Wohltemperiertes Pianistenquälen

Redaktionsschluss
Redaktionsschluss(c) Lupi Spuma - Schauspielhaus Graz
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„Redaktionsschluss!“ von Sandy Lopičić im Schauspielhaus Graz ist eine rasante, durchwachsene Revue mit ernstem Inhalt: Meinungsfreiheit und Manipulation.

Eine Zeitungsnotiz aus Istanbul im März 2016 hat den Regisseur und Musiker Sandy Lopičić zu seinem neuen StückRedaktionsschluss!“ angeregt, das bei der Uraufführung im Schauspielhaus Graz am Donnerstag sogar mit Standing Ovations bedacht wurde. Die oppositionelle türkische Tageszeitung „Zaman“ war im Vorjahr der Repression durch die Regierung des immer stärker autokratisch herrschenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ausgesetzt, sie sollte von einer der Regierung gefügigen Mannschaft übernommen werden. In Massen gingen Bürger auf die Straße, sammelten sich vor dem Zeitungsgebäude, um für die Pressefreiheit zu demonstrieren. Die Journalisten verbarrikadierten sich in ihrem Büro, um, wie sich herausstellte, ihre letzte Ausgabe zu produzieren. Der Begriff „Redaktionsschluss“ ist also durchaus doppeldeutig.

Lopičić interessiert diese Endgültigkeit: Was teilt man mit, wenn es nur noch eine Gelegenheit gibt, für ein letztes Wort, ehe die Staatsmacht zuschlägt? „Redaktionsschluss!“ ist eine eineinhalbstündige Revue geworden, in der fünf Schauspieler und fünf Musiker mittels 21 sehr unterschiedlicher Lieder und mit zum Teil großem artistischen Einsatz das Thema Meinungsfreiheit umkreisen. Das Spektrum reicht von einem Bach-Präludium bis zu Songs von Brecht und Weill („Das Lied von der Moldau“), von Georg Kreislers Bösartigkeiten („Was tut man, um zu sein“) über den Horror bei Tom Waits („Swordfishtrombone“) bis hin zu einer zehn Jahre alten Sentimentalität Herbert Grönemeyers („Stück vom Himmel“) als Zugabe. Schauspieler und Schauspielerinnen singen tapfer sogar Virtuoses, da wird manche stimmliche Schwäche verzeihlich. Die Musiker erzeugen Rasanz mit einer recht wilden Mischung (u. a. Cello, Marimba, Saxofon, Bass, Gitarre, Klavier). Der Sound wird häufig durch Einsatz eines Synthesizers verfremdet, verschärft.

Nein, es wird kein Wunder geschehen

Wie aber singt man das Lied von der Pressefreiheit? Schon das einleitende „Pfiat di Gott“ (Benatzky und Gilbert) evoziert Bedrohung. Die Redaktion, die hier aufmarschiert, ist bereits in Bedrängnis. „Auf der Mauer, auf der Lauer“ heißt es in einem Kinderlied, das hier ganz böse staatliche Verfolgung meint. Die Journalisten verbarrikadieren sich, werden mit schwarzen Heftpflastern mundtot gemacht. Ein Scheinwerfer, der vom Schnürboden herabgleitet, mutiert zum Apparat, der alle ausspioniert. Vor allem bei den Frauen agiert er zudringlich. Nein, „Everything is Alright“ (Llloyd-Webber/Rice) dient nicht einmal mehr als Notlüge, die Zensur haut jenen auf den Kopf, die frei berichten wollen, zumindest akustisch, mit Schlagzeugstöcken sind die Misshandlungen angedeutet. Nein, es wird kein „Wunder geschehen“ (Jary/Balz). Es herrscht allenthalben Zensur.

Die einzelnen Nummern sind von unterschiedlicher Intensität und Qualität, es ergibt sich kein großer Handlungsbogen, da mögen Büromöbel noch so angestrengt verschoben werden oder einfallsreiche Bild- und Videoprojektionen von Herwig Baumgartner stimmungsverstärkend wirken. Lopičić begnügt sich mit einem Potpourri, das manchmal nur gefällig ist. Einige Einfälle zur Weltenrettung geraten allzu aufdringlich. Einiges aber funktioniert. Großartig ist zum Beispiel Kreislers „Als der Zirkus in Flammen stand“.

Ein beklemmendes Beispiel für Repression erfolgt ohne Worte: Helmut Stippich spielt unter großem artistischen Einsatz das Präludium in h-Moll aus Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertem Klavier“. Er wird von den anderen gestört. Erst lachen sie nur, dann nehmen sie ihm die Noten weg, ziehen ihm den Hut über den Kopf, setzen ihm eine Strumpfhose auf, entkleiden ihn, schieben das Klavier über die Bühne. Schließlich wird der Künstler mittels Schneidegerät verstümmelt, blutige Finger fliegen durch die Luft, es folgt eine ganze Hand. Er spielt weiter! Die Peiniger des Pianisten halten dessen verstümmelte Arme hoch. Einen Ton produziert er doch noch, ehe er durch den Klavierdeckel entmannt wird und schmerzverkrümmt am Boden liegt. Ja, so brutal kann man ganze Republiken verstümmeln. Terror beginnt mit Lächerlichmachen, massive Drohungen folgen. Und schließlich ist das absolut Böse ganz banal zur Normalität geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

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