Volkstheater: Grillparzers „Medea“ und das rauchende Vlies

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Direktorin Anna Badora inszenierte Teil drei des dramatischen Gedichts über einen griechischen Mythos mit Rückblenden aus der Vorgeschichte. Das macht dieses Trauerspiel trotz starker Protagonistin punktuell auch zur TV-Soap.

Vor den hohen Mauern von Korinth ist links unten ein Verschlag aus Zeltplanen in Tarnfarbe aufgestellt. Dahinter liegt die Stadt, von Steinplatten und einer Glaswand geschützt, die die Zuschauer des Volkstheaters spiegelt, es sieht wie die Front einer Großbank oder einer wehrhaften Botschaft aus (Bühne: Thilo Reuther). Medea (Stefanie Reinsperger) tritt auf, in wallend rotem Kleid, abgerissenem Mantel, Springerstiefeln. Ihr assistiert nicht, wie im Text, ein loyaler Sklave aus der Heimat Kolchis, der die Grube aushebt, in der Zauberdinge begraben werden sollen, und das Goldene Vlies, dieser sagenhafte Schatz aus Delphi, um den erbarmungslos gerungen wurde. Nein, Medea packt die Sachen, entfernt ein Lüftungsgitter unter dem Tor der Stadt, wirft das Zeug hinein. Für immer soll die Geschichte verschwinden. (Gibt es in Korinth keine Security, die prüft, was sich im Untergrund tut?)

Superheld Jason wirkt völlig hilflos

Alles dreht sich in Franz Grillparzers Trilogie um diesen goldenen Kultgegenstand. Bereits im Einakter „Der Gastfreund“ hat der Dichter frei nach Euripides und dem Mythos gezeigt, wie der Tempelräuber Phryxus das Widderfell (samt goldenem Schädel) nach Kolchis bringt und König Aietes (Michael Abendroth) gibt. Dieser ermordet sittenwidrig den Gast. Der Fluch wird im Vierakter „Die Argonauten“ fortgesetzt: Superheld Jason (Gábor Biedermann wirkt nicht heroisch, eher hilflos) taucht mit Kriegern in Kolchis auf, um Phryxus zu rächen, das Vlies heimzuholen. Dann kann er mächtig werden. Er braucht dazu Medea, gewinnt ihre Liebe, tötet ihren Bruder. Ihr Vater stirbt aus Gram.

Das ist die Vorgeschichte zur Tragödie „Medea“, die bei Grillparzer Jahre später einsetzt. Jason, die Kolcherin und ihre zwei Söhne sind nach noch mehr Unheil aus Thessalien vertrieben worden und suchen Schutz in Korinth, bei König Kreon (Günter Franzmeier spielt einen gerissenen Manager), der dem Anführer der Argonauten etwas schuldet, eine heiratwillige Tochter hat (Evi Kehrstephan spielt Kreusa makellos) und zudem das Vlies schnappen will. Direktorin Anna Badora hat bei ihrer Inszenierung, die am Sonntag im Volkstheater Premiere hatte, den Ehrgeiz entwickelt, in knapp zweieinhalb Stunden (inklusive Pause) nicht nur „Medea“ zu zeigen, sondern in Rückblenden das Ganze. Als einleitende didaktische Übung für jene, die diese Story nicht kennen, wäre das vertretbar, aber als psychologischer Trick, mit solch einem Kunstgriff allgemein zu zeigen, wie eine seltsame Fremde tickt, geht das schief.

Der irre Tanz mit den toten Kindern

Die Retrospektive stört bald erheblich: Bedrohliche Musik, Medea wirkt entrückt – sie sieht sich selbst als Mädchen, das in des Vaters Mord an Phryxus involviert ist. Oder: Dräuendes Grollen, der Spiegel wird transparent, man sieht dahinter, wie Jason Medeas Bruder absticht. Ein Slapstick. Die Methode ist in TV-Serien üblich, wenn kurz wiederholt wird, was bisher geschehen ist. Nicht ohne Grund aber verzichtet man im Trauerspiel auf die Darstellung mancher Gräueltat. Hier wird sogar gezeigt, wie Kreusa endet, die ein tödliches Abschiedsgeschenk von der Ausgegrenzten erhalten hat: Korinth brennt, die Beschenkte windet sich vor Schmerz, sie hat den Widderkopf auf, das Fell raucht stark.

Das ist der Fluch des Melodrams. Es vernebelt. Auch Medeas finaler Tanz mit bloßen Füßen, mit ihren toten Kinder auf den Schultern, wirkt befremdend. Deplatziert aber ist jene Unterbrechung der Handlung, die in die große Abrechnung eingeblendet wird – ein seltsames Liebesgetändel wird von der Antiheldin in Erinnerung gerufen: die Begegnung mit Jason in Kolchis. Im Finale möchte man hier nur Medea sehen: wie sich ihr Gesicht verändert, wenn sie Unfassbares begehen will, begeht. Weniger wäre mehr gewesen.

Die Aufführung bietet nämlich, von den Einstreuungen abgesehen, einiges Bemerkenswertes. Reinsperger ist großartig, wenn sie tatsächlich das spielt, was man von ihr erwartet: die Protagonistin von „Medea. Trauerspiel in fünf Aufzügen“, die in der Fremde vom Gatten verlassen wird, dem sie alles geopfert hat. Er nimmt eine andere, will zudem die Kinder. Ein Opfer? Sie nimmt Rache. Das wird von dieser Darstellerin auch packend gespielt. Erwartungsgemäß ist sie umwerfend exzessiv, aber das Zarte, Nuancierte an ihr berührt diesmal noch mehr. Die Barbarin will sich eingliedern, als sie noch hoffen darf. Kreusa versucht, ihr das Tanzen beizubringen. Korinth wird zu Wien: „Alles Walzer“ im Vielvölkerstaat – Medea, in Stilettos und störendem Fetzen, bemüht sich sehr, aber kann es nicht, beherrscht nur wilde Tänze. Sie ringt um Integration. So fein wie die Rede der Griechen (Blankvers) ist ihre Sprache nicht. Sie stockt, schweigt, vermittelt genau, dass sie um ihre Nachteile längst Bescheid weiß. Es braucht nicht mehr als solche Gegenwart für diese ganze traurige Geschichte.

Stefanie Reinsperger.

Wandlungsfähig ist die gebürtige Badenerin Stefanie Reinsperger: 2015 wechselte sie nach einem Jahr vom Burg- zum Volkstheater, sie war dort in Serie in Hauptrollen zu sehen. Am Sonntag hatte sie Premiere als Medea (mit Gábor Biedermann als Jason). Im Sommer wird Reinsperger Wien Adieu sagen: Erst spielt sie die Buhlschaft in Salzburg, dann erwartet sie das Berliner Ensemble.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2016)

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