Andrea Wenzl: "Ich war ein Fernsehjunkie!"

Fabry
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Andrea Wenzl, neu am Burgtheater, über ihre kunstferne Kindheit in der Steiermark, Lampenfieber, ihre Tochter Marie – und warum sie auch schwierige Regisseure mag.

Einen weiten Weg hat die 36-jährige Steirerin Andrea Wenzl zurückgelegt. Als Tochter eines ÖBB-Bediensteten in Leibnitz geboren, spielte sie am Grazer Schauspielhaus, am Wiener Volkstheater und am Residenztheater in München bei Intendant Martin Kušej große Rollen: darunter Luise in Schillers „Kabale und Liebe“, Katharina in „Der Widerspenstigen Zähmung“ oder die junge Frau in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder. Ab 22. Oktober ist Wenzl in Gorkis „Wassa Schelesnowa“ im Burgtheater zu sehen.

Die Presse: Gab es bei Ihnen daheim kulturelle Interessen?

Andrea Wenzl: Nein, eher nicht. Mein Vater war Oberverschubmeister bei der Bahn, meine Mutter ist Hausfrau. Beide sind große Überlebenskünstler. Ich bin sehr laissez-faire erzogen worden. Bücher gab es nicht so viele. Meine Eltern sind selten ins Theater gegangen, erst, als ich in Graz engagiert war. Als Kind war ich ein Natur- und Fernseh-Junkie. Meine Mutter hat mich mit drei Jahren ins klassische Ballett gesteckt. Die Struktur und die Disziplin waren gut für mich. Mit 14 war es aus, ich bin nicht so viel gewachsen, wie es für eine Ballerina nötig gewesen wäre, mehr in die Breite als in die Länge. Kurz gesagt: Ich war zu dick.

Haben Sie sich gekränkt?

Ja, das war eine schwierige Erfahrung. Ich war sehr fokussiert auf das Ballett. Aber dann bin ich in Graz auf den Jugendclub am TAO (Theater am Ortweinplatz) gestoßen, später war ich im Jugendclub im Schauspielhaus. Ich dachte, super, das ist ja viel besser, wenn man sprechen, eine Geschichte erzählen kann. Das hatte zur Folge, dass ich mich ziemlich wenig mit Schule und ziemlich viel mit Theater beschäftigt habe. Aber immerhin, die Matura habe ich dann doch geschafft und in Graz Schauspiel studiert.

Hatten Sie insgesamt eine glückliche Kindheit?

Ja. Sehr frei und liberal. Heute setzt man sich so viel mit Erziehung auseinander, mein Papa und meine Mama haben sich damit, glaube ich, wenig beschäftigt. Ich bin mit Hühnern aufgewachsen. Wir hatten einen großen, wilden Garten, es gab meine Brüder und Cousins und viel Freiheit. Jetzt gibt es die viel zitierten Helikopter-Eltern, aber leider kann ich mein Kind in der Stadt auch nicht auf dem Spielplatz einfach alleine lassen.

Wie sind Sie denn als Mutter? Wie heißt Ihre Tochter?

Marie! Sie ist gerade eingeschult worden. Wir lesen sehr viel, „Räuber Grapsch“ von Gudrun Pausewang, den „Räuber Hotzenplotz“, „Ritter Trenk“ von Kirsten Boje, Cornelia Funke, alles von Christine Nöstlinger, „Momo“ von Michael Ende, „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren. Wir lesen jeden Tag, die ganze Kindheitsliteratur rauf und runter, die mir entgangen ist.

Ihre Tochter weiß nicht, dass Sie ein Fernsehjunkie waren?

Doch, das weiß sie schon. Aber wir unternehmen so viel miteinander, da gehen sich höchstens ab und zu Kinoabende aus. Zuletzt haben wir „Das kleine Gespenst“ und „Die drei Räuber“ nach Tomi Ungerer gesehen“, großartig!

Ist es anstrengend, neben dem Abendgeschäft Schauspielerei ein Kind aufzuziehen?

Schon. Für alleinerziehende Mütter ist es fast unmöglich, den Beruf auszuüben. Wenn man keinen finanziellen oder familiären Background hat, wird es schwierig. Wenn du 12 Vorstellungen im Monat hast, kannst du nicht jeden Abend 50 Euro für den Babysitter bezahlen. In München haben meine Eltern öfter aufgepasst, in Wien haben wir zum Glück auch Familie.

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Ist es nicht heute für junge Frauen generell einfacher geworden mit der Schauspielerei? Früher gab es Gretchen und Julia und noch ein paar junge klassische Heldinnen. Aber dann? Jetzt werden viele moderne Dramen, neue Texte gezeigt, man hat Film und Fernsehen als Alternative.

In der Gegenwartsdramatik gibt es sicher mehr Rollen für Frauen als bei den klassischen Stücken. Oder die Regisseure besetzen mutiger, auch mal gegen den Typ. Beim Film ist man dagegen oftmals auf Äußerliches reduziert. Und: Wenn ein Produzent auf den Plan schaut und du hast neun Stücke am Laufen, sagt er: Wahnsinn, wann soll ich da mit dir drehen?

Sie haben einen Film gemacht, „Zappelphilipp“, den fand ich interessant: über einen Buben, der ADHS hat, hyperaktiv ist und sich nicht konzentrieren kann. Sie spielen die Mutter dieses Kindes. Dieser Film bringt die heutigen Zerreissproben zwischen Schule, Eltern, Nachwuchs, die vielen Verpflichtungen und Anforderungen, die im Grunde unmöglich sind zu erfüllen, gut auf den Punkt.

Meine Figur zeigt sehr deutlich, wie wir überall funktionieren müssen, in der Arbeit, in der Partnerschaft, mit dem Kind. Für diese Mutter ist es verletzend, dass sie ihr Kind mit Medikamenten vollstopfen muss, weil sie keine Alternative sieht. Für mich wäre das entsetzlich. Wir haben beim Drehen viel geredet und Studien gelesen: Früher waren hyperaktive Alphatiere im Rudel einfach energiegeladene Menschen.

„Wassa Shelesnowa“ von Maxim Gorki ist ihr Debüt am Burgtheater. Sind Sie aufgeregt?

Das Lampenfieber wird immer schlimmer. Aber es ist was anderes, wenn man sich auf eine Premiere freut oder wenn man sich nicht sicher ist, ob man eine klare, gemeinsame Linie gefunden hat mit dem Regisseur.

Sie spielen Anna, eine der Töchter der gnadenlosen Unternehmerin Wassa (Christiane von Poelnitz), und ihre Vertraute. Worin geht es in dem Stück, Ihrer Meinung nach? Auf den ersten Blick, glaubt man, das ist ein Krimi. Und Anna wäre eine der möglichen Täterinnen.

Ja, man fragt sich. Sicher ist das Stück auch ein Krimi, aber man darf es nicht zu platt einordnen, es ist extrem vielschichtig. Es geht um Geld, Macht, Liebe, Manipulation, es um geht Angst. Wassa und Anna sind zwei Alphatiere, die sich sehr ähnlich sind und versuchen, einander zu manipulieren. Das Stück erscheint wahnsinnig düster, die Figuren sind verzweifelt, hilflos, liebeshungrig. Aber es gibt auch komische Elemente.

Vor allem geht es ums Erben. Ein aktuelles Thema in Europa, wo Teile der älteren Generation sehr viel zu vererben haben. Was ist Ihre Erfahrung mit Erbschaften? Warum gibt es da oft so beinharte Auseinandersetzungen?

Ich habe als Kind Erbschaftsstreitigkeiten miterlebt, aber bei uns wird das einfach gerade herausgesagt, dann fetzt man sich, und Jahre später gibt es eine Versöhnung. Diese Raffinesse wie bei Gorki, so etwas kenne ich nicht.

Andreas Kriegenburg kehrt mit dieser Inszenierung nach langer Zeit wieder ans Burgtheater zurück. Sie haben schon mit vielen wichtigen Regisseuren gearbeitet. Martin Kusej, Frank Castorf. Regisseure können auch richtige Tyrannen sein. Aber die Jüngeren sind vielleicht nicht mehr so schlimm wie die „68er-Rebellen“, oder?

Manchmal sind die Alten ganz jung und die Jungen ganz alt, es hat schon jeder seine Taktik, Schauspieler zu quälen (lacht). Mit Castorf habe ich in München Brechts „Baal“ gemacht, der dann auf Verlangen der Brecht-Erben gestrichen werden musste. Ich hatte Angst vor ihm, weil es immer hieß, er sei so ein Berserker. Aber ich fand ihn charmant und intelligent.

Seine Inszenierungen müssen allerdings immer öfter abgesetzt werden, weil die Schauspieler nach der Premiere zu erschöpft sind von den Strapazen und den Schreiereien auf der Bühne.

Castorf fordert Energie und pusht, aber er gibt auch Energie und Kraft. Er ist ein charismatischer Mensch und ein interessanter Regisseur. Genauso wie Martin Kusej. Der fordert auch viel und kann auch ordentlich austeilen. Aber das Herausfordernde ist das Spannende an der Arbeit - und den offenen Umgang miteinander habe ich super gefunden.

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Wie kann man neun Stücke gleichzeitig im Kopf behalten? Kriegt man da nicht den Drehwurm?

Ich habe das auch nicht leicht gefunden. Man muss sich mehr Zeit für die Vorbereitung nehmen und sich konzentrieren auf das, was am Abend läuft. Trotzdem habe ich die Zeit am Residenztheater in München sehr genossen.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Reisen Sie gerne? Gehen Sie selber ins Theater?

Ich reise sehr gerne, aber mit Marie zehn Stunden im Flieger sitzen, das möchte ich ihr nicht antun. Also bleiben wir vorerst in Europa. Wir waren heuer in Kärnten und Ligurien. Das war wunderbar. Ins Theater gehe ich nicht mehr so oft wie früher. Mein Mädchen am Abend selber ins Bett bringen, das ist etwas Kostbares.

Was ist Ihre Lieblingsgeschichte?

Dostojewskis „Der Idiot“ liebe ich und Kafkas „Amerika oder Der Verschollene“. Das habe ich mit 14 gelesen und war völlig verstört und fasziniert.

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