Niavarani: "Romeo und Julia größtes Liebespaar der Welt? Nein!"

„Zur Zeit von Shakespeare wurden fast alle Kinder von ihren Eltern verheiratet“, sagt Michael Niavarani im Gespräch mit Barbara Petsch.
„Zur Zeit von Shakespeare wurden fast alle Kinder von ihren Eltern verheiratet“, sagt Michael Niavarani im Gespräch mit Barbara Petsch.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Paar zwischen Ehebruch und Zwangsheirat: Michael Niavarani schrieb "Romeo und Julia" neu. Er erklärt, wie Shakespeares Publikum die Tragödie sah - und warum es keinen Unterschied zwischen Bühnenkunst und Kabarett gibt.

Die Presse: Wie viele Besucher hatte Ihre Version von „Richard III.“ im Globe Wien? Manche Kollegen meinten: Letztlich war die Aufführung doch nur Kabarett. Kränken Sie solche Urteile?

Michael Niavarani: Wir hatten fast 100.000 Besucher. Manche Theaterdirektoren haben tatsächlich gefragt: Was, so voll ist der, mit dem Mist? Wenn man mir so etwas ins Gesicht sagt, finde ich es gut! Ich wäre übrigens sehr enttäuscht gewesen, wenn „Richard III.“ kein Kabarett gewesen wäre. Kabarett und Theater, das ist im Prinzip dasselbe. Wenn Josef Hader auf der Bühne steht, spielt er ein Stück, trotzdem ist es Kabarett.

Ihr Shakespeare hat etwas Volksfesthaftes.

Fast zu wenig für meinen Geschmack. Fehlt nur noch die Prostitution. Die kommt mir aber nicht ins Haus! Shakespeares Theater war auch derb. Er war sicher an der einen oder anderen Wirtshausrauferei beteiligt. Getötet hat er aber wohl niemanden.

Am Karsamstag kommt nun eine Bearbeitung von „Romeo und Julia“ ins Globe Wien, die an Ephraim Kishons „Es war die Lerche“ erinnert. Kennen Sie das Stück?

Klar. Was ich stehle, kenne ich. Ich hab außerdem im Graumann-Theater den Shakespeare in diesem Drama gespielt. Ich habe Kishons Text jetzt wieder gelesen, aber man merkt, er ist aus den 1960er-Jahren. Außerdem ist das Werk ein Kammerspiel. Auf der großen Bühne im Globe brauche ich Action.

Sie haben ein neues Drama geschrieben?

Ja. Romeo und Julia feiern ihren 30. Hochzeitstag. Die Fürstin von Verona macht ihnen ein Geschenk. Sie hat erfahren, dass die zwei gar nicht verheiratet sind. Pater Lorenzo hat sie damals ohne Zeugen getraut, daher ist die Ehe nicht gültig.

Toll! Sie könnten sich sofort trennen.

Das täten sie gern. Doch es gibt ein Problem: Pater Lorenzo ist 107, kein Organ funktioniert mehr bei ihm. Aber Gott nimmt ihn nicht zu sich, bevor er nicht die Eheschließung von Romeo und Julia rechtmäßig vorgenommen hat. Gleichzeitig kommt Julia Romeo auf was drauf, er hat sie betrogen und sein Tagebuch offen liegen lassen. Jetzt will sie Rache nehmen. Und dann ist da noch der Sohn. Er heißt Romeo wie der Vater und findet kein Mädchen, weil jedes vergleicht ihn mit dem berühmten Romeo.

Schreiben Sie in Shakespeares Sprache?

Das wird leicht zu parodistisch. Das ist eine Boulevardtragödie. Den Figuren entgleitet die schöne Sprache, weil ihnen ihr Leben entgleitet, ihr Ton wird immer rauer und verzweifelter. Romeo und Julia sind ja nicht das größte Liebespaar der Welt. Die zwei haben einander nur drei Tage gekannt. Sie haben miteinander geschlafen. Sie haben heimlich geheiratet. Dann haben sie sich umgebracht. Manches an dieser Verwechslungstragödie erinnert an Slapstick.

Gibt es gar keine Romantik?

Ja und nein. „Romeo und Julia“ war auch eine Satire über die Verrücktheit, jemanden zu heiraten, den nicht der Vater ausgewählt hat. Das Publikum dachte: „So eine Sauerei!“ Zu Shakespeares Zeiten wurden fast alle Kinder aus Vernunftgründen und von den Eltern verheiratet. Niemand hat sich seinen Ehepartner ausgesucht.

Aber Shakespeare hatte doch Sympathie für die zwei jungen Leute.

Shakespeare hat kaum Storys selbst erfunden. „Romeo und Julia“ ist eine italienische Geschichte. In der Urfassung werden die beiden vorgeführt, wie dumm sie sind, dass sie nicht auf ihre Eltern hören. Shakespeare dagegen hat Romeo und Julia Liebesdialoge gegeben, in denen er gezeigt hat, wie vernarrt die beiden ineinander waren und wie ihre Sehnsucht sie antrieb. Das Publikum war gespalten, einerseits dachten die Zuschauer, die Eltern haben recht, andererseits fanden sie das Ganze cool und haben sich gefragt: Wie wäre es, einen Mann oder eine Frau zu nehmen, die mir gefällt? Wegen dieses Zündstoffs ist das Stück so erfolgreich.

Kann Theater die Welt verändern?

Für die Zuschauer in der Zeit der Aufführung. Sonst nicht. Ich glaube, dass philosophische und politische Vorgänge die Welt verändern können.

Für einen Kabarettisten ist das eine erstaunlich positive Weltsicht.

Ich glaube, es gibt keine andere Möglichkeit. Irgendwann müssen wir Menschen zusammengesessen sein, und wir waren so viele, eine Herde, dass man gedacht hat: Wir müssen Regeln machen. Dann hat einer damit angefangen, und dann haben sofort andere widersprochen und gesagt: „Wieso machst du die Regeln? Ich mache andere.“

„Richard III.“ kommt jetzt auch noch ins Fernsehen. Ist das nicht etwas viel?

Ich weiß es nicht, was passiert. ServusTV wollte die Aufführung haben. Fernsehen hat noch immer eine viel größere Reichweite als Theater. Aufzeichnungen aus den Wiener Kammerspielen hatten in den 1990er-Jahren bis zu einer Million Seher. Ich hatte eine Sendung „Wer lacht, gewinnt“ mit Ossy Kolmann, die Einschaltquote lag bei 1,4 Millionen. Theateraufzeichnungen waren so erfolgreich, dass der ORF eigene Boulevardkomödien im Theaterstil fürs TV gedreht hat.

Die TV-Sitcom hat das TV-Theater ersetzt.

Das ist richtig. Und das Angebot an Kabarett und Soli hat sich sehr stark erweitert.

Welcher ist Ihr Lieblingskabarettist?

Josef Hader!

Welches Buch über Shakespeare empfehlen Sie?

„Shakespeare, wie ich ihn sehe“ von Bill Bryson. Oder Peter Ackroyds Biografie.

Welches ist Ihr Lieblingsstück?

Die drei Teile „Heinrich VI.“ mit „Richard III.“ über die Rosenkriege. Das war eine Familienfehde zwischen Cousins. Lancaster und York bekämpften einander, aber es gab in 30 Jahren nur drei oder vier Wochen Kampfhandlungen. Es war kein Bürgerkrieg, es wurde auch nicht alles verwüstet.

Welches Werk zeigen Sie als Nächstes?

Keine Ahnung. Was schlagen Sie vor?

ZUR PERSON

Michael Niavarani, Kabarettist, Autor und Schauspieler, wurde 1968 in Wien geboren. Er schrieb viele Simpl-Revuen, drehte Filme, TV-Serien („I love Vienna“, „Salami Aleikum“, „Dolce Vita und Co.“). Am 26. 3. zeigt Servus TV Niavaranis Bearbeitung von „Richard III.“. Am selben Tag ist im Globe Wien die erste Vorstellung seiner Version von „Romeo und Julia“ (mit Niavarani und Sigrid Hauser) zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2016)

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