Festwochen 2016: „Theater ist alles und kann alles!“

PK - WIENER FESTWOCHEN 2016: SCHLAG /  WAIS / HINTERH�USER / DAVYDOVA
PK - WIENER FESTWOCHEN 2016: SCHLAG / WAIS / HINTERH�USER / DAVYDOVA(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Die neue Schauspielchefin, Marina Davydova, wirbt für die Bühnenkunst. Der Intendant Markus Hinterhäuser stellt mit leiser Trauer sein letztes Programm vor.

England, Frankreich, Amerika, Deutschland – bei den Wiener Festwochen 2016 sind diese Länder nicht stark präsent. Russland und der Osten dominieren. Zwei der Großprojekte sind aber nicht aus dem Osten: Jan Fabres viel besprochener 24-Stunden-Marathon „Mount Olympus. To Glorify the Cult of Tragedy“ über die griechische Antike, speziell ihre Schlachten, erlebt seine Österreich-Premiere. Die auf Inszenierungen mit Zuschauerbeteiligung spezialisierte Signa-Gruppe stellt sich mit „Wir Hunde“ erstmals in Wien vor: „Eine tierische Parallelwelt für Erkundungsgänge“.

Frank Castorf, dessen szenische Version der „Brüder Karamasow“ von Dostojewski heuer nach nur einer Vorstellung wegen Erschöpfung des Ensembles abgesagt werden musste, erhält 2016 erneut Gelegenheit, Künstler und Publikum zu strapazieren: bei „Tschewengur. Die Wanderung mit offenem Herzen“ von Andrej Platonow – über Widersprüche revolutionärer Wirklichkeit. Womit wir beim reich bestückten Ost-Programm wären: Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov inszeniert Beethovens „Fidelio“; zum ambivalenten Freiheitsthema passt „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg nach einem Roman der KZ-Überlebenden Zofia Posmysz. Auf der Überfahrt nach Brasilien glaubt eine KZ-Aufseherin, eine Gefangene zu erkennen. Die Passage wird zum Alptraum. „Roses“ stellt die ukrainische Frauenband Dakh Daughters vor, die 2012 auf dem Kiewer Maidan-Platz auftrat. Fyodor Pavlov-Andreevich, der in Moskau, London und São Paolo lebt, präsentiert sein „Carousel“, bei dem Performer und Zuschauer zusammenwirken. Uraufführungen bereiten Falk Richter („Città del Vaticano“ über die Gegensätze zwischen Religion und Kirche) und Kornél Mundruczó („Scheinleben“ über Roma) vor. Aus Vilnius kommt Gorkis „Nachtasyl“, aus Nowosibirsk Tschechow („Drei Schwestern“). Christoph Marthaler zeigt „Isoldes Abendbrot“ über das Verschwinden (mit Anne Sofie von Otter).

Kunstschiene: „Universal Hospitality“

Im Burgtheater findet das Diskurs-Programm „Thinking Aloud“ mit Forschern und Intellektuellen statt. „Into the City“ versammelt in der Alten Post Kunstwerke unter dem Motto „Universal Hospitality“ – nach einem Kant-Zitat. „Mit einem lachenden und einem weinenden Auge“ präsentierte Intendant Markus Hinterhäuser am Mittwoch im Museumsquartier sein drittes und letztes Programm. Einerseits habe man viel geschafft, andererseits sei die Zeit schnell vergangen. 2017 wird Hinterhäuser Intendant der Salzburger Festspiele, ein mutmaßlich längeres Engagement, als es jenes in Wien war.

Mit seinen Schauspielchefinnen hatte Hinterhäuser wenig Glück: Shermin Langhoff zog das Berliner Maxim-Gorki-Theater vor. Die innovative und temperamentvolle Frie Leysen verabschiedete sich vorzeitig und übte Kritik am behäbigen Festwochen-Apparat.

Nun hat Hinterhäuser Marina Davydova, Kritikerin und Festivalleiterin, an seiner Seite. Sie pries in warmen Worten das Gesamtkunstwerk Theater, das am deutlichsten den Fall der Grenzen unter Künsten und Ländern illustriere und ein Freiraum sei, nicht nur in ihrer Heimat: „Einige ästhetische Themen sind wichtiger als die Politik, die neue Barrieren aufrichtet.“ Ein Roman könne „Highbrow“ oder „Pulp“ sein, ein Film Kino oder Videoinstallation, nur das Theater vereine in sich die Möglichkeiten aller Darstellungen und aller Inhalte, „sein gusseiserner Magen kann alles verdauen und alles absorbieren“.

Davydova sieht auch keinen besonderen Ost-Schwerpunkt im Programm – der sich aus der Doppelung von ihr sowie des Dramaturgen und Russlandexperten Stefan Schmidtke ergibt, der 2015 das Schauspielprogramm verantwortete: „Vergessen Sie, dass ich aus Russland stamme. Es geht um Theater!“, betonte Davydova. Ihr spezieller Tipp: „Sorrow Grove“ von Sigalit Landau aus Tel Aviv. Festwochen-Geschäftsführer Wolfgang Wais wies auf viele Veranstaltungen mit Gratiseintritt hin. Finanziell ist das Festival weiterhin großzügig ausgestattet: 14,4 Millionen Euro Budget, 10,9 Millionen von der Stadt Wien, 3,5 Millionen Einnahmen. Ab 2017 darf Tomas Zierhofer-Kin, bisher Donaufestival-Chef, aus dem Vollen schöpfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2015)

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