Theater: Houellebecq sagt Jein in Wien

 Die Figuren Michel Houellebecqs sind in der Inszenierung von Ali M. Abdullah nur so weit überzeichnet, dass sie noch glaubwürdig bleiben.
Die Figuren Michel Houellebecqs sind in der Inszenierung von Ali M. Abdullah nur so weit überzeichnet, dass sie noch glaubwürdig bleiben.(c) Werk X
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Regisseure stürzen sich auf Houellebecqs „Unterwerfung“, auch in Wien: Das Stück im Werk X bleibt nah am Roman, glänzt satirisch und meidet ideologische Glättungen.

Er sei so schwer politisierbar wie ein Handtuch, sagt der Icherzähler François in Houellebecqs Roman „Unterwerfung“, und auch in der Theaterfassung, die am Donnerstag im Werk X in Wien Premiere hatte. Ebenso wie die politisch aktiven Wendehälse arrangiert sich der Uni-Dozent François am Ende mit einem von den Muslimbrüdern regierten Frankreich. Warum auch nicht? Diesem „Ein Leben, ein Schwanz“-Ideologen ist mit dem Verschwinden seiner hochbegabten Sexlieferantin Myriam das einzige Glück geraubt, das im Konsum verwesende Europa hat der spirituell-sozialen Totalversorgung durch die Muslimbrüder nichts entgegenzusetzen – und die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist sowieso nicht das Wahre, zumindest nicht für einen Mann wie François. Also warum nicht konvertieren, wenn man dafür viel Geld von den Saudis und drei willige Ehefrauen haben kann?

Houellebecq ist kein Konsumprodukt

Bald nach dem Erscheinen des Romans am Tag der Anschläge auf „Charlie Hebdo“ haben sich Theatermacher auf diesen Romanstoff gestürzt. So bereitet Stephan Kimmig eine Inszenierung in Berlin vor – und hat schon angedeutet, in welche Richtung es gehen soll: gegen die „neoliberale Marktidee“. Laut Beipackzettel der Wiener Aufführung wiederum attackiert Houellebecq das „korrumpierte bürgerliche Subjekt, das von Sex, Machtstreben und Konsum besessen ist – während es unverdrossen die Werte der Aufklärung vor sich herträgt“. In beiden Fällen klaubt man sich das ideologisch Genehme heraus und windet sich um den Rest – wie das zutiefst Hoffnungslose, das Reaktionäre und die Vision eines von „spießbürgerlichen“ Islamisten beherrschten Frankreichs. Mit Letzterem greife Houellebecq rechtsrechte „Fantasmen“ auf, steht auf dem Wiener Theaterzettel – als ob dem in Interviews so islamkritischen Houellebecq das Szenario seines Buchs so realitätsfern erschiene wie eine Regierung von Aliens . . .

Zum Glück steckt in der Wiener Aufführung viel mehr drin, als an politisch Korrektem draufsteht. Ali M. Abdullah und Hannah Lioba Egenolf bleiben bei Text und Regie ganz nah am Roman (zu nah dran, weil viel Vorwissen voraussetzend, erscheinen nur die gelehrten Geplänkel über französische Denker wie Léon Bloy und J.-K. Huysmans). Man merkt dabei, wie viel an witziger Gegenwartssatire in den Situationen und Formulierungen des Romans steckt, wie viel Dramatik auch (Wahlkampf, Gewalt auf den Straßen, drohender Bürgerkrieg).

Ein erfrischendes junges Team übernimmt Nebenrollen und Erzähleinlagen, wobei die Regie Gespür für Takt und Tempo beweist – ebenso wie für das richtige Maß der Satire. Die erfahrenen, durchwegs ausgezeichneten Hauptdarsteller überzeichnen die von ihnen gespielten Intellektuellen nur so weit, dass die Charaktere noch glaubwürdig bleiben und die Gegenwart erkennbar wird: die politische Rhetorik, mit der kurz vorher Undenkbares (in diesem Fall die Koalition der Sozialisten mit den Muslimbrüdern) serviert wird, die Hilflosigkeit, Feigheit und Selbstbezogenheit der Moralisten, sobald es um das eigene (Wohl-)Leben geht. Das unübertreffliche Porträt eines glänzenden Opportunisten liefert Christian Dolezal als Sorbonne-Direktor Robert Rediger, der Halal-Essen als neues Bio-Food, den Islam als Konsequenz des Intelligent Designs und die Polygamie als logische Folge des Darwinismus verkaufen kann. Hanna Binder spielt sehr einnehmend die einzige Lichtfigur dieser Welt, die junge Myriam. Als sie François den Laufpass gibt, bricht er das einzige Mal wirklich zusammen.

Das Jein zur Unterwerfung

Nicht umsonst trinkt er einen Wein, der heißt wie der Held aus Camus' „Der Fremde“: Wie Meursault ist er ein Verlorener, und der Roman „Unterwerfung“ eine fatalistische Bestandsaufnahme, deren wahre Provokation nicht im Szenario eines islamistischen Frankreich besteht, sondern in seiner Hoffnungslosigkeit – seinem letztendlichen Ja oder zumindest Jein zur Unterwerfung.

Ein großes Verdienst dieser Inszenierung ist es, dass es dem Zuschauer diese schwer konsumierbare Ambivalenz zumutet – zumindest vorsichtig.

Nächste Aufführungen: 20. und 28. Februar, 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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