Ibsens „Borkman“: Ein Gralsritter des Kapitalismus

FESTSPIELE REICHENAU: FOTOPROBE ´BANKIER BORKMAN´
FESTSPIELE REICHENAU: FOTOPROBE ´BANKIER BORKMAN´(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Mit Ibsen endete der Premierenreigen. Das Festival pflegt bei „Bankier Borkman“ klug seinen Ruf als Hort der Tradition. Sehr eindrucksvoll: Martin Schwab.

Uhren schlagen. Es atmet laut im schönen alten Haus der Borkmans. „Erhart!“, ruft Gunhild. An seiner Stelle erscheint jedoch ihre Zwillingsschwester, Ella. Die beiden necken, balgen und prügeln sich. Ella zieht eine Puppe hervor, sie hüllt sich in Borkmans Mantel und Hut, Gunhild erschrickt. Später schält sich Ella aus ihrer roten Robe, steigt im Unterkleid aufs Klavier, lehnt sich danach an Borkman, der einige Töne anschlägt. Wild tanzen die beiden, ein kurzer Moment der Erinnerung an ihre große Liebe... Gunhild küsst Borkman, er weiß nicht, soll er sie halten oder wegdrücken? Die Frau will dem Mann den Tod einhauchen, er soll rasch unter die Erde, vergessen werden, dem Sohn Platz machen.

„Bankier Borkman“, ohne John Gabriel, heißt das Stück, das Alfred Kirchner im Reichenauer Theater inszenierte, Ibsens Text wirkt wenig verändert. Kirchner zeigt in Hass, Wut und Verzweiflung erstarrte Senioren, deren Lebenswillen noch einmal kurz aufflackert – und wie! Die Aufführung erinnert an Hitchcock, den „Master of Suspense“, mit ihrem Wechsel von Schatten und Licht, aus dem Gestalten auftauchen, Körper, die lang nicht bewegt wurden und auf einmal hektisch schwanken, ein Gruselkabinett.

Haschen nach Jugend und Jungen

Selbst die Jungen wirken unheimlich, sie wollen abfliegen, aber etwas hält sie, wie in einem Albtraum gefangen, fest und zieht sie hinunter. Unglückswurm Erhart bleibt in der Beziehung mit seiner neuen Frau Mutter der ewige Sohn; Fanny Wilton ist auch so eine Art Gespenst, das auftaucht und wieder verschwindet. Ihr Gesicht, ihr Mienenspiel sind kaum zu erkennen, ihr rotblond gefärbtes Haar krönt eine prächtige Blaufuchsmütze.

Es versteht sich von selbst, dass diese im guten Sinne altmodische, aber nur selten langatmige Produktion nichts mit Simon Stones exzessivem Pop- und Society-Abenteuer rund um „Borkman“ im Akademietheater zu tun hat, das heuer bei den Wiener Festwochen das Publikum begeisterte.

Die Reichenauer Aufführung ist deutlich auf ein älteres Publikum zugeschnitten. Ibsens Menschen sitzen auf einem Riesengebirge von Vergangenheit, sie wüten wie Rübezahl, trauen sich aber kaum mehr hinab. Sie haben Angst, alle Knochen zu brechen oder Schlimmeres. Die sonst so jugendlich wirkende Regina Fritsch als Gunhild geifert und keift, dass einem das Blut gefriert, gut ist das nicht, aber es passt hierher. Julia Stemberger spielt die dankbarere Rolle der Ella, der Fachwechsel zur reiferen Dame wirkt noch nicht völlig überzeugend. Aber als Seelchen wie als zornsprühende Verteidigerin ihres Rechts auf Gefühle hat Stemberger schöne Momente. Insgesamt ist die Aufführung dicht und kompakt. Martin Schwab begeistert als Borkman, der von seiner Glorie nicht lassen kann. In seiner Fantasie ist er noch immer in seinem Bankdirektorenbüro und hat alle Fäden in der Hand. Er wirft Papier herum und verteilt Millionenkredite.

Böses Märchen der Moderne

„All die Fabriken, die ich ins Leben rufen wollte! Hör doch nur, wie die Maschinen gehen. Jetzt ist Nachtschicht – sie arbeiten Tag und Nacht, meine Fabriken!“ So spricht Borkman zu Ella. Wie eine Vision der Moderne aus Fritz Langs „Metropolis“ klingt das. Dieser Borkman hält sich für den Messias. Er ist ein Gralsritter des Kapitalismus, darum singt er auch die Gralserzählung aus Wagners „Lohengrin“. Ibsen war ein Kenner der Alten. Er liebäugelte mit jungen Frauen, aber er blieb in seinem elfenbeinernen Turm. Seine Helden bezahlen ihren Wagemut des Öfteren mit dem Leben wie Baumeister Solneß, der beim Richtfest vom Hausdach stürzt, das er erklomm, um der jungen Hilde Wangel zu imponieren. Ibsens Alte treibt nicht ein Rückfall in jugendlichen Leichtsinn. Sie wälzen existenzielle Fragen: Habe ich es richtig gemacht, was habe ich versäumt?

Schwab macht Trauer, Energie, Lebenshunger angesichts schwindender Macht, Kraft und dem nahen Ende wunderbar sichtbar. Die Jungen sind passend schwach: Stefan Gorski als Erhart klammert sich an Fanny (Chris Pichler), Frida Foldal (Fanny Altenburger, Julia Stembergers Tochter) wirkt wie eine Elfe. Hans Dieter Knebel zeigt viel Wärme als alter Foldal. Peter Loidolt baute ein feines Bühnenbild mit Silberwald. Keine einnehmende Aufführung, aber stimmig.

Reichenau:

Die Festspiele Reichenau zeigen nächstes Jahr Schnitzlers „Liebelei“ in der Regie von Regina Fritsch, Nestroys „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ (Regie: Helmut Wiesner), Doderers „Dämonen“ (Regie: Hermann Beil) sowie „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams (Regie: Beverly Blankenship).

Alfred Kirchner, 1937 in Göppingen geboren, war während Claus Peymanns Direktion am Burgtheater, wo er Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ inszenierte. In Reichenau zeigte er Carl Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ mit Martin Schwab. In Bayreuth hat Kirchner den „Ring“ herausgebracht – und gleich mehrere Male „Lohengrin“, darunter in Dallas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2015)

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