Gorki an der Burg: Auch das Matriarchat hat seine Hackordnung

FOTOPROBE BURGTHEATER: ´WASSA SCHELESNOWA´
FOTOPROBE BURGTHEATER: ´WASSA SCHELESNOWA´(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Andreas Kriegenburg inszeniert Maxim Gorkis „Wassa Schelesnowa“. Die Aufführung lebt vom spektakulären Bühnenbild. Sie ist klug komponiert, aber auch spröde. Christiane von Poelnitz begeistert als leidgeprüfte Unternehmerin.

Ziegel, Torf und Kacheln – wer will mit solch leblosem Zeug sein Geld verdienen? Wohl nur jene Generation, die damit ihr Vermögen aufgebaut hat. Die Erben wollen alles ausgeben, der eine träumt von einem Goldgeschäft, der andere vom Stadtleben mit schönen Frauen vom Theater. Aber Erben hat nicht nur mit Geldsegen zu tun, sondern auch mit Einverleibung. Erben übernehmen, „rauben“ mit dem Materiellen auch ein Stück Seele ihrer Vorfahren. Vielleicht verlaufen Erbstreitigkeiten darum mitunter so besonders erbittert.

Die Medien sind voll dramatischer Erben-Geschichten. In Österreich werden allein pro Jahr Immobilien für zehn Milliarden Euro weitergegeben, fast nur innerhalb der Familie. Die Explosionen, die solche Deals begleiten, kann man sich lebhaft vorstellen. So gesehen ist Gorkis „Wassa Schelesnowa“, seit Donnerstagabend im Burgtheater zu sehen, hochaktuell. Andreas Kriegenburg, der 1999 mit Nikolaus (Klaus) Bachler ans Burgtheater kam und hier bis 2001 Hausregisseur war, widerstand allerdings der Versuchung, eine Telenovela im Stile von „Sturm der Liebe“ oder eine Satire auf den Spuren von David Schalkos „Altem Geld“ zu gestalten.

Mitarbeiterführung mit Psychologie

Kriegenburg blieb im russischen Milieu, aber nicht so tief, dass Parallelen zu Ereignissen in Europa zu ziehen unmöglich wäre. „Wassa“, von der es zwei unterschiedliche Fassungen gibt, die beide für sich spannend sind, erfreut sich in letzter Zeit in Deutschland einiger Beliebtheit: Dieter Giesing inszenierte das Stück 2014 am Hamburger Schauspielhaus mit Maria Schrader; Stephan Kimmig brachte es mit Corinna Harfouch am Deutschen Theater in Berlin heraus.

In Wien ist die Urfassung von 1910 zu sehen: Christiane von Poelnitz zeigt die resolute Vorsteherin eines Matriarchats, dessen Hackordnung jener der Männerwelt in nichts nachsteht. Poelnitz, mit ihrer roten Mähne, ganz in Weiß, schwingt als Unternehmerin allerdings nicht die Peitsche, sie behandelt ihr „Volk“ mit Psychologie, in Kenntnis der Macken jedes Einzelnen, nur manchmal reißt ihr die Geduld, dann greift sie sich ein Stamperl oder erhebt die Stimme zu markerschütterndem Befehlston. Diese Dame ist eine leidgeprüfte Verantwortungsträgerin inmitten eines Haufens fauler oder frecher Angehöriger. Die Protagonistin könnte diesen Abend dominieren, aber sie hat starke Konkurrenz: Harald B. Thors Bühnenbild aus großen Holzplanken, eine Art gigantomanisches Schindeldach, zwingt das Ensemble zu atemberaubenden Balanceakten. Was soll die Schräge, außer die Schauspieler zu strapazieren? Überraschung: Sie soll illustrieren, dass in dieser Familie nur unter ständiger Gefährdung das Gleichgewicht gehalten wird. Das ist zwar nicht neu, aber optisch macht die Konstruktion enorm viel her.

Gorki, der Bittere, Sohn eines Tischlers und einer Färberin, porträtierte in „Nachtasyl“ die Unterschicht, war aber ebenso, ja noch mehr, zu Hause im Salon: Wie Tschechow dachte der allerdings viel politischere Gorki, der mit Lenin befreundet war und von Stalin bis zum Ersticken hofiert wurde, dass die Upperclass sich selbst zugrunde richtet. Die Revolution ist nur das Ende eines längeren Prozesses. 1881 wird Zar Alexander II. ermordet. 1887 kommt es zu einem Attentat auf die russische Kaiserfamilie. 1905 lässt Nikolaus II. beim Moskauer Blutsonntag auf friedliche Demonstranten schießen. Darauf kommt es zur ersten, 1917 zur großen Revolution, 1918 wird die Zarenfamilie ermordet. Ihre sterblichen Überreste wurden jüngst exhumiert und werden neu untersucht.

Zum Lachen gibt's nicht viel

Die Gewohnheit Mächtiger, Druck von unten so lange mit Gegendruck zu beantworten, bis alles in die Luft geht, ist auch uns Heutigen vertraut. Die Burg-Aufführung wirkt indes höchstens maßvoll politisch, sie wandelt mehr auf den Spuren privater Dramen wie „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams bis „Eine Familie“ von Tracy Letts. Kriegenburgs kompakte Regieführung überzeugt, wirkt aber teilweise auch spröde. Zum Lachen gibt es nicht viel, seriös sitzt jede Geste, und doch werden nicht die jetzt so modischen Kunstfiguren vorgeführt. Grandios ist Peter Knaack als Wassas Schwager Prochor, der sein Geld aus der Firma nehmen will. Solche Anschläge auf die Substanz können die Gesundheit gefährden. Andrea Wenzl als Anna schneit selbstbewusst ins heimatliche Milieu, sie verfällt buchstäblich, nicht nur Wassas Suggestion. Diese kassiert auch noch Ljudmila, die Frau ihres rabiaten, schief gewachsenen Sohnes Pawel (Tino Hillebrand): Aenne Schwarz krallt sich mit der Schwiegermutter ewiges Kindsein.

Alina Fritsch erzählt lebendig und facettenreich ihre gewaltige Dienstmädchen-Geschichte. Sabine Haupt dient abgeklärt, kalt und intrigant. Das Ensemble kann sich – wie immer – sehen lassen. Ob diese strenge Produktion mit ihren verwickelten Familienverhältnissen viele anlocken wird? Der Premierenapplaus war recht lang und heftig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)

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