Theater in der Josefstadt: „Auslöschung“ als Kurzversion

FOTOPROBE: ´AUSL�SCHUNG´
FOTOPROBE: ´AUSL�SCHUNG´(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Oliver Reese hat Thomas Bernhards längsten Roman mutig umgesetzt. Vier Darsteller teilen sich die Rolle des Erzählers. Eine bereichernde Ergänzung.

Auf 600 Seiten gibt es nur einen Absatz, knapp vor der Mitte, zwischen Teil I („Das Telegramm“) und II („Das Testament“). So gnadenlos hat der 1989 verstorbene Dichter Thomas Bernhard in seinem Spätwerk „Auslöschung“ (1986) den Leser darauf gestoßen, dass die Tirade seines Romanhelden Franz-Josef Murau, die im Untertitel „Ein Zerfall“ heißt, nur in dessen Kopf stattfindet, ein gewaltiger Strom an Hass und unerfüllter Sehnsucht nach Zuneigung. Im „Telegramm“ erfährt der in Rom lebende Gelehrte Murau, dass seine von ihm verachteten Verwandten verunglückt seien – die Eltern und der Bruder. Im „Testament“ ist er zurück im Herrenhaus der frühen Jahre, in Wolfsegg, bei den von ihm ebenfalls verachteten Schwestern. Er wird die Latifundien erben. Sein ist die Rache, an den Eltern, den Nazis, den Katholiken – der Heimat.

Dieser ausufernde, grässliche, musikalische, widerwärtige, gemeine, hochpoetische und auch hochpolitische Text ist ein Fest für Hardcore-Bernhardianer. Aber eignet er sich auch für die Bühne? Oliver Reese, derzeit noch Intendant am Schauspiel Frankfurt und designierter Nachfolger von Claus Peymann als Direktor des Berliner Ensembles, hat Ja gesagt und für das Theater in der Josefstadt eine stark reduzierte Bühnenfassung erstellt. Am Donnerstag gab es die Uraufführung, bei der vier Darsteller sich die Rolle des Erzählers teilten. Nach zweieinhalb Stunden (inklusive Pause) schien festzustehen, wie auch der lang anhaltende Applaus bestätigte: Reese behält recht. Seine Version hat zwar nicht den langen Atem des Originals, ist nicht durchgehend kurzweilig, sondern manchmal auch kurz fad, aber allein schon der großartige Udo Samel macht diese „Auslöschung“ zur bereichernden Ergänzung des Romans, wenn auch nicht zum wirklichen Ersatz.

Vorschlaghammer für das Puppenhaus

Wie spielt man Kopf-Theater? Im ersten Teil bleibt der rote Vorhang zu. Vier Muraus, allein, zu zweit, zu dritt oder gar im Quartett zeigen, was eine Rampe ist. Christian Nickel als verhaltene Version des Erzählers geht zuerst vor. Er spielt mit dem Telegramm. Er ist noch nicht einmal richtig angekleidet und ohne Schuhe, die Nachricht vom Tod der Seinigen hat ihn offenbar überrascht. Bald gesellt sich ihm Martin Zauner zu, dieser darf das Cholerische herauslassen. Er tobt, von Erinnerung gequält, gegen die Fotografie, diese perverse, lächerliche, gemeine Sucht, bis er zart vom geliebten Onkel spricht. Samel taucht auf, in hellem Anzug, wechselt zwischen der Rolle des Onkel Georg und des Erzählers. Schließlich gibt Wolfgang Michael die grauenhafteste Version eines Menschenfeinds, einen Mann, der aus Galle besteht.

Murau, der Zerstörer. Er tritt auf Frauenschuhe, macht mit einem Vorschlaghammer ein Puppenhaus platt. Etwas Action muss sein, damit all diese Kälte, diese Verstörung nicht erstarrt, deshalb schlüpfen die Akteure gelegentlich auch in Nebenrollen. Der Onkel ist die erste davon, bald folgen ein Erzbischof, ein Nazi, die Schwestern, die Mutter. Dirndlkleider sorgen für Heiterkeit. Das lenkt aber nur ab von der ungeheuer präzisen Sprache, deren Wirkung hier in der gebotenen Kürze nur angedeutet wird.

Nach der Pause gibt es stärkere Bilder. Hinter dem Vorhang ist alles aus Holz, nicht nur der Boden: Zwei gigantische Stöße verjüngen sich wie Wände zur bedrängenden Perspektive. Nur ein schmaler Spalt bleibt hinten frei. Nun zieht Murau hemmungslos über das Gesindel in Wolfsegg her. Große Namen wie Schopenhauer werden zur Waffe, biedere Wörter wie Weinflaschenstöpselfabrikant dienen der Vernichtung. Die Kindheit daheim? „Gähnende Leere.“ Österreich? „Die Todesstrafe.“ Gnädig senkt sich der Vorhang.

Bühnenbild: Hansjörg Hartung, Kostüme: Elina Schnizler, Musik: Jörg Gollasch, Dramaturgie: Ulrike Zemme.

Termine: 29. Februar, 5., 6., 9., 10., 11., 23. und 24. März.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

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