente“-Abend an der Volksoper.

Tanz der Kakteen hat heute Premiere

Beim Ballettabend, der heute an der Staatsoper Premiere hat, steht dort erstmals ein Stück des 1984 geborenen Choreografen Alexander Ekman auf dem Programm: „Cacti“.

„Ekman ist ein sehr kreativer Choreograf“, sagt Legris. „Ich kannte ihn persönlich nicht, aber ich habe sein Stück im Internet gesehen und einiges von ihm in Den Haag beim Nederlands Dans Theater.“ Das passe gut in den Abend: Auch Jiří Kylián (gezeigt wird „Bella Figura“) habe viel mit dem NDT gemacht. Und Hans van Manens „Adagio Hammerklavier“ stamme zwar aus 1973, „schaut aber aus, als wäre es eben erst entstanden“: „Es ist das genaue Gegenteil von ,Cacti‘, das ein bisschen verrückt ist, laut und humorvoll. Ich mag diesen Kontrast, und es ist gut, so etwas wie ,Cacti‘ an der Staatsoper zu zeigen, weil das eine Art Performance ist, die das Publikum hier nicht gewöhnt ist.“

Ekman wird zur Premiere kommen und hat schon bei den Proben das Finish gemacht. „Oft studiert man etwas ein – und dann kommt der Choreograf und sorgt mit ein, zwei Anmerkungen für den nötigen Spirit.“ Ekman sei „auf dem Weg, berühmt zu werden“, darum sei es nicht einfach gewesen, ihn nach Wien zu bringen: „Viele Compagnien wollen seine Stücke.“ Auch Hans van Manen wird bei der Premiere dabei sein. „Das ist gut für die Tänzer“, weiß Legris. „Schade, dass Jiří Kylián nicht kommen kann, er will nicht mehr so viel reisen.“

DIE PREMIEREN

Noch in dieser Saison: Ballettabend „Van Manen ∣ Ekman ∣ Kylián“: Premiere heute, 9.Mai, 19Uhr, Staatsoper; Reprisen: 13., 15.5., 10., 12.6.; Nurejew-Gala: 28.Juni, 18Uhr, Staatsoper; „Junge Talente des Staatsballetts“: 2., 17.Juni, 19Uhr, Volksoper.

2015/16: Ballettabend „Thoss ∣ Wheeldon ∣ Robbins“: Premiere am 29.Oktober, Staatsoper;
„Le Corsaire“: Premiere am 20.März 2016, Staatsoper; Nurejew-Gala am 26.Juni 2016, Staatsoper; Märchenballett „Die Schneekönigin“: Premiere am 8.Dezember, Volksoper.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.