Peter Lund: „Zarah Leander, die bauernschlaue Diva“

(c) Christine Pichler
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Regisseur Peter Lund spricht über „Axel an der Himmelstür“ in der Wiener Volksoper – und erklärt, warum Unterhaltungstheater es oft schwer hat.

Humor- und Unterhaltungstheaterspezialisten gibt es nicht viele im deutschen Theater. Der Flensburger Peter Lund, der in Berlin lebt, ist einer. Nach seinem großen Erfolg an der Wiener Volksoper mit „Frau Luna“ von Paul Lincke bringt Lund „Axel an der Himmelstür“ von Ralph Benatzky heraus und versucht das Stück von Zarah Leander abzulösen, die damit den Durchbruch für ihre Karriere schaffte: 1936 im Theater an der Wien. Die Geschichte: Reporter Axel will unbedingt die melancholische und einsame Hollywood-Diva Gloria Mills (an der Volksoper: Bettina Mönch) interviewen, er steigt nächtens in ihr Hotelzimmer ein.

Ralph Benatzkys „Axel an der Himmelstür“ machte Zarah Leander über Nacht berühmt. Hat die Volksopern-Neuproduktion der Operette noch etwas mit ihr zu tun?
Eher nicht. Zarah Leander ist zwar der Grund, warum das Stück überhaupt bekannt ist und warum wir es jetzt neu auflegen. Sie hat damals eine Greta-Garbo-Parodie gespielt. Aber vor allem ist das Werk eine zeitlose Liebeserklärung an Hollywood. Man könnte jetzt die Geschichte von Zarah Leander dazu erzählen, aber wir haben uns dagegen entschieden.


Zarah Leander war ein Star im Dritten Reich, das Pendant zu Marlene Dietrich. Nach dem II. Weltkrieg wurde sie als „Nazi-Sirene“ beschimpft. Sie haben ein Stück über sie geschrieben.
Ja. „Zarah 47“. 1947 ist Zarah Leander 40, sie ist auf ihrem Gut in Schweden und aus dem Geschäft. Keiner will sie mehr sehen. Das war schlimm für sie. Sie war sich angeblich keiner Schuld bewusst. Aber sie hat ja ihre Memoiren veröffentlicht, da merkt man sehr wohl, dass sie nicht unpolitisch war. Auf jeden Fall war sie bauernschlau, wenn sie erzählt, dass sie mit dem Export-Minister der Nationalsozialisten um die Wette gesoffen hat, um ihre Bauernmöbel aus Deutschland hinauszubringen. Ich meine, sie wusste Bescheid. In dem Stück rechtfertigt sie sich und erzählt mit ihren Liedern ihre zwiespältige Geschichte. Marlene Dietrich kann man mit Zarah Leander nicht vergleichen. Sie war auf der richtigen Seite und hatte andere Leute um sich.


Sind Stars Opportunisten?
Ich maße mir da kein Urteil an. Zarah Leander hätte ihre Karriere ohne Opportunismus nicht machen können. Wir wissen nie wirklich, in welchem System wir leben. Viele meiner Freunde haben noch in der DDR gearbeitet, sie waren überzeugt, da wird etwas versucht mit dem Sozialismus – und dann hast du von einem Tag auf den anderen in einem angeblichen Unrechtsstaat gelebt. Das ist schwierig zu begreifen, wenn man da aufgewachsen ist. Ich finde, man sollte sich zurückhalten mit Selbstgerechtigkeit.


Was war ausschlaggebend für den Riesenerfolg von „Axel an der Himmelstür“ im Theater an der Wien 1936?
Max Hansen, der Hauptdarsteller, war Kabarettist, Filmschauspieler, Operettensänger, ein Publikumsliebling, der auf der Bühne seine eigenen Witze machte. Zarah Leanders Kleid muss sehr transparent gewesen sein, und ihre Stimme war toll: ein Kon­tra-Alt. Die Sopranpartie wurde einfach um eine Oktave runter- gesetzt.
Worum geht es in dem Stück?
Hollywood-Star Gloria Mills ist kreuz­unglücklich und einsam. Reporter Axel will unbedingt ein Interview mit ihr machen. Er schleicht sich nachts in das Hotelzimmer der Dame, die sich gerade umbringen möchte – und rettet sie. Am nächsten Morgen fehlt ein Schmuckstück, Axel wird als Dieb verhaftet, Gloria Mills könnte ihm ein Alibi geben, aber dann wäre klar, dass sie nachts einen Mann im Zimmer hatte, das war 1936 noch ein Thema. Es gibt eine Nebenhandlung außer der Hollywood-Parodie. Axels Freund Theodor und seine Freundin Jessie veranstalten eine Küchenschlacht mit Musik im tollsten Stil der Dreißigerjahre. Benatzky hat das Stück in sechs Wochen geschrieben, sehr mit der heißen Nadel. Ich habe eine neue Fassung gemacht, in der neben den bekannten Hits „Ich bin ein Star“ und „Gebundene Hände“ auch der Leander-Schlager „Yes Sir“ vorkommt.


Benatzky hatte den Spitznamen „Benutzky“. Er hat viele Stile verarbeitet und gemischt, moderne und alte, Walzer und Blues.
Stimmt. Benatzky war ein sehr beliebter Kabarettist. Mit seiner Frau, der früh verstorbenen Josma Selim, ist er aufgetreten, sie sang, er hat Klavier gespielt. Er hat unbekümmert von Kollegen abgeschrieben beziehungsweise zitiert. Keine Pointe war ihm zu albern. „Das weiße Rössl“ war ja eine reine Satire und bei „Axel an der Himmelstür“ merkt man das Tagesaktuelle auch.


Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Ich wollte zum Theater, kann aber weder singen noch spielen. Also musste ich mir was ausdenken. Ich habe daher Architektur studiert, um Bühnenbild zu machen. Dann habe ich die Biografie von Ex-Met-Chef Rudolf Bing gelesen, und er schrieb, der Bühnenbildner muss tun, was der Regisseur sagt. Das hat mir nicht gefallen. Also bin ich lieber selbst Regisseur geworden.


Sie haben einen interessanten Vortrag über Unterhaltungstheater der 1950er-Jahre gehalten, der auf Ihrer Homepage nachzulesen ist. Darin heißt es unter anderem: Das Herz braucht einen Parkplatz. Aber die heutige Bühnenkunst ist eher kühl, ironisch und ernst. Hängt das noch immer mit dem Dritten Reich zusammen, das den Kitsch feierte?
Das Dritte Reich hat unserer Gattung Operette immens geschadet. Die meisten Autoren der 1920er- und 1930er-Jahre waren jüdisch, sie wurden vertrieben oder ermordet. NS-Propaganda-Minister Goebbels hat dann die Filme mit Zarah Leander oder Marika Rökk machen lassen. Nach dem Krieg war dieser Stil diskreditiert. Die Schöpfer leichter Unterhaltung waren in Amerika. Und in Deutschland wurden Goethe, Schiller, Beethoven auf den Bildungsplan gesetzt, denn die hatten nichts mit den Nationalsozialisten zu tun. Die Operette war ein leider zu Recht mit schlechtem Gewissen besetztes Gebiet.


Wie steht es heute um den Humor in Deutschland? Es gibt immer wieder witzige Filmkomödien.
Stimmt. Aber es gibt in Deutschland immer noch dieses Schisma zwischen ernster und Unterhaltungskultur. Unterhaltung ist in Deutschland immer noch keine eigene Kunstform, sondern nur geduldet.


Was ist besonders für Sie an der Volksoper?
Das Orchester! 60 Musiker, die live spielen. Das ist traumhaft! Das haben Sie nirgends mehr auf der Welt. Am Broadway sitzen in der Show zehn Leute, die spielen mit ihren Synthesizern jeder drei Instrumente gleichzeitig. Nicht schlecht, aber das hier ist toll!


Was machen Sie als Nächstes – und was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Ich mache viel, aber nicht mehr so viel wie früher. Ich schreibe zum Beispiel die Textfassung für „Die Zirkusprinzessin“ in Graz und bereite mit meinen Studenten in Berlin einen Musicalfilm vor. Ich habe einen Partner, wir sind gern im Garten, dort erhole ich mich.

Tipp

„Axel an der Himmelstür“ von Ralph Benatzky, Premiere: 17. 9. an der Volksoper. Mit Bettina Mönch, Andreas Bieber, Johanna Arrouas, Boris Eder u. a.

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