Käthchen mit Kleist am Wannsee

Toll: Alexander Braunshör, Jens Claßen, Sven Kaschte, Georg Schubert und Nancy Mensah-Offei
Toll: Alexander Braunshör, Jens Claßen, Sven Kaschte, Georg Schubert und Nancy Mensah-Offei(c) Anna Stöcher
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"(Ein) Käthchen. Traum oder Der seltsame Fall aus Heilbronn" von Gernot Plass, frei nach dem Klassiker, ist eine spannende, komische, kluge Inszenierung.

Finster ist es auf der Bühne des Theaters an der Gumpendorferstraße. Flüstern: „Weh mir, ein Geist!“, sagt eine männliche Stimme, eine weibliche spricht von Engeln. Das sind Schlüsselsätze aus Heinrich von Kleists historischem Ritterschauspiel „Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe“, das 1810 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde und im 19. Jahrhundert zu den erfolgreichsten Dramen des lange verkannten Dichters gehörte.

Wegen seiner Romantik und der überreich originellen Sprache ist es inzwischen schwerer zu vermitteln. Ein bürgerlicher Teenager, Käthchen, die 15-jährige Tochter eines Waffenschmieds aus Heilbronn, hat einen Traum, der sie einem Adeligen nachlaufen lässt: Friedrich Wetter, Graf vom Strahl. Er träumt ebenfalls, von einer Kaisertochter, von Engeln und Harmonie. Die wird erst nach heftigem Streit, Fehden, Intrigen der Freifrau Kunigunde samt Abfackelung einer Burg erreicht – ein „wunderbares Gemisch von Sinn und Unsinn“ (so bewertete es einst Johann Wolfgang von Goethe), aus dem die Seifenopernträume sind.

Ärzte verwandeln sich in Femerichter

Die Premiere am Samstag in Wien hat gezeigt, dass man dieses Stück sinnvoll transponieren kann. Gernot Plass hat beherzt den Text „(Ein) Käthchen. Traum oder Der seltsame Fall aus Heilbronn“ verfasst, frei nach Kleist und doch in seinem Geist. Der Autor und Regisseur beweist damit erneut, dass er zu den klügsten Vermittlern von Klassikern zählt. In zwei Stunden sieht man nicht nur die Essenz des Dramas, sondern Kleists tiefe Seinskrise. Käthchen scheint hier nicht den Grafen zu kriegen, sondern den Dichter, der mit ihr zum Freitod am Kleinen Wannsee fährt. Das glückliche Ende? Nur ein Traum. Die Realität? Auslöschung. Anfangs schleppen Männer in Ärztekitteln einen schwer verwundeten Grafen auf die Bühne, die von Alexandra Burgstaller erfindungsreich mit Plastikstühlen, Tischen, Treppen und einer Turnstange versehen wurde. Die Männer legen den Grafen auf ein schmales Krankenlager. Oder ist es eine Bahre? Es wird hell. Man sieht, dass gegenüber auf einem Bett wie tot der Waffenschmied liegt, auch ihm sind die Augen verbunden. Die Leblosen richten sich jedoch auf. Schon geht es um die angeblich verlorene Ehre des Käthchen. Die Ärzte werden zum Femegericht.

So viel hochfahrende Ehrenhändel und zugleich auch solch Übermaß an Depression ist immer heikel. Sinnigerweise werden auch komödiantische Elemente eingebaut. Raphael Nicholas spielt einen Grafen, der in seinem Pathos zum Lachen reizt. Elisabeth Veit ist eine irre komische, dominante, gelenkige Kunigunde. Nancy Mensah-Offei verleiht der schwer zu spielenden verrückten Heiligenfigur des Käthchen Spuren von Schalk. Vier Herren (Sven Kaschte, Alexander Braunshör, George Schubert und Jens Claßen) teilen sich 21 (!) Rollen, auch die weiblichen – und machen sie zum Triumph der schwarzen Komödie. Selten so gelacht bei diesem Stoff. Das tut gut, denn sonst wären all die Sprachkritik, der radikale Zweifel, die Todessehnsucht des Dichters kaum auszuhalten. Irgendwann fast am Ende heißt es von den Ärzten: „Wir verlieren ihn!“ Nein. Hier hat man Kleist gefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2017)

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