In Paris ist Liebe keine Sünde

FOTOPROBE: ´DER GOCKEL´
FOTOPROBE: ´DER GOCKEL´(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Theater in der Josefstadt. Josef E. Köpplinger inszeniert George Feydeaus „Der Gockel“ stilsicher und rasant. Das große Ensemble beweist erneut sein komödiantisches Können.

Drei Ehepaare samt Freunden und Zufallsbekanntschaften – sie wollen nur das eine, am besten aber nicht mit dem eigenen Partner. Das ist die Mechanik, nach der George Feydeaus fantastische Komödie „Der Gockel“ abläuft. Gut zwei Dutzend Menschen im bürgerlichen Paris Ende des 19. Jahrhunderts sind auf Abenteuer aus, die Damen wollen sich an ihren zum Fremdgehen neigenden Männern rächen, indem sie selbst Affären planen, zuvor aber muss der Schein gewahrt werden.

Das Absurde daran: Alle wollen es, aber kaum etwas passiert. Unerfüllte sexuelle Wünsche treiben diese Getriebenen in die Hysterie. Im Vergleich zu Feydeaus 1896 uraufgeführtem Stück ist Arthur Schnitzlers „Reigen“ eine simple, nüchterne Wiener Serie von zehn Vorbereitungen zur Kopulation samt Nachbetrachtung. In Paris aber regiert bei den Pontagnacs, Vatelins und Soldignacs der nackte Wahnsinn. Gnadenlos wird aufgedeckt, wie wenig diese Abenteurer sich im Ernstfall unter Kontrolle haben. Sogar die Dienerschaft beobachtet eifersüchtig oder mit verschwörerischen Blicken jede Annäherung im Salon, wenn sie nicht gerade voll Sehnsucht an Handschuhen schnüffelt, die ihnen eine Dame mit nachlässiger Gebärde zur Verwahrung gab.

Schamlos wird geraucht

Solch eine rasante Farce verlangt besondere Präzision. Im Theater in der Josefstadt hat Josef Ernst Köpplinger, Direktor des auf das leichte Fach spezialisierten Staatstheaters am Gärtnerplatz in München, das Stück mit einem bestens eingespielten Ensemble lustvoll umgesetzt. Zugleich verlangt Elfriede Jelineks strenge Übersetzung von „Le dindon“ Disziplin selbst im Exzess. 19 Personen tollen für 100 Minuten fein choreografiert über die Bühne (Judith Leikauf und Karl Fehringer haben bei den Möbeln eine Melange aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts geschaffen). Schließlich ist klar: Man wird sich arrangieren, das Prinzip Ehe, das so radikal in Zweifel gezogen wurde, soll mit allen Mitteln aufrechterhalten werden.

Die Josefstädter gehen mit dieser Doppelmoral wirklich gekonnt um, dafür gab es bei der Premiere am Donnerstag verdient kräftigen und lang anhaltenden Applaus. Offenbar wird es eine starke Saison für Lustspiele – bereits „La Cage aux Folles“ im kleineren Rahmen der Kammerspiele hat das bewiesen. Die Stärke dieses Theaters sind derzeit die Komödianten. Was für aufgeblasene Gockel gibt es hier zu bestaunen: Michael Dangl besticht als Herr Vatelin durch selbstbewusste Ignoranz, die aufs Prächtigste in Verzweiflung umschlagen kann, Pauline Knof spielt als seine Gattin, Lucienne, diverse Facetten von Empörung, Rachsucht und Naivität. Robuster ist der überraschende Besuch aus England angelegt: Siegfried Walther (Soldignac) ist ein perfekter komischer Charakterkopf und Alexandra Krismer seine nicht minder ulkige Gattin, Maggy, die auf der Männerjagd stets bis zum Äußersten geht. Dominic Oley als nicht minder aggressiv dem anderen Geschlecht nachstellender Pontagnac hat in Silvia Meisterle (Clotilde) eine Frau, die sehr rasch weiß, was läuft. In ihrer Rache erkennt sie sogar so etwas wie Frauensolidarität an. Ins Absurde getrieben sind die Auftritte des Ehepaares Pinchard (Martin Zauner, Susanna Wiegand). Roman Schmelzer (der Frauenschwarm Rédillon) und Susa Meyer als an der Sexfront erfahrene Kämpferin Armandine setzen starke, sogar turnerische Akzente.

Das Uhrwerk surrt, es wird schamlos fast im Akkord geraucht, Schwindel erregend rasch gehen die Türen auf und zu, aber stets im Takt. Da kann sich die Regie sogar einen kleinen Gag mit Édith Piaf leisten, der kleinen Prophetin des freien Pariser Lebens. Man hört ihre Stimme, aber wenn das Nichtbereuen in ihrem Chanson bereits beschlossene Sache ist, hängt die Platte. Ganz am Schluss, in einem fast versöhnlichen Moment, stimmt das Ensemble in dieses Lied ein, und auch jetzt bleibt man hängen. Diese liebenswürdig-frechen Lebenskünstler sind in einer Endlosschleife gefangen. Spätestens heute Nacht werden wieder Türen knallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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