Volx Margareten: Scharf auf den Bogen des Philoktet

(C) Robert Polster/ Volkstheater
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Stefanie Reinsperger spielt die männliche Titelrolle in Heiner Müllers Stück. Calle Fuhr inszenierte es geradlinig. Er wird diesem komplexen Text auch gerecht.

So wird man sie in Wien in Erinnerung behalten: kraftvoll, exzessiv, manchmal sogar komödiantisch und etwas seltener still, in Vorbereitung auf den nächsten imposanten Gefühlsausbruch – Stefanie Reinsperger ist jedenfalls eine Schauspielerin, die sich niemals schont, auch nicht in einem Kellertheater an der Peripherie im Bezirk Margareten. Die in Baden bei Wien geborene Absolventin des Max Reinhardt Seminars hat nach drei Jahren im Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses ab Herbst 2014 für ein Jahr am Burgtheater begeistert, seit zwei Saisonen ist sie eine Stütze des Volkstheaters. Zum Abschied spielt sie dort auf der Nebenbühne des Volx eine herausfordernde Männerrolle: Philoktet in Heiner Müllers gleichnamigem Stück.

Danach wird Reinsperger bei den Salzburger Festspielen die Buhlschaft darstellen (man würde ihr sogar den Jedermann zutrauen!), um dann aller Voraussicht nach ans Berliner Ensemble zu wechseln. Dort beginnt im Herbst nach der Ära von Claus Peymann die Intendanz Oliver Reeses.

Odysseus ist ein aalglatter Politiker

Am Sonntag aber gab es in Wien auf kleiner Bühne große griechische Tragödie, die ostdeutsche Variante zum „Philoktet“ des Sophokles. Dieser antike Stoff hat Müller lang beschäftigt, er schrieb an dieser Studie von Macht und ihrem Missbrauch von 1958 bis 1964, die Uraufführung gab es 1968 am Residenztheater München unter der Regie von Hans Lietzau. Nun hat Calle Fuhr erstmals im Volx Margareten eine geradlinige, dem zwischen tragischer Ironie und politischer Farce schillernden Text gerecht gewordene Inszenierung vorgelegt – 90 Minuten mit einem gut abgestimmten Ensemble-Trio.

Nicht nur Reinsperger beeindruckt als verwundeter Bogenschütze, sondern auch Sebastian Klein als abgebrühter, aalglatter Odysseus, so wie Luka Vlatkovic als idealistischer Neoptolemos, als der von Odysseus hintergangene Sohn des vor Troja gefallen Superhelden Achilles. Die zwei Griechen landen auf Lemnos, wo Philoktet zehn Jahre zuvor auf Geheiß des Odysseus ausgesetzt worden war. Die Schmerzensschreie des durch einen Schlangenbiss Verwundeten, die stinkende Wunde an seinem Bein waren unerträglich geworden. Es stellte sich aber heraus, dass Philoktet für die Eroberung Trojas unabdingbar sein würde. Also instruiert der Listenreiche den Idealisten, wie man dem Ausgesetzten den Bogen abschwatze.

Die Bilderrahmen zeigen nur Schatten

Klein spielt den Odysseus als Politiker, der keine Skrupel kennt. Er tänzelt, spielt mit den Wörtern, seine Beweglichkeit, wenn er „Achill“ variiert, ist ein Kabinettstück. Vlatkovic spielt den Naiven, der aber, wenn er die Zusammenhänge erkennt, entschlossen handelt. Die beiden besprechen sich, gehen ab, und schon naht Philoktet mit seinem eckigen, unpraktisch scheinenden Zauberbogen, eine Kreatur, die alles Leid der Welt in sich zu fassen scheint, sie krümmt sich, windet sich. Ihr Reich ist eine karge Insel. Amelie Sabbagh hat die Ausstattung auf sieben verschieden große Bilderrahmen, auf denen sich nur Schatten abbilden, einen Kübel und Plastikmüll reduziert. Auf dem Boden um zwei Säulen: Kreidestriche. Sie stehen vielleicht für die Monate, die der Verwundete hier verbrachte. Philoktet entdeckt Neoptolemos. Vor Entsetzen fliehen die beiden voreinander – um sich schließlich für die erste, lange rhetorische Übung zu fassen, die zur Übergabe des Bogens führen soll.

Der Verlassene wird mit einem unwillig Lügenden konfrontiert. Diese Begegnung ist sensibel gespielt. Dann aber wird Hass das schlagende Argument für ein Einlenken sein, ehe im Verlauf der komplexen Gespräche in gebundener Sprache Odysseus ungeheure Notwendigkeiten der Politik ins Spiel bringt. Er weiß, dass das Monstrum Krieg seine Opfer frisst. Weil er aber flexibel auf geänderte Umstände reagiert, stets bereit zu neuen Lügen, sieht der große Dulder aus Ithaka beinahe wie ein Sieger aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2017)

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