Osterklang-Festival: Tanz der Kälte, des Zerfalls

Regine (Grete Sofie Borud Nybakken; li.) und Osvald (Andreas Heise) dürfen einander nicht lieben. Helene (Camilla Spidsøe) weiß, warum.
Regine (Grete Sofie Borud Nybakken; li.) und Osvald (Andreas Heise) dürfen einander nicht lieben. Helene (Camilla Spidsøe) weiß, warum.(c) Erik Berg
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Zur Eröffnung zeigte das Norwegische Nationalballett eine getanzte Version von Ibsens "Gespenster": gefühlskalt, erschreckend, dramatisch - und tolle Bilder.

Diese Familie ist längst tot. Das ganze Aufbäumen, das sich Aneinanderklammern, jede Flucht ist zwecklos. Henrik Ibsen stellt in seinem Stück „Gespenster“ Menschen auf die Bühne, die zusammengehören – doch die innere Zersetzung durch Verzweiflung, Begehren, Betrug und Krankheit ist so weit fortgeschritten, dass keiner mehr in der Lage wäre, als letzter Kitt zu fungieren und noch irgendwas zu retten. In der Ballettversion von Cina Espejord (Choreografie) und Marit Moum Aune (Inszenierung), die das Norwegische Nationalballett zum Auftakt des Osterklang-Festivals im Theater an der Wien zeigt, krabbelt die Kälte, von der die Protagonisten durchdrungen sind, unaufhaltsam von der Bühne in die Zuschauerreihen. Sie kommt als blau-fahles Licht. Sie zeigt sich in der Bühne, die erst fast leer, dann seltsam farblos ist. Sie manifestiert sich in den groben Berührungen des Vaters, an die sich Regine erinnert – und die sie noch immer ertragen muss. In dessen Obhut will man nicht sein. Aber auch nicht in jener der Hausherrin Helene (Camilla Spidsøe), die den Mann verabscheute, sich dem Pfarrer an den Hals warf – und nie einen klärenden Schlussstrich zog. Hier liegen alle Beziehungen in Scherben.

Live: Niels Petter Molvaer

Espejord erzählt Ibsens traurige Geschichte als modernes Handlungsballett, das mit seinen athletischen, manchmal sperrigen Bewegungen zum Thema passt – etwas vereinfacht, aber von der Emotion her treffsicher und in dramatischen, tollen Bildern. Nils Petter Molvær hat die Musik geschrieben und tritt in entscheidenden Momenten ins Rampenlicht, um live auf seiner Trompete dazu zu spielen, was sehr eindrucksvoll ist.

Das Gartenzimmer, in dem die Handlung spielt, wird durch schwarze Möbel angedeutet. Selbst bei Licht wirkt alles düster. Auf zwei Etagen spielt sich das Geschehen ab, überlappen sich Vergangenheit und Gegenwart, wenn Osvald auf sein verzagtes Kinder-Ich stößt und Regine (vom Ziehvater behandelt wie eines seiner Werkstücke – auch Missbrauch wird angedeutet) als trauriges Mädchen auftaucht, das der älteren Regine kein Trost sein kann. Die Gespenster der Vergangenheit – auch die junge Helene und der nicht ganz standfeste Pastor – sind blass und haben Augenringe, als wären sie gerade aus dem Grab erstanden. Und immer wieder tauchen im Hintergrund Schwarz-weiß-Videos auf: Die übergroßen Gesichter der Kinder, sie blicken ernst auf das Geschehen, wirken ohnmächtig und bedrohlich zugleich, erinnern an die verstörenden Kinderporträts des Gottfried Helnwein.

Nur eine Hoffnung keimt auf: zwischen dem todkranken Osvald (Andreas Heise) und Regine (Grete Sofie Borud Nybakken). Die beiden erliegen der erotischen Anziehungskraft, sind aber nicht sehr zärtlich. Man darf der Fantasie freien Lauf lassen: Aus den beiden würde über kurz oder lang ein ähnlich grässliches Paar wie aus den Alten. Doch daraus wird nichts: Widerwillig spuckt es Helene aus. Ihr Wortschwall, symbolisiert durch eine Serviette, die aus ihrem Mund quillt, klärt Regine und Osvald auf: Sie sind Halbgeschwister, die einander keinen Trost mehr spenden können . . .

Das Gastspiel: Das Norwegische Nationalballett zeigt auch noch „Carmen“ (9., 10., 11. April, Theater a. d. Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2017)

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