Burgtheater: Manisch-depressiver "Torquato Tasso"

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Martin Laberenz bietet eine unausgeglichene Inszenierung von Goethes strengem Künstlerdrama, das vor allem auf ein Kräftemessen Pubertierender reduziert wird. Einzelne virtuose Auftritte wiegen die Schwächen nicht auf.

Torquato Tasso, dieser Idealtyp des genialen Dichters, Schöpfer des Epos „La Gerusalemme liberata“, ist wankelmütig. Zumindest kann man das vom Titelhelden des gleichnamigen Schauspiels behaupten, das Johann Wolfgang von Goethe Ende Juli 1789, zwei Wochen nach Ausbruch der Französischen Revolution, vollendet hat. Erst 1807 wurde sein Lesedrama in gestraffter Form in Weimar uraufgeführt. Die Handlung spielt um 1577 in Belriguardo, einem Lustschloss von Alfons dem Zweyten, Herzog von Ferrara, einem Förderer der Künste. Dessen größte Trophäe ist Tasso, der eben sein Hauptwerk vollendet hat, das er dem Dienstherren widmet. Alfons bewundert den schwierigen Mann, der voller Selbstzweifel über seine Dichtung ist. Leonore von Este (des Herzogs Schwester) und die Gräfin von Scandiano, Leonore Sanvitale, verehren, ja lieben ihn. Bei Abgabe des Manuskripts bekränzen sie den Dichter sofort mit Lorbeer.

Wie kleine Buben auf dem Klettergerüst

Die Preisverleihung verheißt eine perfekte Wahlverwandtschaft zwischen Macht und Kunst, wäre da nicht eine fünfte Person, die diese Idylle stört. Angereist kommt Staatssekretär Antonio Montecatino, der für Alfons in Rom wichtige Diplomatie erledigt hatte. Er ist ein Manager, der den Kranz für den Geistesmenschen sofort in Frage stellt, er sorgt dafür, dass Tasso, der Bürger, der in Leonore von Este verliebt ist, in die Schranken gewiesen wird, als ein überschätzter Untertan. Aus Wankelmut wird manisch-depressives Verhalten. Tasso zieht die Waffe gegen Antonio, nähert sich der Prinzessin unschicklich, erhält Hausarrest. Am Ende weiß der sich zurückgewiesen Glaubende: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, / Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.“ Ja, dieses sprachlich äußerst dichte Drama wurde erschwerend noch in Blankversen verfasst.

Wie aber geht Martin Laberenz in seiner Inszenierung von „Torquato Tasso“, die am Samstag im Burgtheater Premiere hatte, mit diesem heiklen Stoff, diesem sperrigen Text um? Wankelmütig, um nicht zu sagen, manisch-depressiv. Wie Tasso stürzt der Regisseur sich ins Unglück, indem er die Konflikte, die so vieldeutig und komplex sind, auf ein Kräftemessen zwischen Pubertierenden herunterbricht. Das ergibt zwar vereinzelt fantastische Szenen, aber insgesamt große Unentschlossenheit. Ein jeder der Darsteller macht sein Ding, ohne Rücksicht auf Verluste. Bezeichnend ist dafür das Bühnenbild Volker Hintermeiers. Das Lustschloss ist eine Ansammlung sich drehender Symbole, ein hermetischer Kunstwerkpark: Der Lorbeer wird hier nicht Ariost weggenommen, sondern dem Haupt einer blauen Büste von Molière, die neben solch einer Büste Schillers steht, und später noch einer kleinen von Goethe. Ein Wald von schlanken Säulen mit Neonlicht, ein kugeliges Metallgerüst, das sich zum Herumklettern für tolldreiste Buben – für Torquato und Antonio also – eignet, im Zentrum eine abstrakte Tonne aus Kabeln, die von der Decke hängt. Ein Spielplatz.

Einfallsreich und bizarr sind auch die Kostüme von Aino Laberenz. Sie werden gewechselt wie bei einer Modenschau. Meist sind Antonio und Tasso zumindest im Outfit Zwillinge, so wie die Damen. Ein Solo hat die Gräfin in einem Raubtier-Badeanzug, wenn sie in einem Whirlpool (ein Kunstwerk aus Abflussrohren) planscht, von Leidenschaft und Vergänglichkeit redet. Das ist einer der schönen Monologe von Dorothee Hartinger, die am Anfang so wie Ignaz Kirchner als gütiger Alfons klassisch deklamiert, ehe beide zu persönlicherem und starkem Ausdruck finden. Die anderen verzichten auf Ebenmaß. Ole Lagerpusch gibt einen verhaltensauffälligen Staatssekretär, der sich an der unterschwellig bedrohlichen Synthesizer-Musik Friederike Bernhardts orientiert. Die würde zu einem Esoterik-Clubbing passen, erleichtert aber das Textverständnis nicht. Dieser Antonio macht den strengen Vers zum Rapp.

Leonore geht dem Mann an die Wäsche

Ihn übertrifft in der Artistik Philipp Hauß, der auf dem Höhepunkt des Dramas, bereits isoliert, einen unglaublich rasanten Sprachschwall der Verlassenheit produziert. Das wird zu Recht mit Zwischenapplaus bedacht. Hauß geht souverän mit der Sprache um, er entlockt ihr auch Komik, wo man sie kaum vermutet hätte. Zu seinen besten Szenen gehört, wenn er zu Beginn konzentriert die Blätter seines Manuskripts sortiert. Und die Prinzessin? Sie kümmert die Etikette kaum. Andrea Wenzl spuckt die Worte aus wie andauerndes Schmollwerk. Ihre Leonore von Este ist ein Girlie, das nicht nur nicht weiß, was sich ziemt, sondern, im Gegenteil, dem Tasso selbstbestimmt an die Wäsche geht. Ihr Trieb endet, wie in fast jugendfreien TV-Sex-Komödien, kläglich bei den Unterhosen. So viel höfische Zurückhaltung muss sein.

In dieser unausgeglichenen Aufführung sind eben nur Fragmente von Leidenschaft erlaubt. Zu sehen ist eine postmoderne Verfremdung der Adelsgesellschaft. Man erhält bloß eine ferne Ahnung davon, warum dieses Schauspiel, ein Resultat von Goethes italienischer Reise, das erste echte Künstlerdrama der Weltliteratur genannt wurde. Das Kalkül der Regie geht auf, wenn sie beweisen wollte, „Tasso“ sei inzwischen so unzeitgemäß wie unspielbar geworden. Dann aber gilt, was Antonio für Ariost reklamiert: „Wer neben diesem Mann sich wagen darf, / Verdient für seine Kühnheit schon den Kranz.“

Termine: 27., 28., 30. 9.; 2., 6., 8., 11., 14., 26. 10.; 3. 11.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2016)

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