„Adam Geist“: Die Erde ist eine Scheibe

(c) AP (Stephan Trierenberg)
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David Bösch inszeniert „Adam Geist“ von Dea Loher: krass, gut. Die Erde ist eine Scheibe, und jederzeit kann jeder herunterfallen – ins Nichts.

Die Mutter ist tot. Die Angehörigen versammeln sich, Onkel, Tante, Cousins, herzlos, hilflos. Auch Sohn Adam ist da und sein Lehrherr, der Klempner. Sämtliche Figuren zum Auftakt von Dea Lohers „Adam Geist“ – seit Sonntag im Akademietheater – spielt Sarah Viktoria Frick. Diese Schauspielerin ist ein Wunder. Sie wechselt blitzartig die Rollen und Stimmen. Es stockt einem das Blut – und trotzdem muss man lachen. Frick gibt dann zwar die Hauptrolle an den lyrischen Sven Dolinski ab, bleibt aber weiter im Vordergrund. Sie ist das Ereignis dieses Abends, ob als kokettes Mädchen, das von Adam erstochen wird – oder als putziger Engel, der um die Aufnahme des Mörders in den Himmel bittet. Vergeblich. Alles ist vergeblich in diesem Stück. Vergeblich, traurig, komisch. Das Publikum befreite sich im Laufe des Premierenabends immer mehr im Gelächter und applaudierte am Schluss begeistert.

Adam Geist stammt aus Braunau, man denkt an Hitler, doch damit hat die Geschichte nur indirekt zu tun. Adam ist ein Ausgestoßener. Nachdem seine Mutter tot ist, versucht er sich als Drogendealer und wird zusammengeschlagen. Auf dem Friedhof tötet er das Mädchen. Mit einem Feuerwehrmann, der sich für einen Indianer hält, freundet er sich an. Bei der Fremdenlegion heuert er an und wird von seinem Vorgesetzten vergewaltigt. Die Neonazis umwerben Adam, doch er findet den „Führer“ allzu lächerlich. Noch einmal zieht er in den Krieg, doch als er Zeuge wird, wie ein Söldner einen alten Mann und ein Kind foltert und töten will, erschießt er den Peiniger.

Brillante, lebendige Schauspieler

Lohers Figuren reden wie die von Horváth. Das Stück ist hart, aber nicht so hart wie die Fights eines Bernard-Marie Koltès, diese Saison gleichfalls im Burg-Programm. Leider ist Lohers Text aber auch nicht so gut wie die lakonischen Geschichten eines Simon Stephens. „Adam Geist“ wirkt letztlich wie ein flott gemachtes Stückchen aus den heute so beliebten Dramenwerkstätten, wo alles zusammengemischt wird, was wirkt.

Das fällt am stärksten in den Szenen auf, die sich auf Österreich beziehen. Unter Klaus Bachler war Dea Loher eine Zeitlang mit ihrem Partner Andreas Kriegenburg am Burgtheater. Was damals von ihr zu sehen war, z.B. die Uraufführung von „Klaras Verhältnisse“, war besser. Die Anspielungen auf Waldheim und die ÖVP in „Adam Geist“ wirken veraltet und aufgepfropft, auch der Jugoslawien-Krieg ist lang her. Freilich, solche Einwände kommen einem erst später, beim Nachdenken. Und dies ist, anders als Handke oder Jelinek, kein Theater zum Nachdenken, auch nicht sprachlich experimentell à la Werner Schwab. Der Text ähnelt eher den deutschen Pop-Rock-Großstadt-Balladen eines Peter Fox. David Bösch hat inszeniert. Der 31-Jährige gilt als Star. In Salzburg gewann er 2006 das Young Director's Project mit einer sonderbaren Version von „Viel Lärm um nichts“: die Shakespeare-Komödie endete mit einem Massaker. Bei Dea Loher ist Bösch mehr daheim. Patrick Bannwart (Bühne, Kostüme) platzierte eine Scheibe auf die Szene, nicht ganz neu, aber sehr passend, denn die Message dieses Stückes lautet: Die Erde ist eine Scheibe, und jederzeit kann jeder herunterfallen – ins Nichts. Das übrige Dekor besteht aus witzigen Comics. Die Schauspieler fühlen sich hinreißend in Lohers schräge Figuren ein.

Johannes Krisch begeistert als Indianer, der bei der Feuerwehr dient (das Lied „Wo sind all die Indianer hin?“ aus dem Film „Der Schuh des Manitu“ war bei den Kids Kult). André Mayer wirkt nicht minder authentisch als Asphaltcowboy und Söldner.

Branko Samarovski und der kleine Bernhard Mendel berühren als Opa und Enkelkind. Der Söldner will sie zwingen, sich als Moslems auszugeben, damit er sie rasch töten kann. Sind sie es oder nicht? Vieles bleibt offen und in Schwebe an diesem entgeisterten Abend voller Wunder und Grausamkeiten. Im Internet schreibt ein Kommentator, dass man merkt, dass der neue Burgchef Matthias Hartmann drei Kinder hat. Diese Aufführung ist stark auf junge Leute zugeschnitten – und auf alte, die wissen wollen, wie Junge denken. Da mag literarisch Neues nicht herauskommen, aber der Zeitgeist weht wild und bunt, was kaum schlecht sein kann für das alte Theater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2009)

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