Staatsoper: Die Macht beugt jeden, keiner beugt die Macht

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Der Philosoph Konrad Paul Liessmann über „Macbeth“, Politik heute – und die „Prognose-Hexen“.

„Sie wollen mich aufs Glatteis führen“, lacht Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann auf die Frage nach einem Macbeth in der heimischen Politik: „Ich werde jetzt keinen österreichischen Politiker in die Nähe eines mordenden Königs und einer wahnsinnig gewordenen Königin rücken.“

Liessmann, der morgen, Sonntag, ab 11Uhr mit „Presse“-Chefredakteur Michael Fleischhacker bei einer Matinee zur Premiere am Montag in der Staatsoper diskutiert, sieht dennoch Parallelen zwischen Kunst und Leben: „Der reale Mord des Konkurrenten gehört zwar nicht unbedingt zum Alltagsgeschäft der Politik heute, aber Täuschung, Lüge, der Verrat von Ideen, an die man geglaubt hat, sind sehr wohl auf der Tagesordnung. Ich würde Politikern, egal welcher Couleur, empfehlen, sich ,Macbeth‘ anzusehen, um etwas über die Mechanik der Macht zu erfahren.“

Macbeth werde „als durchaus positive Figur eingeführt“, die sich erst durch die Verlockungen der Macht zur „Monstrosität“ entwickelt: „Auch Menschen mit den größten ethischen Ansprüchen können, sofern sie Macht haben, nicht umhin, sich deren Logik zu beugen.“ Hexen prophezeien Macbeth, dass er König wird: „Die moderne Variante der Hexen sind die Prognosen. Politik ist stark abhängig von Prognosen. Macbeth steht genau vor der Situation, vor der jeder Politiker steht, der eine Prognose geliefert bekommt, er glaubt, er macht das Richtige, um sie zu erfüllen. Das kann tragisch enden.“ Welche Rolle spielt die Moral – welche die Liebe? Liessmann: „Die Schuldfrage würde ich hier ausklammern. Das Interessante an Verdi wie an Shakespeare ist, dass das Problem nicht moralisch abgehandelt wird, sondern es wird einfach gezeigt, welche Eigendynamik das Ganze bekommt, wie man mitgerissen wird in einen Strudel. Sobald man den ersten Schritt gesetzt hat, muss der zweite kommen. Macbeth tötet den König, er muss aber auch seinen besten Freund töten. Niemand, der Macht erringt, bleibt unbeschädigt. Das gehört zum Geschäft der Macht, auch in der Demokratie.“

Romantische Liebe spiele hier keine Rolle: „Vermutlich wurde die Ehe von Macbeth und seiner Lady arrangiert, das ist eine Zweckgemeinschaft. Die beiden bestärken einander in ihrem Bestreben. Am Ende kippt sie in den Wahnsinn, er in den Tod. Eine klassische Reaktion des Theaters. Die Wahnsinnsarie gehört zum Schönsten, was Verdi geschrieben hat.“ Hysterie, Wahnsinn sind für die Frau reserviert, „obwohl es auch männlichen Wahnsinn, die Narren, gibt“.

Ein neuer Herrscher übernimmt am Schluss die Macht, vielleicht bleibt aber auch alles beim Alten. Liessmann: „Wenn man die Shakespeare'schen Königsdramen kennt, muss man sagen: Die Macht mordet sich weiter. Bei Verdi hat das Schlussbild so etwas wie die Aura des Positiven. Das ist aus der Zeit entstanden, durch den nationalen Befreiungskampf Italiens“, so Liessmann.

Provokante Regisseurin

Wie wäre es mit einem Politiker außerhalb Österreichs als Vergleich? „Vergleichen kann man nicht, in keiner Weise. Aber Joschka Fischer ist sicher mit großen ethischen, politischen, reformatorischen Ansprüchen angetreten – und hat dann als Außenminister knallharte internationale Außenpolitik gemacht“, meint Liessmann.

Vor der Diskussion am Sonntag wird in Anwesenheit der Künstler die Aufführung präsentiert, die Bulgarin Vera Nemirova führt Regie. Die Konwitschny-Meisterschülerin hat unter Dominique Mentha an der Volksoper eine provokante „Gräfin Mariza“ inszeniert, an der Staatsoper Tschaikowskys „Pique Dame“. Ferner brachte sie in Graz „Fidelio“, in Luzern „Rigoletto“ und „Die Dreigroschenoper“ heraus – sowie schon einmal in Bonn 2003 „Macbeth“. Der gebürtige Spanier Guillermo García Calvo dirigiert.

PHILOSOPH IN DER OPER

Konrad Paul Liessmann (56) ist Univ.-Prof. für Philosophie an der Universität Wien, ferner Essayist, Literaturkritiker, Publizist. Der gebürtige Villacher hat die wissenschaftliche Leitung des Philosophicum Lech. Liessmann erhielt zahlreiche Preise. Er publizierte populäre Bücher, u.a. über Kitsch und Lärm. „Zukunft kommt– Die säkularisierte Heilserwartung und ihre Enttäuschungen“ erschien 2007 (Styria). [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2009)

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