„Romeo und Julia“: Die Liebe ist ein seltsames Spiel

Sextett. Nils Rovira Munos, Nadine Quittner, Katharina Klar, Kaspar Locher, Stefanie Reinsperger, Thomas Frank (v. l.) in der Roten Bar.
Sextett. Nils Rovira Munos, Nadine Quittner, Katharina Klar, Kaspar Locher, Stefanie Reinsperger, Thomas Frank (v. l.) in der Roten Bar.(c) Christine Ebenthal
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Philipp Preuss inszeniert „Romeo und Julia“ im Volkstheater mit drei Schauspieler-Paaren. Das „Schaufenster“ bat die Romeos und Julias vorab zum Gespräch.

Die Welt braucht mehr siegreiche Romeos und Julias. Aber wie könnte das funktionieren? Drei Paare spielen im Volkstheater Shakespeares Liebestragödie. Im „Schaufenster“ philosophieren sie über das berühmte Liebespaar, seine Todessehnsucht und seine Chancen in der heutigen Welt vielfältiger Versuchungen der Kontaktanbahnung, etwa im Internet. Was wäre gewesen, wenn die beiden zusammengeblieben wären? Flucht und danach ein Roadtrip durch Italien? Oder hätten sich Romeo und Julia bald zerstritten, sobald sie einander näher kennengelernt hätten?

Ist Julia ein Symbol für die ewige Liebe?
Katharina Klar: Ich sehe sie nicht so. Die Liebe zwischen Romeo und Julia ist zwar intensiv und kompromisslos, aber ob diese Art Liebe auf Dauer bestehen kann, beantwortet das Stück nicht. Zu einer Beziehung zwischen den beiden kommt es nicht.
Kaspar Locher: Das Verrückte ist ja, dass sie gar keine Zeit haben. Ich frage mich oft, warum die beiden nicht einfach fliehen solange sie noch die Möglichkeit dazu haben? Ich glaube, dass sie zusammen hätten glücklich werden können: ein Roadtrip durch Italien, sich in Neapel niederlassen. Das klingt doch gut. Aber um ihrer Liebe die politische Dimension zu geben, müssen Romeo und Julia eben in Verona bleiben. Und die Konsequenz ist der Tod.
Stefanie Reinsperger: Für mich ist Julia eine sehr starke, einsame Frau, die durch die Begegnung mit Romeo durch alle Winde gewirbelt wird und zum ersten Mal beginnt, für sich selbst Entscheidungen zu treffen. Das lässt sie mehr und mehr reifen.
Nadine Quittner: Ich sehe Julia als aufrührerisches, aufsässiges, trotziges und suchendes Mädchen. Vielleicht trägt sie die Todessehnsucht von Beginn an in sich, lernt aber durch die Begegnung mit Romeo die Liebe schätzen. Oder sie erkennt durch ihn die Unmöglichkeit im Sein. Zwischen einem Liebäugeln mit dem Tod und dem tatsächlichen Sterben gibt es jedenfalls eine breite Kluft.


Spielt die Zeit, in der das Stück stattfindet, eine Rolle?
Nadine Quittner: Ob ein Mensch im 16. oder 17. Jahrhundert lebt, ändert nichts an seinen Sehnsüchten. Mädchen und Jungen wollen lieben und geliebt werde. Julia ist nur insofern eine besondere Utopie, als sie ihre Liebe, ihren Glauben über ihr Leben stellt. Wer hat schon eine so tiefe Überzeugung, dass er (oder sie) dafür sterben will, eine Ausnahme sind höchstens Mitglieder sektenartiger Vereinigungen, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurden.


Ist das Stück eine der größten Lovestorys aller Zeiten?
Nadine Quittner: Ich kann das nicht annehmen. Zum einen handelt es sich um eine kurze Zeitspanne, die über den Liebesrausch, die Leidenschaft nicht hinauskommt, zum anderen finde ich, dass die meist dunklen Worte, die in den Liebesbekundungen „Nacht, Heilige, Grab etc.“ zum Ausdruck kommen, sich dem Irdischen entziehen. Ich sehe das so, dass dieser sehnliche Wunsch nach Verschmelzung der Liebenden nur zum Tod führen kann oder seichter formuliert, nicht lebensfähig ist.
Absolute Leidenschaft, die auch noch haltbar ist, gibt es nicht?
Katharina Klar: Julia hat meiner Meinung nach wenig Lebenserfahrung und sehr viel Fantasie. Sie malt sich Dinge sehr ausgiebig aus, bevor sie überhaupt passieren. Irgendwie ist sie auch isoliert. Im Gegensatz zu Romeo hat sie keine Freunde. Sie führt Selbstgespräche. Ihr Leben radikal zu ändern, dazu ist sie offensichtlich in der Lage. Im Laufe des Stücks muss sie aber feststellen, dass ihre scheinbar liebevolle Familie das erste Nein, das sie ausspricht, nicht akzeptiert. Sie ist plötzlich auf sich allein gestellt und verhält sich in dieser Situation extrem mutig und entschlossen.


Gibt es einen wichtigen Satz in dieser Tragödie, den Sie besonders mögen oder besonders bezeichnend finden?
Katharina Klar: „Je mehr ich gebe, umso mehr habe ich.“ Über die Liebe.
Kaspar Locher: Besonders markant finde ich diese beiden Sätze Romeos: „Besser, ihr Hass beendet jetzt mein Leben, als ungeliebt ein Leben lang zu sterben.“ Und dann noch das: „[. . .] und schüttele das Joch feindseliger Sterne vom Fleisch, das dieser Welt so müde ist.“

Todessehnsucht. Der Traum der Jugend von einer neuen Zeit zerbricht.
Todessehnsucht. Der Traum der Jugend von einer neuen Zeit zerbricht.(c) Christine Ebenthal


Ist Romeo so eine Art Popstar?
Nils Rovira Munos: Wenn man unter Popstar eine Art Held oder Vorbild versteht, den man bewundert, weil er unabhängig von äußeren Einflüssen seinen Weg geht, ist Romeo ein Popstar. Ich finde bemerkenswert, wie kompromisslos und extrem Romeos Suche nach Liebe ist. Der Tod ist immer präsent. Von Rosalinde ungeliebt stirbt er fast vor Liebeskummer, von Julia geliebt sieht er im gemeinsamen Tod die einzige Möglichkeit, ihre Liebe für immer zu bewahren.
Man könnte Romeo ob seiner wechselnden Leidenschaften auch wankelmütig nennen.
Thomas Frank: Es ist interessant, dass er anfangs fast das gleiche für Julia wie für Rosalinde empfindet, die ihn verschmäht. Danach geht’s bumm, und er liebt Julia. Das sind Dinge, die man kennt, aber nicht erklären kann. Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Was ich persönlich so gar nicht kapiere, ist das mit der Todessehnsucht oder immer diese Alternative: Tod. Hängt das vielleicht mit Religion zusammen? Das verstehe ich noch weniger.
Kaspar Locher: Ich denke nicht, dass Romeo wankelmütig ist. Er hat den Hass und die Feindschaft der älteren Generationen satt. Er ist der Welt, die ihn umgibt, müde. Sie macht ihn krank. Er setzt dieser Welt des Hasses die revolutionäre Kraft der Liebe entgegen. Und die größte Sprengkraft hat seine Liebe, wenn er sich in die Tochter des Feindes verliebt. Romeo versucht, die Welt neu zu definieren. Lieber kurz leben und verbrennen, als vor sich hin zu existieren und die Regeln der andern akzeptieren, das ist seine Devise.


In der Wirklichkeit dürfte ein Bursch wie Romeo auch nerven.
Kaspar Locher: Wenn er mein Freund wäre, würde ich ihm raten, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen und zu versuchen, mehr einen Blick für die Gesamtheit zu entwickeln. Ist er aber nicht. Und zum Spielen ist seine Egomanie toll. Ich mag Romeos Feuer, seine Wut, seine Ungeduld, wie er sich ungeschützt auf die Liebe einlässt.


Ist Romeo auch eine Projektion?
Thomas Frank: Ich schätze mal, Romeo ist Shakespeare selbst, der etwa 30 Jahre alt war, als er das Stück geschrieben hat. Vielleicht hatte er etwas mehr Lebenserfahrung als sein Romeo. Ob Shakespeare eine Message hatte? Ich weiß es nicht. Auf alle Fälle will er zeigen, was die Liebe so drauf hat, in allen ihren Facetten.


Ist Romeo eine Traumrolle?
Thomas Frank: Das finde ich etwas übertrieben, aber natürlich ist es schön, eine Rolle zu spielen, die im klassischen Sinne nicht mein Typ ist. Man sieht: Es gibt Menschen, die nicht einem Pseudoideal entsprechen, aber trotzdem solche Gefühle haben. Wie’s halt auch ist auf dieser Welt: Da klane Blade mog de große Dürre. Und warum sollte es dabei anders zugehen als hier in diesem Stück.


Letztlich muss man dieser ganzen Geschichte ihre irrsinnigen Seiten lassen, oder? Das Leben ist auch oft verrückt.
Nils Rovira Munos: Das Wandeln zwischen Extremen ist, glaube ich, das, was Liebe so besonders macht. Der Wunsch ist da. Gelebt wird das allerdings eher selten. Die Risikobereitschaft, auch in der Liebe,  ist nicht mehr so hoch, weil die Anzahl der Möglichkeiten zugenommen hat. Liebe, in bestimmter Form, ist per Knopfdruck oder Wischen des Daumens verfügbar. Das Angebot ist so groß, dass man sich nicht entscheiden muss, sondern parallel mehrere Optionen offen haben kann. Zu Beginn mag das aufregend sein, aber auf Dauer ist das kein befriedigender Zustand, glaube ich, gerade nämlich, weil das Besondere und Einzigartige fehlt. Alles wird austauschbar und beliebig. Romeo gibt sich genau damit nicht zufrieden. Er weiß, dass er sehr viel Liebe geben kann. Ich glaube, wir brauchen mehr Romeos und Julias.
Stefanie Reinsperger: Ich wünsche keinem Paar die Geschichte und vor allem nicht das Ende von Romeo und Julia. Für mich sind alle Liebenden, die sich auch heute noch über Zwänge, Vorurteile und Hindernisse hinwegsetzen müssen, diese stetig bekämpfen und an ihrer Liebe festhalten, bewundernswert.

Katharina Klar: Hätten Romeo und Julia weitergelebt, hätten sie es irgendwann wirklich miteinander zu tun bekommen, wenn sie alle äußeren Widerstände überwunden hätten. Und da wäre es noch mal spannend geworden.


Man könnte auch ein neues Stück schreiben, Romeo und Julia als Märchen, sie kriegen sich, und alles geht gut aus.
Kaspar Locher: Das könnte man sicher tun. Aber das klingt so nach Fantasiewelt. Ich denke, unsere heutige Welt kann gut Schauplatz einer solchen Geschichte sein. Unsere Gesellschaft spaltet sich immer mehr in unterschiedlichste Lager, die immer weniger miteinander zu tun haben. Unüberwindbare Hürden und Kämpfe entstehen. Der Hass ist groß. Wir haben das verbindende, unerklärliche und verändernde Ereignis Liebe so nötig wie eh und je. Darin liegt die Aktualität des Stückes.

Tipp

„Romeo und Julia“. Philipp Preuss, 1974 in Bregenz geboren, in Wien aufgewachsen, mit Klassiker-Inszenierungen im Pop-Design in Deutschland erfolgreich, inszeniert erstmals im Volkstheater. Premiere ist am 23. 1. 2016.

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