"Hakoah Wien": Fußball und Familienbande

(c) Lupi Spuma
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"Hakoah Wien" von Yael Ronen begeistert im Volkstheater mit intelligenter Stilfusion und witzigem Spiel. Schwere Themen werden hier sinnlich-leicht, aber nicht billig abgehandelt.

Der Großvater war Soldat, Zionist und lebte im Kibbuz, der Vater ist künstlerischer Leiter des Israelischen Nationaltheaters, die Kinder sind ebenfalls äußerst erfolgreich im Theater – aber in Europa. Konflikte und Brüche ziehen sich durch die Generationen: Für die Älteren ist Europa als Heimat oder auch nur als Wohnort nach dem Holocaust undenkbar. Die Jungen zeigen Fluchttendenzen, frustriert vom ewigen Krieg, der sich in allen Lebensbereichen auswirkt. Yael Ronen hat über all dies ein Stück geschrieben, ihr eigenes Familiendrama, aber auch das ihres Ensembles.

Die Uraufführung war 2012 am Grazer Schauspielhaus, dessen ehemalige Intendantin Anna Badora die Performance nach Wien ans Volkstheater mitgenommen hat, wo „Hakoah Wien“ Mittwochabend eine bejubelte Premiere erlebte. „Hakoah Wien“, das ist der legendäre jüdische Fußballverein, ein Symbol für die sich verschärfenden politischen Spannungen und den wachsenden Antisemitismus in den 1920er- und 1930er-Jahren – der übrigens weit in die Monarchie zurückreicht, wie an Romanen wie Schnitzlers „Der Weg ins Freie“ zu sehen ist.

Geheimnisvolle Ahnen

In „Hakoah Wien“ gehen ein junger Mann, Michael (Michael Ronen, Yaels Bruder), und Michaela (Birgit Stöger) auf die Suche nach ihren Ahnen. Vizeleutnant Michael, der von der israelischen Armee nach Wien entsandt wurde, um für Israels Militärstrategie im Nahen Osten zu werben, hat nach einem Vortrag genug von seiner PR-Tour. Er lernt einen ruppigen Freak kennen, dieser wohnt ausgerechnet in der Wohnung seines Großvaters, der 1936 nach Israel auswanderte. In Wien blieb seine Freundin zurück, Michaelas Großmutter, die ihren Namen wechselte, einen Arier heiratete und bis zu ihrem Lebensende ihre jüdische Herkunft verleugnete. Diese will Michaela nun erforschen.

Die Geschichte klingt etwas konstruiert. Aber im Spiel stellt sich gerade das ausgedacht Pointierte als wirkungsvoll heraus. Die 100-Minuten-Performance ist formal wie inhaltlich interessant. Der moralisierende Bierernst, der mitunter im deutschsprachigen Theater herrscht, ist den Angelsachsen ganz fremd. Sie mischen Comedy und Tragisches, eins geht ins andere über, ist mit dem anderen verflochten. Auf die Moral kann sich jeder selbst einen Reim machen – und das passiert auch. Das israelische Theater scheint stark von angelsächsischen Modellen geprägt zu sein, wohl auch durch das Fernsehen.

„Testimonials“, Prominente oder Einzelpersonen, sind mit ihren kurzen Botschaften in der Werbung beliebt. Auch das Theater profitiert von dem System, kann aber natürlich viel mehr daraus machen. Wichtigstes Element der Aufführung ist ein Fußballmatch. Ein Moderator stellt die Spieler vor und gibt ihnen gleich auch kräftig Saures: „Körperlich ist Knut Berger sicherlich nicht mehr so fit wie vor zehn Jahren.“ Der Moderator kommentiert auch die Beziehungsszenen zwischen Michaela und ihrem Freund Oliver, der Ersatzmann für einen Torwart ist, nie zum Zug kommt – und Angst hat, dass seine Homosexualität aufkommt...

Slapstick, Comic, Stummfilm-Elemente

Ronen sorgt für reichlich Kurzweil mit Stummfilm-Einlagen, Musik, Tanz, Slapstick, Comics, Impro-Theater. Im raschen Wechsel der Rollen und Identitäten kommt die Ich-Unsicherheit der Figuren heraus, gemäß Richard David Prechts treffendem Buchtitel „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“

Das Ensemble agiert temperamentvoll, das Tempo ist rasant, nicht alles ist verständlich, vielleicht weil der Raum im Volkstheater größer ist als im Grazer Schauspielhaus.

„Wir sehen nicht mehr ein, warum wir unseren Lebensstil, unsere persönlichen Ambitionen für irgendeine gemeinsame Idee opfern sollen, die in der Realität weit von einem positiven Lebensentwurf entfernt ist“, sagt Yael Ronen in einem im Programmheft abgedruckten Gespräch mit ihrem Vater. „Überzeugungskampf“ heißt ihre nächste Uraufführung, ab 18. 12. im VT zu sehen. Es geht um junge Menschen, die aus Wien fortgezogen sind und fortziehen: vom Spanischen Bürgerkrieg bis zum Heiligen Krieg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2015)

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