Volkstheater: Dieser "Fasching" verursacht Kopfweh

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Anna Badora eröffnet ihre erste Saison als Direktorin in Wien persönlich mit der Dramatisierung des Romans von Gerhard Fritsch. Die Wiedererweckung ist wenig überzeugend. Zu wirr und umständlich bleibt dieses Spiel.

Gerhard Fritsch war 1967 mit seinem komplexen Roman „Fasching“ kaum Erfolg beschieden, die meisten Kritiker haben das unbequeme Buch abgelehnt, das von Außenseitertum und Vergangenheitsbewältigung handelt. Es geriet rasch in Vergessenheit. Der Autor brachte sich 1969 mit 44 Jahren um. Mitte der Neunzigerjahre hat „Fasching“ eine Renaissance erlebt, aber 20Jahre später ist das Werk beinahe wieder vergessen. Nun wollte Regisseurin Anna Badora, die eben als Direktorin vom Schauspielhaus Graz zum Volkstheater gewechselt ist, diesen „Fasching“ wiedererwecken. Mit dem Dramaturgen Roland Koberg hat sie eine Bühnenfassung erstellt und mit dieser Novität ihre erste Wiener Saison eröffnet, die eine Reihe von Uraufführungen verspricht.

Am Samstag hatte das Stück Premiere, in dem zum Teil bereits renovierten Haus. Eine sanft ansteigende Tribüne im verkleinerten Parkett bringt Zusehern merkliche Verbesserung. Die Premiere wollte aber nicht zünden, trotz einzelner Stärken im fast zur Gänze neuen Ensemble. Dieser knapp dreistündige „Fasching“ verstrickt sich in epische Fallen, ihm fehlt dramatische Spannung. Viel zu umständlich wird erzählt, die Perspektiven des Romans und die zeitlichen Verläufe werden nie richtig klar. Den meisten Figuren fehlt Charakter. Das Thema Widerstand mag noch immer und schon wieder aktuell sein, aber hier geht deutlich die Brisanz verloren.

Frauenkleider als Rettung und Strafe

Die Handlung: Der 17-jährige Felix Golub (Nils Rovira-Muñoz) desertiert gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus der deutschen Wehrmacht. Zu Silvester. Er will zu den Partisanen, doch stattdessen findet er in einer ganz gewöhnlichen österreichischen Kleinstadt Unterschlupf bei „Baronin“ Vittoria Pisani (Adele Neuhauser). Sie erklärt ihn zum Feigling, steckt ihn in Frauenkleider und rettet ihn so als ihr angeblich neues Dienstmädchen Charlotte Weber vor den Nazis. Sie macht ihn sich hörig. Als die Rote Armee anrückt, wird Golub vom NS-Ortskommandanten Lois Lubits (Thomas Frank), der die Verkleidung nicht durchschaut, sexuell bedrängt. Golub kann ihn entwaffnen und rettet die Stadt vor der Zerstörung. Denn die Nazis hätten vor dem Abzug verbrannte Erde hinterlassen. Die treibenden Kräfte im Ort aber danken Golub diese Heldentat, indem sie ihn bei den Sowjets vernadern. So gerät er in Kriegsgefangenschaft.

Erst nach zehn Jahren Sibirien kehrt er zurück. Lubits ist nun Wurstfabrikant. Man hat sich arrangiert und schweigt. Der Fotograf Raimund Wazurak (Stefan Suske), auch er ist einst von der Baronin unterworfen worden, will Golub dabei helfen, sich wieder in die Stadtgemeinde zu integrieren. Dessen praktische Verlobte Hilga Peng (Stefanie Reinsperger) verlangt ebenfalls, dass er über Vergangenes schweigt. Golub aber will nicht. So wird ausgerechnet der Fasching wieder zur Ausgrenzung, vor allem durch einst äußerst aktive Nazis, aber auch zum brutalen Finale mit Frau Pisani. Golub muss als Faschingsprinzessin noch einmal hinein ins Dienstmädchenkleid. Wieder droht der Mob. Bald ist Aschermittwoch. Wer wird büßen?

Diese Handlungsstränge sind im Roman fein verwoben. Das Spiel mit den vielen Ebenen geht jedoch im Stück nicht auf. Man fügt sogar noch weitere Ablenkung hinzu. Auf der sehr abstrakten Bühne hat Michael Simon ein riesiges, bewegliches weißes Podest gebaut, auf dem die Schauspieler herumturnen. Sie nutzen auch das Parkett als Bühne. Immer wieder werden große Bilder mit einfachen erklärenden Zeichnungen gezeigt, und Vorhänge signalisieren mit Jahreszahlen, in welchem Zeitraum man sich befindet.

Die Puppe als Doppelgänger

Zudem gibt es eine Verdoppelung des Protagonisten. Nikolaus Habjan spielt mit einer Golub-Puppe Szenen nach. Das ist fein. Er macht damit jedenfalls mehr Eindruck als Rovira-Muñoz, der allein sprechtechnisch von seiner Rolle überfordert scheint. Stark hingegen sind Neuhauser mit herrisch-böser und Reinsperger mit natürlich-dominanter Art sowie Suske, der auch kommentierend durch die Wirren dieser Inszenierung führt. Die Übrigen im Ensemble aber, die zur Verdeutlichung ihrer Bösartigkeit seltsame, an venezianische Umzüge erinnernde Masken tragen, müssen sich in Mehrfachrollen in Übertreibung üben, wenn sie nicht auch gerade das Geschehen referieren. Das lähmt.

Man sieht also Verschlagenheit, Dummheit und Bösartigkeit in Gestalt einer Fachlehrerin, eines Bäckermeisters, eines Faschingsprinzen, eines Schuldirektors, einer Offiziersgattin, einer Angestellten und eines Hausarztes. Frauen spielen Männer, Männer spielen Frauen, viele spielen einmal auch hetzende Kinder. Die Möglichkeit zur Differenzierung bietet sich bei diesen Verzerrungen in Mehrfachrollen dennoch nicht. Dieser tolle Reigen ist zwischen einem Kindergeburtstag und dem wilden Treiben von Trommelweibern angesiedelt. So wird man aber dem Roman von Fritsch nicht gerecht. Bis auf wenige zu Herzen gehende und treffende Szenen ist hier allzu plakativ, grob und unübersichtlich gearbeitet worden. Zur Plattheit zählen auch Anspielungen auf Graz und das Burgtheater. Das passt nicht ganz zum ursprünglichen Ernst der Sache.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2015)

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