270 Minuten "Othello": Müder Jago trotz Hollywood-Star

Philip Seymour Hoffman (Jago), John Ortiz (Othello)
Philip Seymour Hoffman (Jago), John Ortiz (Othello)(c) Wiener Festwochen (Armin Bardel)
  • Drucken

Zum Abschluss der Wiener Festwochen langweilt Peter Sellars mit „Othello“. So harmlos monoton kann William Shakespeare sein, wenn Hollywood-Stars schlampig arbeiten.

Zehn Monitore schräg vor einem Bett aus weiteren Monitoren im Zentrum der dunklen Bühne des Theaters Akzent – das sind neben schwarzen Sesseln die Kulissen für Peter Sellars Inszenierung von Shakespeares „Othello“, die am Sonntag zum Ausklang der Wiener Festwochen Premiere hatte. Der kühle Technikchic (Bühnenbild: Gregor Holzinger) war aber nur ein kaum funktionelles Beiwerk; geboten wurde eine ermüdend monotone Aufführung mit wenigen Einfällen. Viereinhalb Stunden dauert sie. Diese Produktion, die in Zusammenarbeit mit dem LAByrinth Theater entstand, bald ans Schauspielhaus Bochum und anschließend ans Public Theater am Broadway kommt, fühlt sich wie sieben Stunden an.

Dabei ist man von Anfang an gewarnt. Wie zu einer Probe kommen bei offenem Vorhang die Schauspieler auf die Bühne, in Marine-Uniformen oder in Alltagskleidung (Kostüme: Mimi O'Donnell). Vogelgezwitscher setzt ein. Othello (John Ortiz) und Desdemona (Jessica Chastain) legen sich auf das Monitorbett. Der Latin Lover aus Brooklyn kost die Blasse, und der Schurke Jago (Philip Seymor Hoffman), als Fähnrich in der Beförderung übergangen, kann mit seinen Ränken beginnen, die zum Mord des Titelhelden an seiner frisch Angetrauten und zum Selbstmord führen werden.

Vorerst aber geht es um das Beschmutzen einer Beziehung. Per Mobiltelefon wird Desdemonas Vater, ein einflussreicher Senator aus Venedig, von Jago und dem dümmlichen Roderigo (Julian Acosta) darüber informiert, dass der Mohr Othello soeben das Töchterchen besteige. Brabantio meldet sich aufgebracht aus dem Off – zu spät, um die Ehe der beiden zu verhindern.

Das miese Schwein der Firma

Othello wird vom Stadtsenat als Heerführer nach Zypern entsandt, um die Türkengefahr zu bannen, und er darf seine Desdemona sogar mitnehmen. Der Mohr, ein exotischer Königssohn, als Außenseiter? Nein. Seine Offiziere sind Afroamerikaner, nur Desdemona und Jago sind Weiße.

In diesen ersten Szenen kündigt sich bereits an, woran die gesamte Aufführung kränkeln wird; an mangelnder Fokussierung. Auf der Bühne spielen sich Parallelaktionen ab. Das Liebespaar räkelt sich häufig auf diesem Videobett, auf dessen Monitoren im Laufe des Abends seltsame symbolische Formen gezeigt werden (Pfeile, Kreuze, Hände, Landschaften oder einfach ein zartrosa Ton wie in einer bizarren Biosauna), während an den Rändern die Soldaten intrigieren oder salutieren.

Leider entsteht bei diesen simultanen Szenen keine Spannung, und das hängt auch mit der phasenweise schwachen Leistung Hoffmans zusammen, der die Hauptlast des Textes trägt. Seine Darstellung des Jago wirkt uninspiriert. Im weiten, hellen Pullover trollt er griesgrämig über die Bühne. Zuweilen ist er versunken, als schlafe er (das wirkt gegen Mitternacht hin gefährlich ansteckend). Oder er beobachtet geduldig aus einer Ecke das Treiben der anderen.

Von der Leichtgläubigkeit zum Wahn

Der unauffällige Bürokrat als fieses Schwein der Firma, der Mitarbeiter, dem zu viel Vertrauen entgegengebracht wird – das hätte eigentlich Potenzial und ist von Shakespeare raffiniert und vielschichtig angelegt. Aber Hoffmans Ausdrucksmittel beschränken sich auf drei Varianten: Er nuschelt den Text vor sich hin, als ob er erst im Begriffe sei, ihn zu begreifen. Oder er erinnert sich daran, dass sein Jago ein ganz Böser ist, der mit dem fiesen Taschentuchtrick, und bekommt eine zornige Wallung, die jede Beziehungskomödie in Hollywood schmücken würde. Oder er vergisst beim Aufbau von Schlüsselmonologen ein paar Zeilen und lässt sich von einer Souffleuse, die seltsamerweise auf der Bühne sitzt und Nebenrollen spielt, laut einsagen.

Präziser, subtiler spielt Chastain, ein wunderschönes Opfer, das über die Schlechtigkeit der Welt erschrickt, als wundere sich eine emanzipierte Frau über die Macho-Welt von gestern. Sicherer ist auch Ortiz, er verleiht der durch kleine zeitgenössische Einsprengsel ergänzten elisabethanischen Sprache Glanz. Ihm gelingt im Verlauf des Abends der Übergang vom leichtgläubigen Helden zum alles glaubenden Manipulierten, der immer häufiger entgleist und dem schließlich der Sinn für Realität abhandenkommt. Statt Gezwitscher gibt es dann ein Crescendo an mechanischen Geräuschen zu hören. Sind sie Vorboten des Wahns? Oder unnötiger Zierrat?

Seltsam wirken auch die wiederholten, symbolträchtigen Idyllen mit Desdemona auf dem Bett sowie die nur schwer schlüssig zu deutenden Annäherungsversuche an das übrige Personal. Othello ist ein Küsserkönig und Grapscher, kein Männchen oder Weibchen ist vor seinen Liebesbezeugungen sicher, nicht einmal Jagos Frau Emilia (Liza Colón-Zayas, linkisch). Im Vergleich dazu ist die Umarmung seines Leutnants, des vermeintlichen Ehebrechers Cassio (LeRoy McClain), und Desdemonas harmlos.

Unfreiwillige Komik

Gestorben wird melodramatisch, per Hand oder mit der Dienstwaffe, mit unnötigen Verzögerungen. Die Kommunikation bricht zusammen, aus den Lautsprechern dröhnen unverständliche Anweisungen. Spricht hier gar der Regisseur? In dieser Phase hat Hollywood die Inszenierung eingeholt: unfreiwillige Komik zum kitschigen Ende. Auf der Bühne liegt die blasse Schöne neben dem verblendeten Trottel, wie zwei Kreuze wirken sie. Im Schusswechsel fallen auch wie in vielen B-Movies die üblichen schwarzen Nebenfiguren. Der Bösewicht wird abgeführt. Er grinst nicht einmal.

Auf einen Blick

Peter Sellars, 1957 in Pittsburgh geboren, zählt zu den großen US-Regisseuren, wurde durch Inszenierungen von Opern bekannt. Zum Mozartjahr 2006 leitete er in Wien das Festival „New Crowned Hope“. 2004 bei den Festwochen: „The Children of Heracles“.

Weitere Termine von „Othello“: 16., 17., 18., 19. Juni, 19 h, 20. Juni, 13 und 19 h. (Foto: Wiener Festwochen/Armin Bardel)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.