„The Infernal Comedy“: Mörder, Hoffnung der Frauen

(c) EPA (Hans Klaus Techt)
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Hollywood-Star John Malkovich brilliert als Serienkiller Jack Unterweger im Ronacher. Eine musikalische Höllenfahrt mit Witz und Ironie.

Wo bleibt denn der verdammte Frauenmörder? Im Wiener Ronacher war am Mittwochabend die Premiere von „The Infernal Comedy“ angesagt, mit dem Charakterdarsteller John Malkovich. Doch zuerst tritt Dirigent Martin Haselböck ans Pult und spielt mit seiner Wiener Akademie ausdauernd Einleitung und bald auch Finale des Balletts „Don Juan“ von Christoph Willibald Gluck; es dräut allegro non troppo das Ende: die Höllenfahrt des Weiberhelden.

Wo bleiben die Tänzer? Ein Herr mit Bart und dunkler Brille, in weißem Anzug und weiß getupftem schwarzem Hemd betritt die Bühne. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hollywood-Star Malkovich, wäre er nicht viel untersetzter als im Film. Er geht an einen Tisch, auf dem sich Bücher, eine Lampe und ein Glas Wasser befinden. Eine Dichterlesung? Malkovich liest aus den Bekenntnissen des Häfenliteraten Jack Unterweger, der sich nach seiner Haftentlassung in den Neunzigern als Serienkiller entpuppte und, erneut in Haft, erhängte.

Nein. Der Bärtige tritt vor, spricht das Publikum an, wie das Direktoren tun, wenn etwas schiefgegangen ist, macht Witze über Theater und Parkplätze in L.A. Er entschuldigt sich für seinen österreichischen Akzent. Der Mann ist bereits der Mörder, der nach dem Finale von „Don Juan“ aus der Unterwelt auftaucht, um uns das Gruseln beizubringen! Heute, nach seinem Tod, sei die Nacht der Bekenntnisse, sagt Jack.

Lyrisch oder dramatisch in den Tod

Und Frauen hat er auch mitgebracht. Zwei Sopranistinnen, lyrisch und dramatisch. In den folgenden 90 Minuten wird Jack aus seinem beschädigten Leben erzählen, Laura Aikin und Aleksandra Zamojska werden um ihr Leben singen, das Orchester wird ihr mehrfaches Sterben, dem Arien von Vivaldi, Beethoven, Boccherini, Haydn, Weber und Mozart vorausgehen, willfährig begleiten.

Diese charmante Idee hat Regisseur Michael Sturminger (Text) mit Bühnenbildnerin Birgit Hutter und Haselböck entwickelt. Das Konzept leidet zwar unter Wiederholungszwang, die musikalischen Passagen dehnen sich, aber der Abend wird grandios, weil Malkovich ein dämonischer, verschmitzter, ungeheuerlich präsenter Schauspieler ist, die Akademie sich von seiner Spiellaune auch anstecken lässt und die zwei Damen durchaus aparte Opfer sind – dynamisch und anklagend die Amerikanerin Aikin, etwas zurückhaltender, gelegentlich aber auch schrill die Polin Zamojska.

Erst aber darf Malkovich schon ein wenig den Charakter des Triebtäters entfalten. Fahrig spricht er mit Akzent, der zwischen französischem und deutschem Amerikanisch schillert, seine Sätze sind abgehackt, während der Körper verdächtig ruhig bleibt. Jack liest still. Das Orchester spielt nun „La Casa del Diavolo“ von Luigi Boccherini. Jack unterbricht, wendet sich an den Dirigenten: Aufhören! Er sei so eine Musik nicht gewohnt, das mache ihn nervös. Laut: „Das ist eine musikalische Provokation!“ Nun sehen die Musiker ganz verhuscht aus.

„Lieber ein Mörder als ein Niemand“

Dann stottert er in die Stille erste Sätze über seine Kindheit: „Sie war nie eine Mutter für mich.“ Es wird rührend, die Geschichte vom amerikanischen Soldaten, der die blutjunge Österreicherin schwängerte und sie noch vor der Geburt des Sohnes verließ. Jack spielt mit einer Schnur, während die erste Arie erklingt: „Sposa son disprezzata“ von Antonio Vivaldi – ich bin eine verachtete Braut. Er betrachtet die Sängerin, erst aus der Distanz, dann kommt er immer näher, betastet die Singende, horcht. Sie will sich befreien, wehrt sich, er wirft sich auf sie. Das erste Opfer. Frauen wollen zu viel und zu wenig, sagt der Täter und beginnt eine Unterhaltung mit dem Publikum, taucht ein ins Parkett. „Wann hatten Sie zum letzten Mal Sex?“ Lacher. Wenn er Probleme hatte, hätten sich immer Frauen seiner angenommen. „There were some, who simply wanted to fuck a murderer.“ Er rät den Männern, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen. Lieber ein Mörder als ein Niemand.

Der Büstenhalter als Waffe

Jack bleibt auf seinem Weg. Arie auf Arie perfektioniert er das Strangulieren mittels Büstenhalter. „Ah, perfido!“ Treuloser Verräter! Unter Beethovens Wucht röchelt die Nächste ihr Leben aus. Es hilft kein Furor, kein Mitleid, kein Betteln, auch kein Kokettieren und niemals Ablehnung. Der Mörder bringt dem Opfer ein Notenbuch, Blumen, sie wirft das kalt von sich – schon ist sie hin. „Herrschaften, sie müssen den Frauen zuhören, um sie glücklich zu machen“, rät Jack, der mit maliziösem Grinsen Mitwisser sucht. Da liegen die Leichen bereits starr auf dem Boden. Er spricht vom Ruhm als Dichter, als Journalist, von der dummen Polizei, die ihm bei Reportagen im Rotlichtmilieu behilflich war, die er jahrelang narrte.

Das Verbrechen intensiviert sich. Jack erwürgt die Dame rechts, während die Dame links noch hoffnungsvoll singt. Es ergibt sich ein Muster. So wie im Horrorfilm Telefonieren, Sex und lauschige Plätze für Pärchen gefährlich sind, so funktioniert bei „The Infernal Comedy“ die Musik. Nähert sich die Arie dem Höhepunkt, wird Jack aktiv. Vom stillen Hörer verwandelt er sich in das Monster, dessen Zudringlichkeit in der Mordlust endet.

So lebt er hin, reflektiert über das Leben. Er spielt mit der Sensationslust des Publikums: „Buy my book!“ Er steigert sich in einen Wutanfall, weil man ihm den falschen Personalcomputer bereitgestellt hat, schaut auf Wikipedia nach, wie seine Story wirklich war. Lügen, alles Lügen! Malkovich ist ein Meister nur scheinbar abrupter Übergänge, sie sind wohlvorbereitet. Schließlich geht es, wie bei Don Juan, ans Sterben. Umständlich knüpft er ein Seil um Sessel und Tisch, legt die Schlinge um den Hals, bereitet sich zum Sprung ins Nichts vor. Er schaut ins Publikum: „Glauben Sie wirklich, dass ich hier im Theater sterben werde? Ich möchte das nicht wiederholen.“ Morgen vielleicht, dort sei die Kassa. „Für heute hatte ich wirklich genug.“ Er hat auch reichlich gegeben. Ein großartiges Solo eines Superstars.

Zur Person

Jack Unterweger (*1950, Judenburg, †1994, Graz) wurde mit 24 als Frauenmörder inhaftiert – und zum Häfenliteraten. 1990 begnadigt, lautete die Anklage 1994 auf diesmal elf Frauenmorde in Österreich, Tschechien, den USA. Nach dem Schuldspruch 1994 (in neun Fällen) erhängte Unterweger sich in seiner Zelle. 2010 soll ihn Karl Markovics in einem Film von Elisabeth Scharang spielen.

„The Infernal Comedy“ im Ronacher noch am 3./4.Juli um 19.30, am 5.Juli um 18Uhr. Karten: www.musicalvienna.at, 01/58885

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2009)

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